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''The Gulda Mozart Tapes'': Seelenspiegel

Zwischen Himmel und Hölle: Friedrich Guldas private Mozart-Einspielungen – erstmals aufgelegt.

Das Verhältnis Friedrich Guldas zu seinem Lieblingskomponisten Wolfgang Amadeus Mozart war von einer eigentümlichen heiligen Scheu geprägt. Obwohl er in Gesprächen immer wieder Mozart als Mittelpunkt seines musikalischen Denkens bezeichnete, hielt Gulda zeitlebens einen Sicherheitsabstand zu dessen Klaviermusik, den er nur selten für eine Sonate oder eines der Klavierkonzerte aufgab. Die offizielle Mozart-Hinterlassenschaft des Wiener Pianisten blieb folglich schmal. Selbst die wenigen Aufnahmen belegen, wie schwer es sich der Alleskönner und hartnäckige Grenzüberschreiter vor allem mit den 16 von ihm als vollwertig erachteten Sonaten machte.

Im Gegensatz zu seiner Sicht der Beethoven-Sonaten, die über die Jahrzehnte in ihren Eckwerten erstaunlich konstant blieb, scheinen die sporadischen Mozart- Einspielungen Guldas mit geradezu entwaffnender Direktheit seine eigene persönliche Entwicklung nachzuzeichnen. Ob es der kühl abgezirkelte Klassizismus ist, mit dem der 18-jährige Wettbewerbsgewinner die späte D-Dur-Sonate absolviert, die kesse Verzierungslaune, die in seiner „Sonata Facile“ zwanzig Jahre später von der befreienden Wirkung seiner Jazz-Exkursionen zeugt, oder die fast esoterische Gelöstheit bei seinen späten Auftritten mit den Klavierkonzerten – immer ist Guldas Mozartspiel zugleich Seelenspiegel des Interpreten. Und die Scheu vor Mozart ist wohl zum Gutteil die Scheu des Interpreten, mit dieser Musik schutzlos vor das Publikum treten zu müssen – und letztlich nackter zu sein als bei den hüllenlosen Auftritten, mit denen der Klassikrebell in den wilden Siebzigern Skandal machte.

Beim Hören des Mozart-Zyklus, den die Deutsche Grammophon sieben Jahre nach Guldas Tod nun veröffentlicht hat, ist ein schlechtes Gewissen berechtigt: Die Radikalität, mit der sich hier ein Interpret der Musik stellt, hat etwas zutiefst Privates. Dieser Aneignung zu lauschen, ist ungefähr so, als würde man jemandes Tagebücher ohne sein Wissen in Druck geben. Denn freigegeben hat der Pianist diese Aufnahmen, die 1980 und 1982 entstanden, nie. Die CD-Pressungen beruhen auf einer Kassettenkopie der verloren gegangenen Bänder.

Zwischen diesen beiden Aufnahmesitzungen, im Jahr 1981, spielte Gulda zum ersten und einzigen Mal den Zyklus der Mozart-Sonaten im Konzert. Die Aufnahmen lassen vermuten, dass er sich durch dieses Großprojekt gezwungen fühlte, sein Mozartbild von Grund auf neu aufzubauen. Was dabei entstand, ist ein Spiel von maximaler Vergegenwärtigung, bei dem jede Note, jede Spielfigur durch die Spannung zwischen ihrer formalen Stellung im Satzgefüge und ihrem Drang zu emotionaler Schrankenlosigkeit aufgeladen wird. Die Tempi sind – anders als bei Livemitschnitten Guldas – gemessen, ja beispielsweise im Kopfsatz der berühmten A-Dur-Sonate von einer gleichsam erzwungenen Ruhe. Selbst das Presto der A-moll-Sonate stürmt nicht dahin, sondern bekommt ein stählernes metronomisches Rückgrat, einen eisernen Schicksalspuls verpasst.

Das ist fast zu groß, als dass man es ertragen könnte. Für Humor etwa ist zwischen den Mauern dieser Sonatensatzgefängnisse kein Platz. Stattdessen werden die 16 Sonaten unter Guldas Händen zu 16 Glaubensbekenntnissen. Schon in den frühen Salzburger Werken des kaum 20-Jährigen geht es um einen existenziellen Gegensatz zwischen der Unerbittlichkeit der gesellschaftlich festgelegten Form und den melodiösen Fliehkräften des Individuums. Ein Gegensatz, den Gulda mit (durch die übersteuerten Kassettenkopien noch verschärften) Anschlagsextremen von stählernem Forte und einem kristallin singenden Engelston für die Kantilenen markiert.

Was sich mit dem Fortschreiten des Zyklus verändert, ist lediglich die Direktheit, mit der dieser Konflikt formuliert wird. In den frühen Werken noch mit den Tarnnetzen flächiger Rokoko-Ornamentik behängt, liegt er zum Schluss, in der D-Dur-Sonate, offen zutage. Zwischen gemeißelten Bassakkorden in ihrer tiefschwarzen Kantigkeit und der unschuldigen, reinen Schlichtheit der Melodie, zwischen Himmel und Hölle steht nur noch der Mensch selbst. Mozart, Gulda und jeder, der ihnen zuhört.

The Gulda Mozart Tapes I & II, Deutsche Grammophon.

Jörg Königsdorf

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