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© David Heerde

Tonstudios in Berlin: Alle Regler aufgedreht - das Geschäft brummt

Mit den Plattenfirmen schienen auch die Tonstudios zu sterben. In Berlin aber herrscht Aufbruchsstimmung an den Mischpulten. Ein Rundgang.

Ist guter Klang vom Aussterben bedroht? Im Juli gaben gleich zwei deutsche Tonstudios den Betrieb auf, die beide für eine eigene Ästhetik standen: im Norden der Hamburger „Soundgarden“, wo Produzent Chris von Rautenkranz mit Tocotronic, Blumfeld und anderen den Klang der Hamburger Schule prägte; und im Süden das Wilzhofener „uphon“-Studio, in dem Mario Thaler den intim-verschrobenen Klang von The Notwist und anderen Bands aus dem Umfeld des vor einem Jahr eingeknickten Hausmusik-Labels produzierte.

Europaweit schließen große Tonstudios. Auch Berlin spürt seit Jahren die Krise der Branche. 2002 schloss etwa das Vielklang Studio, weil die Plattenfirma EFA die Rechnungen nicht mehr bezahlte, 2003 das Audioton Studio, letztes Jahr K4 in der Nalepastraße. Schwinden damit die Räume, in denen sich Popmusik erneuern kann? Keineswegs. Ein Rundgang durch tonangebende Berliner Studios vermittelt stellenweise gar ein Gefühl von Aufbruch.

Noch immer stellt man sich die Produktion eines Albums landläufig so vor: Eine Plattenfirma verpflichtet eine Band und schickt sie ins Studio. Tatsächlich läuft es im Popbereich nur noch selten nach diesem Muster ab. Die ganze Art, wie Tonträger entstehen, hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Und damit die Studiolandschaft.

„Das Konzept, dass Plattenfirmen sich große Studios mit 30 Beschäftigten halten, ist tot“, erklärt Tobias Lehmann vom Teldex-Studio in Lichterfelde. Als mit dem Aufkommen des Internets die Plattenverkäufe einbrachen, stießen die großen Firmen nach und nach ihre Studios ab. Nur die symbolträchtigsten Räume der Popgeschichte blieben Firmeneigentum: die Londoner Abbey-Road-Studios von EMI.

In der Folge wurden Studios nur noch Session für Session vermietet und waren damit gezwungen, immer effektiver zu wirtschaften. Inzwischen sparen sich die Firmen oft ganz das Risiko und überlassen es den Künstlern und freien Produzenten, neue Aufnahmen zu finanzieren. „Die Plattenfirma verkommt zur Datei-Aufkaufs-Institution“, konstatiert Lehmann. Das hat auch etwas Gutes: Die Labels können sich nicht mehr in den künstlerischen Prozess einmischen. Freilich machen sich die Firmen damit immer weiter verzichtbar: „In zehn Jahren wird es speziell im Popbereich keine Plattenfirmen mehr geben“, schätzt der Tonmeister.

Tobias Lehmann und seine Partner verkörpern den Umbruch. Als das alte Telefunken-Studio noch Warner gehörte, waren die drei hier angestellt. Im Zuge der Übernahme durch AOL wurde das Studio abgestoßen. Die drei Tonmeister kauften sich 2002 in die Räumlichkeiten ein, übernahmen die legendäre Sammlung alter Mikrofone und investierten in Umbauten und neue Technik. Nun profitieren die eigenständigen Unternehmer vom weltweit herausragenden Ruf des 450 Quadratmeter großen Aufnahmesaals, in den inzwischen neben den großen klassischen Orchestern auch Popbands wie Rammstein oder Keane kommen. Auch die Soundtracks großer Hollywood-Produktionen entstehen hier. Doch dass immer mehr gerechnet wird, ist deutlich zu spüren. „Immer wenn eine Plattenfirma anruft, will sie erstmal über den Preis verhandeln.“

Einen spürbaren Vorteil verschafft jedenfalls der Standort. Berlin, das bestätigt in den Studios fast jeder, ist in den letzten Jahren zum Drehkreuz der internationalen Musikerszene geworden. Da ruft auch mal Celine Dion spontan an, ob sie für drei Tage das Studio mieten kann, weil sie gerade in der Stadt ist. Mag der deutsche Markt schwächeln – die Berliner Studioszene ist immer weniger von ihm abhängig. Dieses Jahr ist Herbert Grönemeyer mit seinem Studio von London nach Berlin gezogen, in die altehrwürdigen Hansa Studios, die in letzter Zeit wieder aus der Schlagerecke heraus finden.

„Achtzig Prozent der Bands, die hier aufnehmen, sind nicht aus Deutschland“, sagt Werner Krumme. Der Produzent hat mit seinem „Planet Roc“-Studio in Oberschöneweide eine Art Aushängeschild für die Berliner Musikproduktion geschaffen. Im alten DDR-Rundfunkgebäude in der Nalepastraße ist noch der Glanz alter Zeiten zu bestaunen: Großzügige Aufnahmeräume, teils mit Stuckverzierungen und Kirschkopfparkett, ein Prunk, wie er nur aus dem Machtgeprotze des Kalten Krieges erwachsen konnte.

Heute kommen hier all die hippen jungen Bands her, die ohnehin in den Vintage-Charme der Stadt verknallt sind und der Atmosphäre in den alten Hörspiel-Studios erliegen. Gerade haben sich The Rakes aus England eingemietet, aus dem Regieraum dringen wieder und wieder die selben strammen Riffs, exaltierter Indierock, immer knapp entlang am Orgasmus-Pegel. Es klingt wie der Soundtrack zum immer härteren Wettbewerb.

