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Martin Böttcher, Berliner DJ und Musikjournalist.

© Frauke Fischer

Serie: Spreelectro: Neue Pop-Tipps aus Berlin

Der DJ und Musikjournalist Martin Böttcher hat auf Tagesspiegel.de schon viele Pop-Tipps gegeben. Für unsere Serie "Spreelectro" spezialisiert er sich jetzt auf Berlin und empfiehlt Gutes aus der Hauptstadt.

V.A.: Fünf (Ostgut Ton)

Berliner Club-Veteranen können sich noch erinnern: Das Ostgut stand einst dort, wo jetzt die O2-World die Gegend verschandelt. Die Macher des Ostguts machten nach der Schließung das Berghain auf und nannten das dazugehörige Plattenlabel „Ostgut Ton“.  Fünfjähriges feierte man vor kurzem und wie sich das für ein Plattenlabel gehört, gibt es dazu eine Compilation. 24 Tracks von den Stamm-DJs des Berghains, die, so unterschiedlich sie sich auch anhören, eins gemeinsam haben: In alle Stücke sind Geräusche und Klänge und Sounds eingebaut, die im leeren Berghain  aufgenommen wurden. Scheppernde Türen, das Zischen der Stroboskoplichter, Schläge auf Metallgeländer, das Brummen der Kühlschränke, sprudelndes Wasser. Die Architektur des Berghains, so heißt es immer wieder, beeinflusst die Musik,  die dort gespielt wird. Und mit diesem Gedanken wird hier gespielt. Hört sich nach verkopftem, langweiligen Klanggewitter an? Auf gar keinen Fall: Die Herren und Damen DJ, von Marcel Dettmann bis Tama Sumo, von Boris bis Steffi, von Ben Klock bis Len Faki wissen schließlich, wie man amtliche Techno-Tracks hinbekommt.

Dave DK: Retake One (Moodmusic)

„Retake One“, das Mixalbum vom Berliner DJ und Produzenten Dave DK ist eine Art Gegenstück zum „Fünf“-Album: David Krasemann – so heißt Dave DK mit richtigem Namen – ist zwar auch regelmäßig im Berghain, genauer gesagt: der Panorama Bar, hat sich nicht dem härteren Techno, sondern dem deepen House verschrieben. Und über 17 Tracks ausgebreitet zeigt er uns, was genau er unter „deep“ versteht: Langsame, melodiöse, aber trotzdem nicht kitschige Tracks gehen perfekt ineinander über und schaffen einen Mix, der sehr viel mehr als die Summe seiner Einzelteile ist. Dave DK wirkt privat eher ruhig und konzentriert. Und genauso legt er auch auf. Höhepunkt seines Albums, auf dem er unter anderem Tracks von Ada und Lawrence und Superpitcher  miteinander verwebt: Dave DKs eigenes Stück „Will Be Gone“. Schöner hat elektronische Musik lange nicht geklungen.

V.A.: G.I. Disco (BBE)

Und noch eine Compilation, ebenfalls Ende 2010 herausgekommen, aber das war’s dann auch schon mit dem Gemeinsamkeiten. Zusammengestellt von den Berliner DJs Daniel W. Best und Kalle Kuts, finden sich hier eine Handvoll Songs aus den 80er Jahren. Songs, wie sie damals in den westdeutschen und West-Berliner Clubs liefen, die sich auf die amerikanischen Soldaten konzentrierten, wie zum Beispiel das 1986 zu trauriger Berühmtheit geratene La Belle in Friedenau. In diesen Clubs lief eine neue Art von Musik, die ein wenig nach Soul und Funk und Disco klang, aber eigentlich einen ganz eigenen Sound hatte, dank der noch neuen,  kräftig eingesetzten Synthesizer. Im ein oder anderen Song wird auch gerappt, aber eher vorsichtig, gimmickartig – vom kommenden Gangster-Hip-Hop noch keine Spur. Die andere musikalische Revolution, die sich anbahnende House- und Technowelle, spielt auf „G.I. Disco“ gar keine Rolle – kein Wunder, waren die Clubs der amerikanischen Soldaten, in denen sie deutsche Mädchen trafen, die ihrerseits von den USA träumten, doch kleine Enklaven mit großem Eigenleben.  „G.I. Disco“ – eine kleine Geschichtsstunde von Daniel W. Best und Kalle Kuts. Einziges Manko: Auf ihren gleichnamigen Party spielen die beiden noch viel, viel bessere Songs. Vermutlich gar nicht so einfach, dafür die Rechte zu bekommen. Aber noch viel Material für G.I. Disco 2, 3, 4, 5, 6 ....

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