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Porträt: Abgang auf Gummischuhen

Als Konzertmeister saß Guy Braunstein bei den Philharmonikern 13 Jahre in der ersten Reihe. Nun widmet er sich ganz seiner Solokarriere. Eine Begegnung.

Er braucht jetzt erst mal ganz dringend einen Espresso. Sieben Wochen lang hat Guy Braunstein seine Wohnung nicht gesehen, weil er auf Tour war. Tags zuvor stand in Bukarest noch ein Konzert an, bei dem er sowohl als Solist wie als Dirigent auftrat. Um halb vier Uhr morgens ist er aufgestanden und nach Berlin geflogen, wo ihn Daniel Barenboim schon erwartete. Vier Stunden haben sie für ihren Auftritt im Kammermusiksaal geprobt.

Guy Braunstein küsst der Tresenkraft in der Philharmonie-Kantine beide Hände, bevor er den starken Kaffee bestellt, ruft einem Küchenhelfer scherzhafte Bemerkungen auf Arabisch zu, stürzt das kleine Tässchen noch im Stehen herunter – und verschwindet, sorry, vor dem Gespräch noch für eine schnelle Zigarette auf den Raucherbalkon hinterm Instrumentenlager. Seine wertvolle Ruggieri-Geige, Baujahr 1679, lässt er vertrauensselig beim Interviewer liegen.

Wie immer hat der 42-Jährige Crocs an den Füßen. Seit er vor ein paar Jahren entdeckt hat, wie bequem die Gummischuhe sind, trägt er sie drinnen wie draußen, auch wenn die Berliner Philharmoniker auf Tournee sind. Seit dem Jahr 2000 gehört er zu der Truppe. Claudio Abbado und die Musiker machten den Israeli zum jüngsten Philharmoniker-Konzertmeister aller Zeiten. Damals hatte sich der Geiger bereits eine beachtliche Solokarriere aufgebaut. Als bekannt wurde, dass Kolja Blacher in Berlin aufhören würde, ermutigten Musikerfreunde Guy Braunstein, sich zu bewerben. „Ich bin bis heute davon überzeugt, dass die einen im Tee hatten, als sie mich genommen haben“, sagt er. Denn die Entscheidung, für den Posten vorzuspielen, sei eine ganz egoistische gewesen. „Als Solist hatte ich oft das Gefühl: Ich habe noch nicht erreicht, was ich erreichen könnte. Irgendwann kam mir der Gedanke: Vielleicht verstehe ich die Konzerte von Brahms und Beethoven besser, wenn ich auch ihre Sinfonien spiele, als Orchestermitglied.“

So gesehen, waren die 13 Jahre bei den Philharmonikern eine Art Fortbildungsmaßnahme, bei der sich Guy Braunstein den letzten, entscheidenden Schliff für seine Solokarriere geholt hat. Wenn er sagt: „Ich kann meinen Orchesterkollegen niemals genug danken, dass sie mir die Chance gegeben haben, diese Erfahrungen zu machen“, dann kommt das hörbar aus tiefstem Herzen.

Seine Lehrjahre absolvierte Braunstein in Tel Aviv

Denn normalerweise wird der Job des Konzertmeisters eher als dienende Funktion gesehen. Er soll ein Mittler zwischen Dirigent und Orchester sein, ein primus inter pares, der die nonverbale Kommunikation der unterschiedlichen Stimmgruppen koordiniert, seinen Kollegen im rhythmischen Notfall zeigt, wo’s langgeht, falls der Dirigent mal ins Schwimmen kommt. „Für mich ist ,Konzertmeister’ kein Titel“, betont Braunstein. „Ich bin nicht mehr wert als jeder andere auch.“ Damit passt er sehr gut in die basisdemokratisch organisierte Truppe von Selbstdenkern, die sich Berliner Philharmoniker nennt, denkt man, während der übernächtigte Geiger in seinen Crocs zu einer weiteren Nikotinpause auf den Balkon schlappt.

