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U2-Konzert: Wir sind drin

Wo alles auf Größe angelegt ist, ragt nichts heraus: U2 und 90.000 Fans feiern einander im Berliner Olympiastadion. Sänger Bono, mal Missionar, mal Entertainer, mal Historiker, scheint wirklich Spaß am Leiden zu haben.

Paul David Hewson hat eine Erklärung für die seltsame Bühne vorbereitet, auf der er steht: „Hey, wir wollen näher zu euch ran.“ Netter Einfall vom Herrn Band-Direktor, den Frontalunterricht so kurz nach Ferienbeginn auch mal aufzulösen. Aber eigentlich eine Schnapsidee: Kein Mensch kann 90 000 Mitmenschen körperlich nahe kommen, da kann er noch so oft in alle Richtungen durchdrehen und über Laufstege joggen. Es sei denn, er sucht sich Verstärkung.

Let me in the Sound flimmert bei den Anfangstakten von „Get On Your Boots“ durchs Stadion. Ja, genau, darum geht’s: Wo ist noch gleich das Schlupfloch in dieser gigantischen Klangschale? Wo die Lücke im Wall of Sound?

Es dauert nur Sekunden, und jeder, der Ohren hat, ist drin. Der Sound hat nicht um Erlaubnis gebeten und sich die Masse einverleibt, mitsamt den Regenjacken und Rucksäcken und Bierbechern, mit Haut und Haaren. Der Innenraum des Olympiastadions – ein fleischfarbener Flickenteppich aus Unterarmen und Handflächen. Die Ränge – jubelnde, an- und abschwellende Menschenwellen. Da zittert das Glitzerfähnchen im Erdbeerpunsch, da beben die Bratwürste. Interessant in diesem Zusammenhang, dass Paul David Hewson aka Bono Vox sich in jugendlichem Leichtsinn ausgerechnet nach einem Dubliner Laden für Hörgeräte benannt hat. Da konnte er nicht ahnen, dass am 18. Juli 2009 halb Charlottenburg vom heimischen Sofa seine Zugaben mitsingen würde.

Der 49-jährige Sänger spielt an diesem Abend alle Bonos durch, die man gemeinhin kennt: Er ist leidenschaftlicher Entertainer, Masochist, Lehrer, Missionar – und natürlich Kämpfer für die Entrechteten und Unterdrückten. Aber es sind noch bisher unbekannte Facetten hinzugekommen: Der Mann ist jetzt auch noch Motivationsguru und Historiker. „Deutschland macht gerade harte Zeiten durch“, spricht er in sein Mikrofon. „Aber Deutschland ist auch kreativ und entspannt genug, um diese Probleme zu lösen.“ Aha. Und später: „Vor zwanzig Jahren fiel die Mauer.“ Danke für den Hinweis, auch im Namen der jüngeren Fans, die Bono nur mit Gucci-Sonnenbrille im Gesicht kennen und „With or Without You“ zu U2s reichlich versponnenem Frühwerk zählen.

Das Problem ist: Wo alles von vornherein auf Größe angelegt ist, kann nichts wirklich herausragen. Aber ein paar Momente gibt es doch, in denen das Quartett seine Konsens-Komfortzone verlässt – indem es den besten Song von der aktuellen Platte „No Line On The Horizon“ zuerst brutal in den Shredder stopft, um ihn dann als sehr diesseitige, ausgelassene Bongo-House-Version auferstehen zu lassen. „I’ll Go Crazy If I Don’t Go Crazy Tonight“ entwickelt einen aufregenden Sog, während die vier Bandmitglieder dazu als nickende Köpfe auf der Leinwand zu sehen sind. Bitte unbedingt mehr davon, möchte man rufen – aber rufen geht beim Stadionrock ja so schlecht, es gibt keine Pause zwischen den Songs, wir befinden uns auch dank des selbstverliebt bis selbstvergessen dröhnenden Gitarristen The Edge im Inneren des Sounds so wie Jonas einst im Wal.

So geht der Ausflug in den BongoHouse auch leider viel zu schnell in die ewige Protestnummer „Sunday Bloody Sunday“ über. Diesmal ist Mahmud Ahmadinedschad dran – das Olympiastadion leuchtet in der Farbe der iranischen Opposition. Komischer Zufall, dass Grün auch die Farbe (Nord)-Irlands ist, jedenfalls gilt offenbar bis ans Ende aller Zeiten: How long must we sing this song? Wie lange müssen wir dieses Lied bitteschön noch singen? Ginge es nach den Tausenden, die einstimmen, könnte es für die nächsten zehn Jahre so weitergehen: How long? How lo-ho-ho-ho-ong?

Ein bisschen Las Vegas gibt es auch: Mit „City of Blinding Lights“ von dem 2004er Album „How To Dismantle An Atomic Bomb“ schießen Lichtstrahlen aus der Pickelhaube der Bühnenkonstruktion in eben jenen Himmel, auf den Wim Wenders ein Copyright angemeldet hat. Und ja, „Stay“ aus seinem Film „In weiter Ferne, so nah!“ kommt auch dran. U2, das kann man wohl mit Sicherheit sagen, behaupten mit beängstigender Nachdrücklichkeit, wahre und wirkliche Hauptstadt-Fans zu sein („Du bist so wunderbar, Berlin.“) Außerdem bedanken sie sich brav – ähnlich wie Robbie Williams, der sich einmal bei MTV für seine drei Häuser, fünf Autos und seine Supermodel-Freundin bedankte – beim Publikum für „das Leben, das ihr uns ermöglicht“.

Verdächtig still bleibt es, als die Rock-Show zur politischen Demonstration morpht. U2 gedenken der in Birma unter Arrest stehende Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi mit einem irischen Schlaflied, wozu Fans mit Gesichtsmasken der Aktivistin über die Bühne laufen dürfen. Dann dreht sich das verrückte Friedensnobelpreisträger-Karussell auch schon schwungvoll weiter: mit einem Geburtstagsständchen für Nelson Mandela und einer Videobotschaft von Desmond Tutu.

Fast ist es so, als sähe sich Paul David Hewson auch gern in dieser erlauchten Reihe; nominiert war er immerhin schon mal. Zu viel Gutmenschentum passt aber weder zu Bongo-House noch zu den alten Hits wie „I Still Haven’t Found What I’m Looking For“. Aber wenn man zum Feiern da ist, kann man mit dem geführten Ausflug in die Weltverbesserei immerhin das Gewissen streicheln. Um kurzfristige Erlösung ging es bei U2 irgendwie schon immer.

Ganz zum Schluss, es ist endlich dunkel geworden, legt Bono einen Anzug mit roten Leuchtdioden an. Seine Hände umklammern eine Art Lenkrad, das von der Decke baumelt und in dessen Mitte das Mikrofon eingebaut ist. So schmachtet er „Moment of Surrender“ – ein bisschen peinlich, ein bisschen Pose. Aber der Mann scheint wirklich Spaß am Leiden zu haben.

Was von dieser massiven Show übrig bleibt? Die Frage, was danach kommen kann. Eigentlich nur eine kleine Clubtour, damit sich der 360-Grad-Kreis schließt.

Dass alle gut nach Hause kommen sollen, wünscht Bono. Oder auf Englisch: „Safe and sound.“ Die Klangschale öffnet sich bereitwillig, und 90 000 strömen heraus.

Bleibt nur das Problem mit der S-Bahn. Doch Bono hat ja gesagt, dass Deutschland kreativ genug ist, um seine Probleme zu lösen: Schnell weg zur U2. 

Esther Kogelboom

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