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Popkomm 2007

© - Foto: ddp

Popkomm: Die Wasserverkäufer

Über den zukünftigen Vertrieb von Musik ist man sich nicht einig. Auf der Popkomm verabschieden sich die Plattenfirmen von sich selbst.

Vor wenigen Jahren glaubte die Musikindustrie, sie würde untergehen. Aber es ist schlimmer gekommen. Heute befindet sie sich mitten im Umbruch. Und die Hälfte all der Bemühungen, sich im Zeitalter der digitalen Inflation neue Geschäftsfelder zu erschließen, sind umsonst. Keiner weiß allerdings, welche.

Nie zuvor hat die Popkomm ein so trostloses Bild abgegeben. Wieder haben die großen Plattenfirmen ihre Messe-Repräsentanzen mit dem Chic von Hotel-Lobbys versehen, umgeben vom Gewusel an über achthundert Kleinlabels, T-Shirt-Bedruckern, Management- und Beratungsfirmen, Presswerken und Softwareklitschen. Gewiss, man kann die Popkomm für ein grandios überschätztes Ereignis halten. Aber die Stimmung war besser, als sich die Bilanzeinbrüche wenigstens noch im freien Fall befanden. Mag der Umsatz auch weiterhin rückläufig sein, im letzten Jahr belief er sich auf moderate 2,4 Prozent, sein dramatisches Potenzial hat er eingebüßt.

Die Thermodynamik des Top- oder-Flop-Spiels, das dem Musikbusiness von jeher seinen hitzigen Reiz verliehen hat, ist in einen Prozess kalter Abwicklung übergegangen. Der Phonoindustrie schwant, dass sie den Zustand der Schrumpfung nicht nur nicht auf Dauer, sondern schon sehr bald nicht mehr wird aushalten können. Dann werden die Plattenmultis zu Schleuderpreisen an Finanzinvestoren wie Guy Hands gehen. Der hat vor Wochen das Traditionshaus EMI gekauft, das die Rechte am Werk der Beatles, Beach Boys, von Pink Floyd und Queen hält. Vielfach wurde Hands auf der Popkomm mit der Forderung zitiert, die EMI dürfe Profite nicht nur mit CDs machen, die sich über 2 Millionen mal verkaufen. Die Gewinnschwelle sollte schon bei 200.000 Stück liegen.

Finanzinvestoren denken pragmatisch. Von der Sache selbst haben sie keine Ahnung. Denn welches Album findet überhaupt noch 200.000 Abnehmer, die dafür bezahlen wollen? So zieht es EMI denn auch vor, sich auf der Popkomm rar zu machen. Marktriese Universal hat eine verspiegelte Kaaba aufgebaut, ein herrlich orakelndes Pop-Symbol für den sich im Narziss-Fluch der Gegenwart entziehenden Kern. Konkurrent SonyBMG dagegen lässt mit einer Art Tempelanlage erkennen, wie sehr man sich schon zur Antike zählt. Das große weiße Nichts ist so geschickt vor die Ausgänge platziert, dass die Menschen in zwei Säulengängen ungehindert hindurchströmen. Die Zukunft liegt jenseits der Türen.

"Knackige" Retortengeschöpfe

Musikinstrumente finden sich in den Hallen unterm Berliner Funkturm nicht. Auch ist es gespenstisch still. Musik darf nicht laut gespielt werden, leise zischelt es aus Laptops. Musiker tauchen daher nur gelegentlich auf. Ein paar von ihnen schlüpfen am Donnerstag durch eine Seitentür des nahe gelegenen Funkhauses, um eine spärlich möblierte Bühne zu betreten. Warner Music lässt die Girl-Group Monrose vor Händlern und Medienleuten tanzen. Der Moderator kündigt „knackige Mädels“ und „knackige Songs“ an. Man sieht das diszipliniert, maskenhafte Lächeln dreier Retortengeschöpfe. Dann geht es „knackig“ weiter. Unter anderem mit Craig David, dem britischen R’n’B-Star, der sich, nur begleitet von einem furiosen Gitarristen, durch sein an Liebesschmonzetten reich gesegnetes Repertoire rappt. Auch David hat natürlich ein neues Werk vorzustellen, aber das, was sich hier vor den Augen der 250 Zuschauer abspielt, an Mut, Spielwitz, Spontaneität, geht weit über einen Werbeauftritt hinaus.

