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Begehrt. Schauspielerin Antonia Bill, 26, steht regelmäßig im Berliner Ensemble auf der Bühne. Und ist jetzt auch mit einem Solo im Renaissance-Theater zu sehen.

© Doris Spiekermann-Klaas

Porträt der BE-Schauspielerin Antonia Bill: Können kommt von wollen

Glanz macht viel Arbeit - das weiß niemand besser als die junge Schauspielerin Antonia Bill, die das „Kunstseidene Mädchen“ am Renaissance Theater spielt.

Quicklebendig sieht sie aus. Ganz und gar nicht wie ein Opfer. Dabei haben Männer sie zuschanden gemacht. Gleich an zwei Theaterabenden hintereinander. Am Vorabend endete sie in Bertolt Brechts Groteske „Hans im Glück“ als Wasserleiche, heute Abend in Schillers Tragödie „Kabale und Liebe“ trinkt sie tödliches Gift. Antonia Bill lacht. Sie stirbt gern Bühnentode. „Vorher hast du dich hochgespielt, dann liegst du zitternd da und versuchst, flach zu atmen – das ist so ein schizophrener Akt.“

Ihre Augen sind blank, der Blick frei, ihre Stimme klingt tiefer als die ihrer Frauenfiguren. Kühl fegt der Nachtwind über den Hof des Berliner Ensembles. Gleich elf, die Ensemblekollegen kommen aus der Garderobe und streben die Treppe runter in die Kantine. Feierabendabsacker. Vorher hatte Antonia Bill von schauspielerischen Kämpfen geschrieben, die sie mit der Rolle der Luise immer wieder ausfechte. Jetzt schüttelt die Schauspielerin die undankbaren weiblichen Theatertode des klassischen Repertoires ab wie ein Hund Wassertropfen. „So sind halt die jungen Frauenrollen.“ Sie ist 26 und seit zwei Jahren festes Ensemblemitglied.

Der schöne Sabin Tambrea, ihr Partner in „Kabale und Liebe“, biegt mit eingezogenen Schultern um die Ecke. „Trinkst du noch was mit uns?“, fragt ihn die Frau, die er vor einer Dreiviertelstunde auf der Bühne aus vermeintlich enttäuschter Liebe ermordet hat. Er schüttelt den Kopf. Ein anderes Mal. Jetzt will er heim, schlafen.

Ausruhen. Eigentlich eine prima Idee, für Jungschauspieler aber schlecht zu leben. Die haben, wenn sie gut und gefragt und begeisterungsfähig sind und lieber Ja als Nein sagen, ein Pensum wie auf der Galeere. Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit. Das totzitierte Bonmot von Karl Valentin ergab nie mehr Sinn als jetzt, wo Antonia Bill in der Novemberkälte vor der BE-Kantine steht und ihren dichten Proben- und Vorstellungsplan nach einem Gesprächstermin absucht. Sie ist in zwölf Stücken zu sehen. 22 Vorstellungen spielt sie im Dezember.

Wenn man sich dann noch die Proben mit Regisseur Carsten Golbeck und Pianist Rainer Bielfeldt für die One-Woman-Show „Das kunstseidene Mädchen“ dazu denkt, die am Dienstag im Renaissance-Theater uraufgeführt wird – puh. Antonia Bill selbst ficht das nicht an. Sie kann was und sie will noch mehr. So ein gesungenes und gespieltes Solo wie die Dreißiger-Jahre-Geschichte nach dem Roman von Irmgard Keun sei nach den ganzen Ensemblerollen ja gerade schön. Nur einen ruhigen Gesprächstermin zu finden – schwierig, schwierig. Jetzt kommt erst mal die Premiere der neuen Produktion „Der Streit“. Sie spielt in Haußmanns „Woyzeck“, in der Produktion „Wiener Lieder“, unter Claus Peymann, der sie ans Haus geholt hat, unter Thalbach oder Bondy. Sie blättert und blättert. Dann hat sie was. „Wie wäre es Mittwochnachmittag zwischen Probe und Peter-Pan-Vorstellung?“ Gemacht. Noch ein Scheinwerferlächeln, bevor die Kantinentür sie verschluckt.