Am Anfang dieser ungewöhnlichen Künstlerbiografie stand ein Streit. Bei dem die Blockflöte des kleinen Guy auf dem Kopf seines Bruders zerbrach. Statt Zoff mit den Eltern bekam er die Chance, sich ein anderes Instrument auszusuchen. Die Wahl des Achtjährigen fiel auf die Geige, und obwohl er zunächst nicht gerne übte, wurde sein immenses Talent erkannt. Es folgten harte Lehrjahre bei Chaim Taub in Tel Aviv. „Viele Schüler konnten seine aggressive Art nicht aushalten“, erzählt Braunstein. „Ich aber verdanke ihm nicht nur eine gründliche Ausbildung, sondern auch die Tatsache, dass ich nie Lampenfieber habe.“

Und das kam so: Auf seiner ersten Solotournee sollte Braunstein das heikle Violinkonzert von Jean Sibelius in München spielen. Mehr als eine knappe Stunde hatte er nicht, um das Orchester in der Probe kennenzulernen. Als er abends zitternd hinter der Bühne wartete, wurde ihm plötzlich klar, dass zum ersten Mal sein Lehrer nicht im Saal sein würde. Da fiel alle Nervosität von ihm ab – und kam bis heute nicht wieder.

Locker absolvierte Guy Braunstein darum auch sein Berlin-Debüt 1992: Zubin Mehta brachte ihn zu den Philharmonikern mit, für den Violinpart in Beethovens Tripelkonzert. „Ich leistete gerade meinen Wehrdienst und war darum auf dem Kopf raspelkurz rasiert“, erinnert er sich. „Das sah zum Frack schrecklich aus. Aber mein Vorgesetzter, bei dem ich darum gebettelt hatte, mir die Haare für diesen wichtigen Auftritt ein ganz klein wenig wachsen lassen zu dürfen, blieb hart.“

Natürlich gäbe es auch Dinge, die ihn bei den Philharmonikern stören, sagt Guy Braunstein, als er sich wieder an den Kantinentisch fallen lässt. Damit habe er nie hinterm Berg gehalten. Zum Beispiel fordert er mehr Mut bei der Repertoireauswahl. „Im Gegensatz zu den allermeisten anderen Orchestern sind die Philharmoniker in der glücklichen Lage, dass die Leute nicht nur dann kommen, wenn Blockbuster gespielt werden. Darum, finde ich, müssen wir uns noch viel öfter risikoreiche Programme leisten, mit neuen, unbekannten oder zu Unrecht vergessenen Stücken.“

Die von den Medien gemachten Superstars sind nicht immer die Besten

Ähnlich verhält es sich für Guy Braunstein mit der Wahl der Dirigenten und Solisten. Warum, fragt er, wird regelmäßig dieser oder jener von den Medien gemachte Superstar eingeladen, obwohl doch alle Beteiligten wissen, dass es Interpreten mit weniger klingenden Namen gibt, die die betreffenden Stücke viel aufregender oder erhellender spielen können? Namen will er nicht nennen. Braucht er aber auch nicht. Denn jedem Klassikkenner fallen da schnell einige Negativbeispiele ein.

Weil es bei den Philharmonikern vier Konzertmeister gibt, die sich die Konzerte teilen, konnte Guy Braunsteins Solokarriere auch während seiner Berliner Jahre nebenbei immer weiterlaufen. Als sich in der Szene herumsprach, dass er in diesem Sommer aufhört, wurde er von den Konzertveranstaltern geradezu überrannt. Für die kommenden beiden Spielzeiten ist er bereits ausgebucht, seinen ersten Auftritt als Solist mit einem anderen Berliner Spitzenorchester wird er gleich im Herbst haben, mit dem Mendelssohn-Konzert bei der Staatskapelle. Am heutigen Dienstag aber tritt er erst einmal in der Reihe „Konzertmeister konzertieren“ auf. Mit seinem Mentor Daniel Barenboim wird er im Kammermusiksaal Sonaten von Richard Strauss, George Enescu und Claude Debussy interpretieren.

Das nahe Ende seines Arbeitsvertrags macht Guy Braunstein übrigens nicht sentimental. Weil es nur ein Abschied auf dem Papier ist: „Die Philharmoniker werden meine Familie bleiben. Immer.“

Das heutige Konzert ist ausverkauft. Beim „Intonations“-Festival im Jüdischen Museum spielt Braunstein am 22. April.

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