Solche Konzerte bestätigen, was später Scott Cohen, Gründer des weltweit größten Internetvertriebs The Orchard, sagen wird: Die großen Plattenfirmen machen nichts falsch. Sie nehmen noch immer die richtigen Künstler unter Vertrag und dominieren die oberen Hitparadenränge. Allein es mangelt an einer Strategie, sich aus der Entwertungsspirale der mp3-Ära zu lösen. Während die Plattenfirmen das Internet als Ergänzung zu ihrem eigentlichen Tonträgermarkt in den Griff zu kriegen versuchen – CD-Verkäufe machen noch immer 80 Prozent des Gesamtumsatzes aus –, werden auf den Popkomm-Foren ständig neue Bilder bemüht, um das Netz zu beschreiben. Für Leute wie Cohen ist es eine gigantische Gelddruckmaschine. Allerdings mit negativem Effekt: Indem jeder Song beliebig oft hergestellt werden kann, verliert er seinen Wert.

Aber noch aus einem anderen Grund dämpft der Amerikaner gelassen die Hoffnungen auf den Download-Markt. Selbst wenn es gelänge, führt er aus, sämtliche Online-Bewegungen in Geld zu verwandeln, käme man nicht annähernd auf den Stand von vor zehn Jahren. Der digitale Musikverkehr wird nie die 40 Milliarden Dollar kompensieren, die dem Markt im vergangenen Jahrzehnt entzogen wurden.

Angesichts solcher Rechenexempel ist die Verzweiflung groß. So groß, dass mit Billy Bragg gar ein bekennender Linker und Fürsprecher einer Gebührenregelung als Gastredner in der Höhle des Löwen auftreten darf. Ihm habe die Idee nie behagt, erzählt der Engländer mit seinem rauen Cockney-Akzent, dass Plattenfirmen Musikern einen Kredit für Songs vorschießen, an denen sie danach die Rechte halten. „Wenn ich mir für ein Haus Geld bei der Bank leihe, gehört das Haus, sobald ich die Schulden abbezahlt habe, ja auch nicht der Bank.“ Sinnvoller, als sich mit Musikern um Verwertungsrechte zu streiten, so Bragg, sei eine Regelung wie man sie aus dem Email-Verkehr kennt. Statt jeden einzelnen Download bezahlen zu müssen, wird der Musikkonsum über eine monatliche Abgabe geregelt. Die Musikwirtschaft würde nicht mehr vom Konsumenten bezahlt, sondern vom Provider, der entsprechende Serviceleistungen anbietet: „Wissen Sie, wie viel eine Email kostet? Ich auch nicht.“

So zeichnet sich im Diskussionsraum dieser Popkomm deutlich die Tendenz zur Vergesellschaftung ab. Steuer- und Lizensierungsmodelle werden erwogen. Es wird nach Pauschalregelungen gesucht, für deren Durchsetzung es allerdings der Politik bedarf. Denn die hat ein gewichtiges Wort mitzureden, wenn zum Beispiel über GEMA-Gebühren auf mp3-Player und Computer nachgedacht wird. Plötzlich sollen Download-Plattformen den Status von Bibliotheken erhalten, finanziert von Leuten, die vielleicht nie in ihrem Leben einen Song herunterladen.

Aber will sich die Musikwirtschaft wirklich in die Fänge einer Gebührenordnung begeben? Sollen Politiker mitbestimmen, wenn über Künstler-Budgets entschieden wird? Und dürfen Plattenfirmen dann womöglich kein Geld mehr für häusergroße Werbeplakate ausgeben, die das Star-System ankurbeln? „Wenn wir nicht bald ein praktikables Lizensierungsverfahren entwickeln“, prognostiziert der Autor Gerd Leonhard („End of Control“), „wird Musik in fünf Jahren nur noch kostenlos zu haben sein.“ Als Beispiel führt er den Triumphzug des Radios an. Zunächst wurden DJs, die in ihren Sendungen Rockplatten spielten, von den Plattenfirmen als Piraten verteufelt; Regelungen, wie viel ein Künstler für einen Song on air erhalten sollte, kamen nicht zustande. Bis ein US-Bundesgericht entschied, dass Millionen Radiohörer unmöglich kriminalisiert werden dürften. Da war es zu spät, ihnen einen fairen Preis abzuverlangen.

Die Preise werden auch heute wieder von anderen gemacht, von Computerherstellern. Und so ist vielleicht das Bild vom Wasser am besten geeignet, um den Stellenwert von Musik zu beschreiben. Es sei doch erstaunlich, sagt Gerd Leonhard am Rand der Popkomm, dass in Ländern, in denen das klarste und trinkbarste Wasser aus der Wand kommt, der Absatz an Mineralwasserflaschen, die mühsam etikettiert und mit Lastwagen durchs Land kutschiert werden, am höchsten ist.

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