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Kultur: Porträt-Serie: Zufällig zugehörig

Der aktuelle Bezug kam unerwartet und fügt sich den Bildern hinzu. Die Fotografin selbst aber zögert, die Porträt-Serie aus dem letzten Jahr von der neuen politischen Lage überlagern zu lassen.

Der aktuelle Bezug kam unerwartet und fügt sich den Bildern hinzu. Die Fotografin selbst aber zögert, die Porträt-Serie aus dem letzten Jahr von der neuen politischen Lage überlagern zu lassen. "In Israel beschloss ich, Soldaten zu fotografieren," schreibt Rineke Dijkstra, "weil in der israelischen Gesellschaft die Armee eine herausragende Rolle spielt." Eine dieser Soldatinnen ist Abigael. Die junge Frau war gerade zur Luftwaffe eingezogen worden. Sie hatte den ersten Tag Dienst, als Dijkstra sie am 18. Dezember vorigen Jahres traf. Abigael schob eine Schulter nach vorn, hielt den Kopf gerade, öffnete mokant den Mund und blickte mit geschärften Augen frontal in die Kamera, als wollte sie einen Schuss abprallen lassen. Ihre Intensität vibriert. Man hält es für vorstellbarer, dass sie im nächsten Moment zuschlägt, sich grußlos umdreht und den Schauplatz verlässt, als dass sich ihre Anspannung in einem Lächeln entlädt. Spekulationen - man erfährt über die junge Frau nichts als die optischen Daten und den Vornamen. Sie gibt sich am ersten Tag in der Armee kämpferisch und entzieht sich mit demselben Gestus: das Gegenstück zur süffisanten Selbstzufriedenheit Mona Lisas.

Die anhaltende Faszination des Porträts - sei es in der Malerei oder Fotografie - liegt wohl darin, dass sich jeder kompetent fühlt, die Abgebildeten, in dem was sie sind und was sie sein wollen, zu erkennen. Man schaut in ein Gesicht, entdeckt die Haltung in der Pose, die Geste im Blick und macht sich Gedanken. Die Freiheit zur Spekulation entzündet sich am Tatbestand optisch unveränderlicher Daten. Dabei hat das Schema "Vorher-Nachher" seinen Reiz behalten. Dijkstra fotografierte Abigael auch in ziviler Kleidung. Man erkennt sie kaum wieder. Sie lässt die Schultern hängen, hält den Kopf leicht schräg, will offenbar nur hübsch und nett wirken und unterwirft sich der Fotografin. Die Spannung ist auf Null.

Die 1959 in Holland geborene und nun in Berlin lebende Rineke Dijkstra ist mit Ganzkörperporträts von Jugendlichen, die im Badeanzug fröstelnd am Strand stehen, bekannt geworden. Sie stellte sie frei in den Raum und hielt die Zeit an. Danach fanden sich die Porträtierten in Ausstellungen und Museen wieder. Dijkstra interessiert sich nicht für die Darsteller, sondern für ihre Darstellung auf dem Bildträger. Deshalb erscheinen sie als bloße Oberflächenphänomene, die umso mehr zu Projektionen einladen, desto eindringlicher die Spannung zwischen Kamera und Person wirkt. Zu sehen sind Typisierungen.

Parallel zur Ausstellung der Porträts junger Israelis (20 000 bis 50 000 Dollar), zeigt die Galerie Hetzler in ihrer neuen Dependance Dijkstras Video "Buzzclub / Mysteryworld": junge Menschen in einer Disco. Wenige scheinen die Kamera zu bemerken. Sie kommen isoliert ins Bild und tanzen zur Musik aus der Ferne. Es geschieht dasselbe wie bei den Fotos. Man meint zu erkennen, wie die Tänzer und Tänzerinnen sind, in dem wie sie sich geben. Für den Discoabend haben sie sich in in extrem enge Kleidung gezwängt, die mehr entblößt als verdeckt. Dijkstra lässt eine stillgestellte Kamera die Bewegungen registrieren. Frauen tanzen mehr mit der Hüfte, Männer eher mit den Schultern. Sie treten auf und ab als ginge man in einem Club herum und würde mal diese, mal jene Tänzerin ins Auge fassen. Plötzlich trifft man die erste wieder - Andy Warhols Prinzip des "Interview".

Im Gegensatz zur Idolisierung der Porträts von Warhol oder Thomas Ruff bewahren die Porträts von Dijkstra die Suggestion menschlicher Nähe. Man meint nicht das Bild, sondern den Menschen vor sich zu haben und nimmt eine entsprechende Blickbeziehung auf. Die Absicht der Künstlerin besteht darin, die Porträts eine Bildgeschichte erzählen zu lassen. Denn es gibt nichts, das die Darsteller mit den Personen im Kunstraum verbindet. Ihre Geschichte bleibt im Dunkeln. Nur ihre Zugehörigkeit zum Kollektiv bezeichnet sie und kontrastiert mal mehr, mal weniger mit der Selbstinszenierung. Es hätten auch andere Jugendliche sein können, die ins Bild gesetzt werden. Das große Thema der Zufälligkeit strukturiert das Panorma der Erwählten. Darin liegt der ebenso merkwürdige wie schwer zu fassende Sinn dieser Serien.

Peter Herbstreuth

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