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The Hold Steady: Manchmal ist es Arbeit

Besser als der Boss: Die US-Band The Hold Steady begeistert mit unbändiger Spielfreude und legt ein fulminantes Rockalbum vor.

Es war in Memphis, in einem dieser schummerigen Löcher mit langem Holztresen. Nach dem Geschäftstermin schaute er auf ein Feierabendbier rein und tanzte mit einer Unbekannten. Sie gingen zusammen in eine Wohnung, wo sie Katzen hütete. Doch dann lief irgendetwas schief, denn jetzt sitzt er hier bei der Polizei und erzählt immer wieder die gleiche Geschichte.

„Sequestered in Memphis“ (beschlagnahmt in Memphis) heißt dieses kleine Drama, das The Hold Steady mit geradezu filmischer Anschaulichkeit vor den Zuhörern ablaufen lassen. Im Refrain bringen sie es in drei Zeilen auf den Punkt: „In barlight she looked alright/ In daylight she looked desperate/ That’s alright, I was desperate too“, singen sie im Chor. Dazu pulsen die Gitarren, torkelt das Barpiano und jubilieren die Bläser, dass es eine einzige glitzernde Pracht ist.

Bisher war die Brooklyner Band The Hold Steady höchstens Indie-Rock-Fans ein Begriff. Außerdem waren sie ein typischer Kritikerliebling, der in Jahresbestenlisten regelmäßig die Rubrik „Das beste Album, das Sie dieses Jahr nicht gehört haben“ anführte. Aus dieser Ecke wollte das Quintett um den 36-jährigen Sänger und Gitarristen Craig Finn mit seinem vierten Album endlich ausbrechen.

Die Chancen dafür stehen gut. Denn ihre vierter Longplayer „Stay positive“ ist ein fulminantes Rockalbum, eines der besten des Jahres. Es drängt ins Radio und es drängt ins Stadion. Dabei gelingt The Hold Steady das fast unmögliche Kunststück, den „classic rock“ wie ein lebendiges, spannendes Genre aussehen zu lassen. Das liegt zum einen am exzellenten Songwriting und der unbändigen Spielfreude des Quintetts. Zum anderen hat Produzent John Agnello, der schon mit Sonic Youth, Dinosaur Jr. und Alice Cooper gearbeitet hat, seine kniffelige Aufgabe perfekt gelöst: Im häufig Richtung Bombast wuchernden Sound-Dschungel sorgt er für Transparenz. Er schlägt Schneisen, baut Ruheinseln und findet selbst für Exoten wie das Cembalo in „One for the Cutters“ einen Platz.

Noch stärker als auf dem Vorgänger „Girls and Boys in America“ (2007) wildern The Hold Steady diesmal in den Klanggärten von Bruce Springsteen. Allerdings wirkt dessen letztes Jahr mit der E Street Band eingespieltes Album „Magic“ verglichen mit „Stay Positive“ wie Steinzeitrock. Die Kopie schlägt eindeutig das Original. Zumal Craig Finns prägnante, alltagsnahe Texte, die er mehr spricht als singt, denen vom Boss mindestens ebenbürtig sind. Darin geht es genau wie beim großen Vorbild meist um Menschen aus eher kleinen Verhältnissen und ebensolchen Städten. Vom American Dream haben sie nur gehört, aber nie etwas gesehen. Sie trinken viel, lieben aneinander vorbei und hadern mit Gott. Katholik Finn stammt selbst aus dem wenig spektakulären Minneapolis, das auch Spuren in den Songs hinterlassen hat. Seine Charaktere – auffallend häufig Frauen – heißen Holly oder Gideon. Er schreibt sie seit dem ersten Album immer weiter fort; diesmal allerdings ohne ihre Namen zu nennen. Das ist auch gar nicht mehr nötig, denn sie sind mittlerweile zu universellen Figuren gewachsen.

Das Thema, mit dem sie sich diesmal herumschlagen, ist das Älterwerden. Wohl am deutlichsten zeigt das der letzte Song „Slapped Actress“, der von John Cassavetes Drama „Opening Night“ aus dem Jahr 1977 inspiriert ist. Darin spielt Gena Rowlands eine Theater-Diva, die Probleme mit Alter und Alkohol hat. Der Ich-Erzähler des Songs imaginiert sich in die Regisseurs/Hauptfiguren-Rolle hinein und reflektiert anhand der Szene, in der Rowlands geohrfeigt wird, darüber wie auf der Bühne „Echtheit“ entsteht: „Some nights making it look real/ Might end up with someone hurt. Some nights it’s just entertainment. Some other nights it’s work.“ Hier spricht Finn aus eigener Erfahrung als 320 Tage im Jahr auf der Bühne stehender Musiker: Manchmal tut es eben weh, einen Auftritt authentisch wirken zu lassen. An anderen Tagen ist alles nur Show oder eben Arbeit. Wie er dann auch noch den Bandnamen in die letzte Strophe montiert, ist genial – als laufe er Hitchcock-mäßig kurz durchs Bild.

Auch die Dramaturgie von „Stay positive“ ist bestechend und ein schönes Argument für das totgesagte Albumformat: Diese zwölf Stücke ergeben zusammen mehr Sinn als alleine. Sie ziehen sich gegenseitig und halten die Aufmerksamkeit der Zuhörer ständig in Spannung. So folgt auf die schwermütige an Gott zweifelnde Ballade „Lord, I’m discouraged“ (inklusive 40-sekündigem Gitarrensolo!), das jubilierende, nach vorne drängende „Yeah Sapphire“, das auf der Zeile „I was a skeptic at first but these miracles work“ endet. Und bevor auch nur ein Hauch von Kirchentagsstimmung aufkommen kann, geht es mit „Both Crosses“ weiter. Das an den Düsterfolk von Woven Hand erinnernde Stück baut mit schnellen Akustikgitarren-Pickings, Grummel-Drumming und einem von J. Mascis gespielten Banjo eine spukhafte Atmosphäre auf. Die passt ausgezeichnet zum Text über die Kreuzigungsvisionen eines katholischen Mädchens, doch man ist froh, wenn anschließend die Orgel und der „Oh oh oh“-Chor des Titelsongs darüber hinwegbrettert. „We gotta stay positiv!“, singt Finn immer wieder und die Snare-Drum prügelt es den Hörern in den Kopf.

Spätestens hier entsteht auf unerklärliche Weise der Wunsch zum sofortigen Eintritt in die Hold-Steady-Gemeinde. Wer nur ein bisschen an Rockmusik glaubt, sollte sich ein Eintrittsformular besorgen – Erlösung garantiert.

The Hold Steady: Stay Positiv ist bei Rough Trade erschienen.

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