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Chronist Berlins. Der Maler, Zeichner und Dichter Matthias Koeppel am Pariser Platz.

© Mike Wolff, TSP

Porträt: Empörung aus Liebe

Ein Spaziergang mit dem Maler, Dichter und Berlin-Chronisten Matthias Koeppel – aus Anlass seiner Schau im Ephraim-Palais.

Gleißend weiß wölbt sich der Himmel über dem Pariser Platz, wolkenlos, konturenlos, stimmungslos. Kein Matthias-Koeppel-Himmel. Bei dem Maler ist immer Drama dabei, da dräut, glüht und dämmert es. Und doch schieben sich zu Beginn unseres Spaziergangs Realität und Kunst auf merkwürdige Weise ineinander. Koeppel wartet in schwarzem Mantel und Aktentasche vor dem Brandenburger Tor. Immer wieder hat er den markanten Bau aus unterschiedlichen Perspektiven gemalt. Immer wieder hat er sich selbst ins Bild eingebaut. Erst jüngst, für ein Gemälde anlässlich seiner am heutigen Freitag eröffnenden Ausstellung im Ephraim-Palais der Stiftung Stadtmuseum. Die Schau zeigt 100 Werke aus sechs Jahrzehnten – die umfassende Präsentation eines Malers, der als der Chronist Berlins gilt.

Koeppel findet, das Brandenburger Tor sei alleine deshalb bemerkenswert, weil es auf der Welt nur wenige Architekturen gibt, die so leicht zu erkennen sind. „Drei Striche und ein Querstrich, mehr braucht es nicht.“ Aber natürlich ist der mit der Quadriga bekrönte Bau vor allem ein Symbol für Berlin und seine Geschichte. „Für den Irrsinn der Teilung“, sagt Koeppel. 1937 in Hamburg geboren, kam er Mitte der 50er Jahre zum Malerei-Studium an die damalige Hochschule für die Bildenden Künste nach West-Berlin. Und blieb.

„Warum?“ Koeppel bleibt auf dem Weg durch das Brandenburger Tor zwischen den Säulen abrupt stehen. „Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.“ Dabei macht er sich so viele Gedanken über diese Stadt! Koeppel hält ihre Umbrüche und Aufbrüche fest, die Teilung, den Mauerfall, die neue Mitte und zuletzt Großprojekte wie den Flughafen BER. Der Titel der Ausstellung „Himmel, Berlin!“ ist alles zugleich: Seufzer, Empörung, Liebesbekundung. Er bedeutet, die Stadt ist ein nicht versiegender Quell für künstlerische Auseinandersetzung. In Koeppels großformatigen Gemälden wird ständig etwas abgetragen und wieder aufgebaut, es ist eine Kunst der Baustellen. Der größte Abriss hängt im Abgeordnetenhaus, es ist das Triptychon „Die Öffnung der Berliner Mauer“, im Mittelteil fast viereinhalb auf vier Meter groß.

Auch beim Spatenstich zum Kanzleramt war Matthias Koeppel dabei. „Es war eisig kalt und furchtbar windig, der Sand flog in die Augen der Politiker. Alle hatten ihre Hüte abgesetzt, damit sie von den Fernsehkameras besser erfasst werden konnten“, erinnert sich Koeppel, hundert Meter davon entfernt einen Stopp einlegend. Das ist er, der feine Beobachter. „Es war ganz schön schwierig, an eine Einladung zu kommen“, sagt er. Unbedingt wollte er dabei sein. Andere hätten vielleicht zur Fotokamera gegriffen. Koeppel zückte seinen Skizzenblock. Mit wenigen Strichen hält er Gruppenkonstellationen fest und pickt sich einzelne Menschen heraus. Seine Panoramen sind von fotografischem Detailreichtum, aber das Skizzieren erlaubt ihm, instinktiv das Wesentliche zu ergreifen.

