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Kross neu

© ddp

Porträt: David Kross und die Lektionen der Liebe

Erst 18 Jahre alt und fast schon ein internationaler Filmstar: In „Der Vorleser“ wird David Kross von Kate Winslet verführt. Vor den Liebesszenen hatte er erst ein wenig Angst.

Das ist nicht mehr der Neuköllner Junge aus Detlev Bucks „Knallhart“. Wie er da so nackt vor Kate Winslet in der Badewanne steht – kein Zweifel: das ist ein Mann. Die Kleinere hier, die Zerbrechlichere, Hilflosere ist sie, doppelt so alt wie er.

Aber als wir uns nachher treffen, ist David Kross doch eher wieder Michael Polischka. Jünger, scheuer als im „Vorleser“, der heute im Wettbewerb Premiere hat. Wie David Kross da in seinem schwarzen Kapuzenshirt – in dem er in Neukölln nicht auffallen würde, wohl aber hier – durch das Berliner First-Class-Hotel läuft, wirkt er fast wie ein Junge, der das Zimmer seiner Eltern nicht finden kann.

Sogar die Turnschuhe könnten die alten sein. Also nicht die Zehlendorf-Turnschuhe, in denen Michael Polischka einst den feindlichen Boden Neuköllns betrat und die ihm sofort geklaut wurden. Nein, die anderen, die geborgten Stoffschuhe, die er den Freunden irgendwann zurück auf ihren Balkon stellt. Da ist er schon erwachsen, viel zu schnell, viel zu traumlos. Solche Schuhe trägt er jetzt.

Damals, in Detlev Bucks Film „Knallhart“, war er fünfzehn. Jetzt ist er achtzehn. Ohne ihn wäre das ein anderer Film geworden. Ja, ohne ihn wäre das überhaupt nichts geworden. David Kross deutet ein Lächeln an und senkt leicht den Kopf: „Danke.“ Er hört es nicht zum ersten Mal.

Er weiß, er muss das können in seinem Beruf: Lob entgegennehmen und dabei keinesfalls arrogant wirken, aber auch nicht zu bescheiden. Und in irgendwelchen Hotelsuiten sitzen und mit Menschen reden, die man gar nicht kennt, über Dinge, über die man vielleicht gar nicht reden möchte, und die schreiben alles mit. Manchmal wäre er wohl doch lieber wieder in der Schule.

„Ein Freund meines Bruders liest in der Oberstufe gerade den ‚Vorleser‘. Der war ganz erstaunt, dass ich den spiele.“ Also hat Stephen Daldry (der vorher „Billy Elliot“ und „The Hours“ inszeniert) hier eine Schullektüre verfilmt? – „Ja, natürlich“, antwortet Kross und scheint kurz zu überlegen, ob er die Beine auf den Tisch legen soll, entscheidet sich aber dagegen. Obwohl sein Gesicht kein Jungengesicht mehr ist, wirkt es noch immer fast unbeschriftet, in manchen Momenten beinahe einfältig. Eigentlich ist er genau der Typ, den man übersieht. Das ist großartig. Denn auf wenigen Gesichtern hat das Leben die Chance, so deutlich seine Spuren einzutragen. Und dabei trifft es keinesfalls nur auf ein Medium, sondern da setzt sich ihm etwas entgegen, immer neu überraschend. Damals in „Knallhart“ bei den Angriffen der Neuköllner Gang. Jetzt bei der erotischen Attacke Kate Winslets.

Gut, dass er nicht älter ist. So hatte er weniger Gelegenheiten, sich in Kate Winslet zu verlieben. 1997, als alle „Titanic“ sahen, war David Kross sieben, und seine Mutter fand es wohl unpassend, kleine Kinder mit großen Schiffsuntergängen zu erschrecken: „Ich habe den, glaube ich, gar nicht gesehen. Höchstens mal halb im Fernsehen.“

Natürlich hat er Bernhard Schlinks „Vorleser“ anders aufgeschlagen als die Gleichaltrigen in der Schule. David Kross hatte es einerseits besser, denn er musste sich die Bücher, die man zum historischen Hintergrund lesen sollte, nicht selbst besorgen. Sein Regisseur persönlich brachte sie ihm, tütenweise. Aber er las den „Vorleser“, wie man eine Rolle studiert, die man gleich spielen soll. Das ist anders, suchender, ängstlicher, gespannter. Und dann prallte er zurück: „Da sind Sexszenen drin!“

