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Sci-Fi-Pop: Yeasayers Album "Odd Blood" betört

Statt feinmaschiger Gitarrenornamente dominieren grobe Synthieschraffuren das Klangbild, dazu ersetzen malmende Laptop-Beats das polyrhythmische Geklöppel von Ex-Drummer Luke Fasano. Doch entscheidend ist, wie Yeasayers das Rohmaterial atomisieren.

Sie hätten es sich einfacher machen können. Nach dem von der Kritik gefeierten und für Indierock-Verhältnisse erfolgreichen Debütalbum „All Hour Cymbals“ wäre es für Yeasayer ein Leichtes gewesen, mit diesem Pfund zu wuchern und einen dezent modifizierten, vielleicht etwas mehr auf College-Radiotauglichkeit getrimmten Nachfolger einzuspielen. Und damit groß abzuräumen.

Aber offensichtlich liebt die zum Trio geschrumpfte Band aus Brooklyn die Herausforderung und pfeift auf Erwartungshaltungen. So fällen enttäuschte Fans auf Rezensionsplattformen wie rateyourmusic harsche Urteile über das Zweitwerk „Odd Blood“: Achtung, Rücksturz in die achtziger Jahre! Nach ersten Höreindrücken kommt einem die Entrüstung, die sich aufgrund des obligatorischen Internetlecks bereits Wochen vor der Veröffentlichung entlud, verständlich vor.

Statt feinmaschiger Gitarrenornamente dominieren grobe Synthieschraffuren das Klangbild, dazu ersetzen malmende Laptop-Beats das polyrhythmische Geklöppel von Ex-Drummer Luke Fasano, der im Unfrieden aus der Band gekegelt wurde. Und die hymnischen Satzgesänge, die den pastoralen Wohlklang der Fleet Foxes vorausahnten, aber im Kontext eines abenteuerlichen Stilmixes aus Krautrock, Afro-Psychedelik und Blumenkinderpop viel aufregender klangen, sind offenbar im Verlauf von zermürbenden Tourneen verschütt gegangen. Jetzt tönt Chris Keatings nasaler Gesang stellenweise wie David Byrne oder sogar – huch! – Dave Gahan von Depeche Mode.

Doch die Alarmstufe „achtziger Jahre“ kann wieder aufgehoben werden. Zwar bedienen sich Yeasayer wie viele zeitgenössische Bands im nostalgischen Gemischtwarenladen und pflügen alles zwischen Yazoo, Howard Jones und Frankie Goes To Hollywood unter. Was zu dem Irrtum verleiten könnte, sie hinkten dem Trend um mindestens ein Jahr hinterher.

Entscheidend ist, wie sie das grobkörnige Rohmaterial atomisieren und zu lupenreinem Science-Fiction-Pop schleifen: Wie sich in „Love Me Girl“ euphorisierende Rave-Fanfaren und geschmeidig synkopierte New-Wave-Tupfer lauernd umschleichen, wie die frivole Eingängigkeit von „Ambling Alp“ durch knarzende Störgeräuschlandschaften gebrochen wird, wie die rasende Postpunk- Achterbahnfahrt von „Mondegreen“ von Anand Wilders epischer Noisegitarre und schroffen Bläsersätzen perforiert wird, das ist von einer Genre- und Epochengrenzen überwindenden Kühnheit. Durch „Madder Red“ wehen dann doch die emblematischen Choräle, ehe sich der Song zu einer Hymne von stadiontauglichem Format auswächst. Dagegen setzen sie ein sperriges Etwas wie den Opener „The Children“, der auch als gutturaler Klagegesang zu einem postapokalyptischen Sandalenfilm durchginge.

Aus geföhntem Synthiepop mutiert hier ein beißwütiger Bastard, der mit der distinguierten Kennerschaft von Nerd-Bands wie Hot Chip oder Simian Mobile Disco kaum Gemeinsamkeiten aufweist. Vielmehr verhalten sich Yeasayer antipodisch zu ihren britischen Kollegen: Wo die Londoner virtuose, ironisch gebrochene Zitatarrangements basteln, die im Idealfall Eigenleben entwickeln, gehen die New Yorker mit dem Furor von Bilderstürmern auf die Ahnengalerie der achtziger Jahre los. Dass am Ende eines radikalen De- und Rekonstruktionsprozesses betörende Popmusik mit vermutlich langer Halbwertszeit entsteht, zeugt von seltener Meisterschaft. Große Band.

„Odd Blood“ ist auf Mute Records/Secretly Candian erschienen.

Jörg W, er

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