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Broenner

© dpa

Till Brönner: Zuckerhut und Strandgut

Wer genau hinhört, entdeckt einen Kampf mit einem Dilemma, in dem der Jazz, besonders in Deutschland, seit Jahren feststeckt. Bossa für Dinnerpartys: Jazztrompeter Till Brönner und sein Album "Rio".

Es ist ja gar kein Barhocker, auf dem Till Brönner sitzt. Sondern ein Klavierstuhl. Dabei hätte man schwören können, dass Deutschlands erfolgreichster Jazzer für das Cover seines neuen Albums „Rio“ an eine Bar gesetzt wurde. Diese Haltung: den linken Arm auf der Trompete abgelegt, die rechte Hand auf dem Knie, die Lippen geschürzt und die Augen nach oben gerichtet. Muss Loungejazz drin sein, gehaucht und verraucht. Man soll das so verstehen. Die Plattenfirma hat über Brönners Anzug extra ein Foto gelegt, vom Sonnenuntergang in Rio de Janeiro, mit schimmerndem Lagunenstrand und dem Corcovado im Hintergrund. Schon klar: Till Brönner ist in Rio gewesen und hat Bossa nova geblasen, gerade rechtzeitig zum fünfzigjährigen Geburtstag dieser Musik. Und wir Hörer sollen uns nun ausmalen, auf einer Hotelterrasse am Strand Cocktails zu schlürfen. Vielleicht sogar mit dem Till Brönner.

Eine nicht uninteressante Fantasie, doch es lastet ein schweres Gewicht auf ihr, denn: Wer nicht Sommerabende lang an Drinks nippen will, der wird „Rio“ kaum als Erfolg bezeichnen wollen. Der 37-jährige Brönner, ohne Frage ein Ausnahmetrompeter, versucht gar nicht erst, mit seiner Musik neue Vorstellungen in uns zu wecken. Er will nur die alten bestätigen. „Rio“ ist ein Soundtrack zu Bildern, die wir in- uns auswendig kennen.

Dafür hat ihm seine Plattenfirma ein großzügiges Budget spendiert, jedenfalls für Jazzverhältnisse. Produzent Larry Klein, der im letzten Jahr für Herbie Hancocks CD „River: The Joni Letters“ einen Grammy für das beste Album des Jahres gewann und bereits Brönners letztes Album, „Oceana“ (2006), auf die Beine stellte, hat brasilianische Popstars wie Sérgio Mendes und Milton Nascimento aufgetan und dazu noch die Popsängerinnen Aimee Mann und Annie Lennox. Letztere standen zwar nicht mit Brönner im Studio, sondern nahmen ihre Gesangsspuren separat auf, doch ihre Auftritte kommen einem kleinen Coup gleich.

Produzent Klein beteuert im Promotion-Video, er sei „really, really happy“ über die Platte: „Sie ist ein Diamant.“ Er hat sich auch wirklich Mühe gegeben und sogar einige der Texte selbst ins Englische übersetzt. Auch ein paar bekannte Jazzer sind dabei, etwa Sänger Kurt Elling und Organist Larry Goldings. Die fallen aber nicht weiter auf: Der 41-jährige Elling, eigentlich bekannt als Scat-Akrobat, mimt einen alternden Bossa-Vater, und Goldings bekommt nicht ein einziges Solo ab. Es geht schließlich nicht darum, der Musik neue Impulse zu geben, sondern der Bossa möglichst angenehm dahinplätschern zu lassen. Dass sich diese Musik seit ihrer Erfolgsphase Anfang der sechziger Jahre mit Rock, Elektro und Hip Hop vermischt hat; dass sie keineswegs nur auf die Melancholie beim Anblick des Sonnenuntergangs abzielte, sondern Ende der sechziger Jahre in die sozialrevolutionäre Tropicalia-Bewegung um Gilberto Gil und Caetano Veloso mündete: Wer „Rio“ hört, käme nicht darauf.

Und doch, „Rio“ ist eine interessante Platte, trotz allem. Wer genau hinhört, entdeckt Brönner im Kampf mit einem Dilemma, in dem der Jazz, besonders in Deutschland, seit Jahren feststeckt. Kunst und Kommerz stehen sich hier so unversöhnlich gegenüber wie in keiner anderen Kunstform. Längst sind die musikalischen Raffinessen des Jazz, ganz zu schweigen von Avantgarde-Anstrengungen, dem breiteren Publikum fremd geworden. Entweder also man findet sich ab mit 50-Euro-Gagen und trifft sich bei Nischenfestivals, wie dem heute beginnenden „Jazz Jamboree Berlin“, bei dem in die Jahre gekommene Neuerer und kompromisslose Idealisten auftreten. Oder man versucht, wie Brönner, Jazz aggressiv zu vermarkten, ohne das eigene Können zu verheimlichen. Mit Verrat habe das nichts zu tun, beteuert der Wahlberliner, er spiele Jazz „aus tiefer Liebe“.

Damit setzt er sich einem Balanceakt aus, mit jedem Album aufs Neue. Auf das Singen verzichtet er diesmal beinahe ganz und schafft somit Raum für sein Trompetenspiel. Noch gedämpfter als auf den letzten CDs klingt sein Ton, doch in seinen Soli strahlt unwiderstehlich der Glanz der Logik. Er weiß, was er an den Kompositionen von Antonio Carlos Jobim und João Donato hat: Ganz gemächlich schlendert er durch die Akkorde, kostet jede einzelne Klangfarbe aus. Nichts daran ist neu, aber es gibt nicht viele Trompeter mit einem solchen Gespür für Melodik.

Trotzdem bleibt „Rio“ ein künstlerischer Kompromiss. Eine CD für Dinnergäste, die Coldplay nicht mehr hören können und Coltrane nicht verdauen. Das Jazzdilemma zu überwinden, ist Brönner wieder nicht geglückt. Doch man wird ihm weiter zuhören. Denn wer könnte es schaffen, wenn nicht er?

Till Brönners Album „ Rio“ (Verve/Universal) erscheint am Freitag. Infos zum Jazz Jamboree Berlin (18. bis 24. 9.): http://

jazzwerkstatt-berlin-brandenburg.de

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