Antonia Bill spielte auch In Edgar Reitz’ viel gerühmter Hunsrück-Elegie „Die Andere Heimat“ von 2013.

Antonia Bill ist eine, an der das Auge hängen bleibt. Nicht, weil sie groß ist (ist sie nicht) oder schön (ist sie), sondern weil die in München geborene und in Erlangen aufgewachsene Absolventin der Schauspielschule Ernst Busch ebenso frisch und fröhlich wie ernst und konzentriert aufspielt. So zu erleben auch schon im Kino: In Edgar Reitz’ viel gerühmter Hunsrück-Elegie „Die Andere Heimat“ von 2013. Da spielte Antonia Bill in ihrer ersten Filmhauptrolle das Jettchen. Und wie sie das tat. So zart, so robust, so naiv und entschlossen, dass man sie unbedingt wiedersehen wollte.

Wenn das nur so einfach wäre. Besagter Mittwochnachmittag ist da, nur die Probe für „Faust I und II“ doch noch nicht aus. Antonia Bill schickt eine Entschuldigungs-SMS nach der nächsten, verschiebt und verschiebt. Schon kurz vor sechs, als sie endlich mit stressgeröteten Augen in der Kantine des Berliner Ensembles steht. Die anderen proben immer noch. Sie durfte gehen. „Gar nicht leicht, sich aus der Probe zu schleichen, wenn Robert Wilson und Herbert Grönemeyer, der die Musik schreibt, vor einem sitzen.“ Das glaubt man nur zu gern.

Musik ist überhaupt das Stichwort. Das „Kunstseidene Mädchen“, die Bühnenfassung der tragikomischen Geschichte vom Provinzmädel, das nach Berlin kommt, um am Theater oder beim Film „ein Glanz“ zu werden, ist nicht das erste Mal, dass Antonia Bill solo singt. Sie ist von Kindesbeinen an auf Chanson geprägt. Schon im zarten Alter von neun Jahren ist sie mit Tim Fischer aufgetreten und hat das „Stroganoff“-Lied gesungen. Im Kleinkunsttheater Fifty-Fifty in Erlangen, wo sie mit Mutter, Vater, Schwester ein Familienkabarettprogramm aufführte. Den Berliner Pianisten Rainer Bielfeldt hat sie dort schon mit fünf kennengelernt und später an der Ernst Busch als Dozenten wiedergetroffen. 2011 hat sie er am Klavier begleitet, als sie den Bundeswettbewerb Gesang in der Sparte Chanson gewann.

Da war es zum gemeinsamen „Kunstseidenen Mädchen“ nur ein kurzer Weg. Den harten Kampf der Heldin Doris um Anerkennung in der Welt findet sie ziemlich aktuell. „Wir jungen Schauspieler haben auch alle den Wunsch nach Einzigartigkeit.“ Und ihre liebe Not damit, bei Regisseuren der Kategorie „alte Meister“ Gehör zu finden. Edgar Reitz nimmt sie da ausdrücklich aus. Der sei über 80, doch ganz und gar offen und interessiert an Schauspielermeinungen. „Das ist einer, der Respekt vor der Jugend hat.“ Vor einer wie ihr, die was kann und noch mehr will. Berühmt werden vielleicht, so wie Keuns Romanheldin? „Ein Glanz kann man nur sein, werden kann man das nicht.“

Der Lautsprecher knackt. „Antonia Bill in die Maske“ schallt es durch die Kantine. Sie stürzt ihre Brause runter. In einer knappen Stunde beginnt „Peter Pan“.

Renaissance-Theater: „Das kunstseidene Mädchen“ Di 9.12. (ausverk.), wieder am 13.1.15, 20 Uhr; Berliner Ensemble (Auswahl): „Woyzeck“ So 7.12., 19 Uhr, „Hans im Glück“ Sa 13.12., 19 Uhr, „Kabale und Liebe“ Mi 17.12., 19.30 Uhr

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