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Kultur: Posen und Possen

Reinhild Hoffmann bringt Strauss’ „Ariadne auf Naxos“ an der Berliner Staatsoper zum Tanzen

In den Proszeniumslogen warten Masken auf ihren Auftritt, während das (musikalische) Vorspiel zum (szenischen) Vorspiel erklingt. Fabio Luisi dirigiert die Staatskapelle Berlin partiturgetreu flexibel, so dass die Tempi ineinander gleitend beredt werden: sehr lebhaft, etwas mäßiger, grazioso, accellerando. Der Orchesterklang erblüht, obwohl der Graben sparsam besetzt ist. Luisis musikalische Intelligenz macht die archaisierenden Elemente des Werkes und die Stilmittel des 20. Jahrhunderts bewusst: die Farben (der Konzertflügel als Continuo-Instrument), das Vorantreiben der zauberischen Harmonien, der Fluss changierender Bewegung. Ein Vergnügen, das gelegentliche Unsicherheiten zwischen Bühne und Graben wegwischt...

Die Aufforderung zum Tanzen und Singen, die von den Komödianten Harlekin, Scaramuccio, Truffaldin und Brighella ausgeht, weist der Regie den Weg. Reinhild Hoffmann, Protagonistin des deutschen Tanztheaters neben Pina Bausch, Hans Kresnik und Susanne Linke, betritt im Musiktheater neue Räume: Ihre Inszenierung der „Ariadne auf Naxos“ ist tanzgeboren und schließt dabei eine eigene Körpersprache sowie eine Tendenz zur bildenden Kunst ein. Sie nimmt alle Bewegung der Musik auf, aber die Versuchung, sie zu „vertanzen“, ist ihr fremd. Man kann sich über das Verdikt Alfred Kerrs erheitern, der 1913 nach einem Besuch der „Ariadne“ (in der Erstfassung) maulte, wie langweilig die Antike auf den Brettern sei, „vorwiegend Bildung, fahl und traurig“. (Dabei ist Kerrs Meinung zur Strauss-Musik nicht die schlechteste: „Wie von einem Mozart, der holdes Meistersingerweben und Leo Fall studiert hätte.“)

Seit 1916 existiert das Vorspiel „im Hause des reichsten Mannes von Wien“. Im Mittelpunkt steht, laut Hofmannsthal ein „Verliebter, Genarrter, Kind, Sieger und Besiegter“, der junge Komponist: Naturgemäß will er verzweifeln, als er den Befehl seines Auftraggebers vernimmt, die Tanzmaskerade um „die ungetreue Zerbinetta und ihre vier Liebhaber“ nicht als Nachspiel, sondern gleichzeitig mit der heroischen Oper „Ariadne auf Naxos“ aufführen zu lassen. Hat der gnädige Herr, dessen Gemeinheit dem armen Komponisten „entgegengrinst“, den Kritiker Kerr gelesen? Jedenfalls zünden die Argumente des vermeintlich banausischen Mäzens wie die der Zerbinetta: Das Trauerstück verträgt sich mit der Buffa, gewinnt sogar.

Mehr Gleichzeitigkeit war nie als in Reinhild Hoffmanns Vergegenwärtigung an der Berliner Staatsoper. Meistens bevölkert das ganze Personal der beiden Truppen, das der Clowns und das der Seria, sowie im Vorspiel auch ihre jeweiligen Schöpfer und Leiter die Bühne, um auf einander zu reagieren. Bespricht also der Komponist mit seinem Musiklehrer den Ernst der Lage und die Möglichkeit eines lustigen Nachspiels zu „Adriadne“, so formiert sich Zerbinetta mit ihrem Tanzmeister zum stehenden Bild, preziös wie ein Werk des barocken Porzellanmeisters Bustelli. Bis die Komödiantin wieder lebendig wird und in Lachen ausbricht. Umgekehrt erstarren der Musiklehrer, die posierende Primadonna, die später Adriadne sein wird, und der gerade von musikalischer Inspiration heimgesuchte Komponist, wenn der Tanzlehrer sein leichtfertiges künstlerisches Credo in einer Ariette preisgibt. Rivalitäten, Kleiderwechsel, Spiegelungen hinter den Kulissen: Alles wird zu Motionen. Das Vorbild, die Commedia dell’ arte, kommt ja auch aus der Akrobatik und dem Tanz.

Die Bühne (Hartmut Meyer) der eigentlichen Oper stellt keine „wüste Insel“ dar, sondern ein Sportambiente, das zu Skateboard-Artistik taugt. Vielleicht ist es ein verwaister Swimmingpool des Grafen. Und den Bacchus kann man schon für einen modernen Götterboten halten, „Hermes heißen sie ihn“, wenn er blitzartig darin auftaucht. Vorher aber verbandeln sich die Nymphen der Seria mit den Possenspielern: ein tragikomisches Klettern, Rutschen, Belauschen, bis drei traurige Clowns unter den Tüllröcken der drei Damen verschwinden.

Dass dem Konzept, wie dem Stück selbst, bisweilen der lebendige Atem ausgeht, soll nicht verschwiegen sein. Auch nicht, dass es hinsichtlich des Librettos von Hofmannsthal und seiner sensiblen Wort-Ton-Beziehungen Grenzen hat. Jedenfalls spaltet es das Publikum. Hinzu kommen Besetzungsprobleme. Lisa Gasteen in der Titelpartie bietet eher breites Singen als Interpretation, etwa bei den charakteristischen Septimensprüngen oder den Oktavsprüngen auf den Wörtern „Licht“ (pp!) und „Leben“. Der Schauspieler Thomas Thieme verschenkt die Rolle des Haushofmeisters. Katharina Kammerloher geht der androgyne Charme, das „Jünglingshafte“ (Hofmannsthal), des Komponisten ab. Sie ist Frau im Herrenhabit, stimmlich hell und bemüht. Neben dem Strahletenor Sergej Larin wird immerhin ein respektables Ensemble aufgeboten: Michael Volle (der prägnant artikulierende Musiklehrer), Dietmar Kerschbaum (Tanzmeister), Klaus Häger (Harlekin), Peter Menzel, Gerd Wolf, Andreas Schmidt (Komödianten) sowie Ekaterina Siurina, Simone Schröder und Carola Höhn (Nymphen).

Bleibt Zerbinetta. Die phänomenale Sopranistin Laura Aikin – Lifestyle in Kostüm (Andrea Schmidt-Futterer) und Rollenbild – fasziniert auch dann, wenn sie nur ihren zweitbesten Tag hat.

Weitere Vorstellungen am 9., 11., 13., 17., 19., 21. und 26. Juni

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