Tatsächlich gerät im Kampf um die kürzer werdenden Aufmerksamkeitsspannen ein wichtiges Moment unter die Regler: Ruhe. In den Mastering-Studios werden die Aufnahmen inzwischen so sehr verstärkt, dass schon ein leises Gitarrenintro fast die Kraft des Schlussrefrains erreicht. „Lauter geht’s nicht mehr“, sagt Krumme. Im Radio werden die Stücke dann nochmal durch Kompressoren gedrückt, so dass auch der allerletzte Raum für Klangdifferenzen schwindet. Ändern lässt sich daran wenig, wie Krumme bestätigt: „Ich wäre ja dämlich, wenn ich etwas anbieten würde, das halb so laut ist wie die Konkurrenz.“

Drei Wochen haben The Rakes für die Aufnahmen geplant, da muss jede Minute genutzt werden. „Heute nimmt man im Studio meist nur das Grundgerüst auf“, berichtet der Produzent, „bei Gesang, Overdubs und Soundspielereien wird gespart.“ Die entstandenen Aufnahmen nimmt die Band auf Festplatte mit und schraubt in den eigenen Räumen weiter.

Überhaupt ist die treibende Kraft all der Umwälzungen der Computer. Als Anfang der Neunziger Homerecording-Technik erschwinglich wurde, konnte man plötzlich mit billig produzierten Dance-Songs in den Charts landen, ohne ins Studio zu gehen. Diese Streuung der Produktionsmittel ist an sich natürlich toll. Allerdings sank in der Folge die Bereitschaft, Geld für Studioaufenthalte auszugeben – und sinkt immer weiter. „Es herrscht ein ganz schönes Dumping unter den Tonstudios“, sagt Krumme.

„Niemand mietet sich mehr monatelang im Studio ein und beginnt Songs zu schreiben“, berichtet Tobias Lehmann, „die Bands kommen mit genau ausgefeiltem Material.“ Eine Methode, die Produzent Moses Schneider mit dem Netzwerk „Transporterraum“ zum Prinzip erhoben hat. Er begleitet die Band im Proberaum bei der Fertigstellung der Songs – und sucht dann einen geeigneten Aufnahmeraum, in dem die Band per „One Take Recording“ direkt live einspielt. „Das führt zu Effizienz“, sagt Schneider und empfiehlt damit seine Methode nicht nur als kreative, sondern auch als wirtschaftliche Antwort auf die Umstände. Immer mehr Produzenten arbeiten auf diese Weise, leihen sich projektweise gegenseitig Räume und Technik und richten sich so auf den Trümmern der alten Studiowelt ein. Auch interessante neue Finanzierungsmodelle werden erprobt: Für die Produktion einer österreichischen Band wird Schneider jetzt von der Booking-Firma bezahlt – in Anteilen an Konzerteinnahmen.

Zumindest in Kreuzberg entsteht zur Zeit ein kleines Studio neben dem anderen, vor allem in der Forster Straße. „Wir können jetzt Tag und Nacht aufnehmen, wann wir Lust haben“, nennt Dirk Berger vom Produzenten-Team „The Krauts“ den Hauptvorteil der vor einem Jahr eingerichteten eigenen Räume. Der Verlag Warner Chappel schoss Geld vor. Hier entstand das neue Solo-Album von Seeed-Sänger Peter Fox und ein Remix für Amy Winehouse.

Während auf den ersten Blick die Studios zu verschwinden scheinen, wird in Wahrheit die Szene vielfältiger, erobern sich die Künstler immer mehr Kontrolle über den Produktionsprozess. Doch welche Auswirkungen hat das auf den Klang? Ein Stockwerk über dem Transporterraum liegt Gerd Krügers Tritonus-Studio. Hier haben schon die Einstürzenden Neubauten und Ton Steine Scherben eingespielt. „Als ich vor zwanzig Jahren anfing, war hier Dead End. Inzwischen ist die Gegend hip, das freut mich.“ Krüger profitiert vor allem davon, dass er zwar die digitale Revolution mitgemacht hat, aber immer noch auch auf altes Equipment setzt. „Die Arbeit mit dem Rechner führt dazu, dass die Qualität deutlich sinkt“, findet der Produzent. Nicht nur, dass die Verwendung der immer gleichen Produktionssoftware eine Gleichschaltung des Klangs begünstigt. „Der Klang wird trockener, bleibt stecken. Du spürst die Musik nicht mehr. Das ist wie zehn Millionen kleine Coiti interrupti.“

Nach dem Run auf digitale Technik versucht nun seit einiger Zeit jeder Tonmeister, sich auf dem brummenden Markt für Vintage-Technik mit alten Mikrofonen und Verstärkern einzudecken. Und Till Brönner kommt zu Gerd Krüger, um seine Aufnahmen aus dem Teldex-Studio nochmal über die Bandmaschine laufen zu lassen.

Gerade hat Altmeister Krüger wieder für drei Wochen Element of Crime zu Gast. Die nehmen aus Prinzip nur mit Band auf. Auf paradoxe Weise sorgen die alten Hürden für die Rückeroberung des für Kreativität so wichtigen Faktors Zeit: „Wenn du eine Aufnahme wiederholst“, erklärt Krüger, „dauert es immer noch eine Minute, bis das Band zurückgespult ist. Das gibt jedem nochmal Gelegenheit, darüber nachzudenken, was er gerade tut.“ Und am Ende steht das höchste Gefühl, das jedem Tonkünstler wiederfahren kann: etwas Unwiederholbares geschaffen zu haben.

Berlin, das bestätigt jeder in den Studios, ist zum Drehkreuz der internationalen Musikszene geworden

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