Auf seinem Gemälde von 1997 steht Kohl prominent im Vordergrund, umringt von lauter Prominenz, die dem Spektakel wie Theaterzuschauer beiwohnt. Der Kanzler bückt sich und hält den Spaten unbeholfen in der Hand. Politiker sind eben keine Bauarbeiter. Aber sie wollen die größtmögliche Inszenierung. Einen würdevollen Auftritt gönnt Koeppel Kohl und allen anderen Honoratioren auf seinen Gemälden nicht.

Für diesen kritisch-ironischen Blick ist er ausgezeichnet worden: 1998 erhielt er den Verdienstorden der Bundesrepublik am Bande. Eine gewisse Respektlosigkeit hat sich Koeppel immer bewahrt. Los ging es 1973, da gründete er zusammen mit Manfred Bluth, Johannes Grützke und Karlheinz Ziegler die „Schule der Neuen Prächtigkeit“. Die Maler wendeten sich damals gegen die Dominanz der abstrakten Kunst, wollten realistisch malen und antworteten auf Dogmatismus und starre Künstlervereine mit eigenen Manifesten, „gegen praktische Strumpfhosen, Geringschätzung des Endreims, verkrachte Tischlerei“. Damals, in den rauchverhangenen Ecken der Wilmersdorfer Künstlerkneipe Natubs entstand auch das sogenannte Starckdeutsch, ein Kunstsprache, in der Koeppel noch heute dichtet. Denn das ist er auch, Lyriker.

Und Professor. Von 1981 bis 2003 lehrte er freies Zeichnen und Malen an der Technischen Universrsität Berlin, ein Künstler der alten Schule, im besten Sinn. Koeppel lässt Freunde und Bekannte in seinem Atelier in der Ackerstraße Modell stehen, wenn er Faltenwürfe studieren will oder die verkürzten Proportionen einer gehobenen Hand. Später werden diese Studien dann in seine großen Gesellschaftsbilder eingefügt, die vom Aufbau und der Lust am Erzählen her immer auch ein wenig wie Historienbilder aus dem 19. Jahrhundert wirken.

Was unterscheidet Koeppel von einem Karikaturisten? Seine Figuren sind Menschen der Zeitgeschichte, doch man muss sie nicht erkennen. „Für den Sinn des Bildes ist das nebensächlich“, findet er. Stadtgrößen werden auch wieder klein. Was bleibt, sind ihre Gesten und Mienen in den Bildern des Menschenbeobachters Koeppel, die zur Schau gestellten Eigenschaften von Charakterköpfen – und Details, die eine zeitliche Verortung möglich machen, Baseball-Kappen, Cola-Dosen, Laptops.

Koeppel ist aber auch ein ernst zu nehmender Porträtist. Er hat Johannes Rau und Horst Köhler für die Galerie ehemaliger Bundespräsidenten im Rathaus Tiergarten verewigt. Dabei sagt er: „Dieser tiefschürfende Versuch, das Innere des Menschen zu fassen, ist nicht mein Metier. Interpretierende Gesichtszüge liegen nicht in meinem Empfindungsbereich.“ Koeppel kann sich wunderbar vorsichtig ausdrücken. Und fast entschuldigend erzählt er, dass er im sanften Wilmersdorf lebt, statt im wilden Kreuzberg.

„Es gibt eben auch bürgerliche Künstler“, sagt er. Und schaut Richtung Max-Liebermann-Haus. Wir haben eine Runde gedreht und sind wieder am Pariser Platz angekommen. Just an der Stelle, wo Koeppel stand und das Hotel Adlon malte. Ein Bus mit der Aufschrift „Das neue Berlin“ fährt auf dem Gemälde vorbei. Es ist Koeppels Kommentar zur Rekonstruktion des Hotelbaus. Koeppel schaut nach oben: „Langsam wird’s.“ Der Himmel ist aufgerissen, erste Wolkenfetzen sind zu sehen. Blau blitzt hindurch.

Stadtmuseum Berlin, Ephraim-Palais, Poststraße 16, bis 28.9., Di, Do-So 10-18 Uhr, Mi 12-20 Uhr

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