Die Lese-Erschütterung steht noch jetzt in seinem Gesicht. Neukölln mag hart sein, aber ist Sex mit Kate Winslet, und die ganze Welt schaut zu, nicht irgendwie noch härter? Vor allem, wenn man gerade achtzehn geworden ist und aus Bargteheide bei Hamburg kommt. Und sein Leben in den letzten drei Jahren, wenn andere sich zum ersten Mal und ganz unbeobachtet verlieben, größtenteils vor der Kamera verbracht hat.

Noch befindet sich David Kross in einem merkwürdigen Niemandsland, oder besser: in jener Niemandszeit, da man nicht mehr Kind ist, aber auch noch nicht ganz auf die andere Seite gehört. David Kross spricht schon mal davon, was „die Erwachsenen“ sagen, was „Erwachsene“ tun. Er merkt nicht, dass das Wort bereits seltsam wirkt in seinem Mund. Andererseits passt es genau in eine Lebenssituation, da die eigene Mutter einem noch erklären kann: Du spielst in diesem Film nur mit, wenn deine Noten am Ende des Schuljahres zufriedenstellend sind!

„Ich hab das geschafft“, sagt David Kross, „sogar besser als zufriedenstellend“.

Was, Sie haben mit Marco Kreuzpaintner „Krabat“ gedreht und mit Stephen Daldry den „Vorleser“ angefangen und nebenbei noch Abitur gemacht? Nein, Abitur nicht. Ich geh nicht mehr zur Schule.Aber nach „Knallhart“ haben Sie noch gesagt, ihre nächste große Prüfung wäre das Abitur? Bei Drehtagen von manchmal zwanzig Stunden zu „Krabat“ hätte das wohl keiner geschafft, antwortet Kross. Es ging um die zehnte Klasse. Und die hat er jetzt, die mittlere Reife, und noch eine ganz andere, für die es keine Zensuren gibt.

Kate Winslet war die Letzte, die zum Dreh kam. Er zählte in latenter Panik die Wochen, dann die Tage. Seinen 18. Geburtstag im letzten Sommer hat er dann schon mit ihr gefeiert. Er wusste genau, was das für ein Datum war. Denn bis du achtzehn bist, hatte Stephen Daldry ihm erklärt, müssen wir mit den Liebesszenen warten. Dabei brauchte Daldry wie damals Buck einen Fünfzehnjährigen, und nun verlor er kostbare Zeit nur wegen der Gesetze und der sexuell correctness.

David Kross hat das Liebesabitur mit Kate Winslet bravourös bestanden. Schließlich haben die ältere Frau und der Junge im Film nicht viel mehr als die Sprache der Körper. Und die der Bücher natürlich. Er gibt die Anerkennung gleich weiter: „Stephen war eine ganz große Hilfe. Wir haben lange zu dritt geredet. Wir mussten“ – Viertellächeln aus den Mundwinkeln – „auch nichts improvisieren. Stephen wusste genau, was er wollte.“ Wir reden noch ein wenig über Technik und Sexualität, und darüber, in wieweit sich das eine ins andere auflösen lässt. Kross‘ Mutter hat den Film auch schon gesehen. Er hat ihr gut gefallen.

„Und Englisch sprechen Sie jetzt bestimmt viel besser als Ihre früheren Mitschüler! Die üben nicht mit Kate Winslet und Ralph Fiennes. Und wie Sie Horaz in Latein und Homer auf Griechisch gelesen haben. Absolute Oberstufe!“

„Ich weiß nicht. Ich spreche mittlerweile mehr Kambodschanisch. Kambodschanisches Englisch. Bei der Premiere in New York musste ich den Reportern die geschichtliche Thematik des ‚Vorlesers‘ erklären. Es klang sehr kambodschanisch.“

Er hat gerade seinen neuen Detlev-Buck-Film abgedreht. Der spielt vor allem in Kambodscha und ist wieder eine Liebesgeschichte. David Kross beeindruckt nicht zuletzt durch die Art, wie er sich ohrfeigen lässt. Jenny Elvers und Kate Winslet haben das bereits getan. Nun also eine Kambodschanerin.

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