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Kultur: Potsdamer Platz: Langzeitaufnahmen

Der Potsdamer Platz war noch vor fünf Jahren eine geschichtslose Steppe, eine trostlose Öde in Berlins Mitte. Heute ist er einer der dicht bebautesten Orte Deutschlands.

Der Potsdamer Platz war noch vor fünf Jahren eine geschichtslose Steppe, eine trostlose Öde in Berlins Mitte. Heute ist er einer der dicht bebautesten Orte Deutschlands. An der Atmosphäre mangelt es noch, denn noch haben keine Geschichten hier ihre Spuren hinterlassen. Und schon kann man sich kaum mehr an die Zeit der Bauarbeiten erinnern, daran, wie sich einzelne Schichten allmählich zu einem Ganzen verdichteten. Dass die Vergangenheit vorbeihusche, meinte Walter Benjamin. Und dass man sie nur festhalten könne "als Bild, das auf Nimmerwiedersehen im Augenblick seiner Erkennbarkeit aufblitzt".

Diese Geschichte, die sonst am Betrachter immer nur vorbeihuscht, ist auf Michael Weselys Bildern festgehalten. Fünf Kameras hat der Münchner Fotograf im Frühjahr 1997 rund um den Potsdamer Platz installiert, in beheizte Klimakästen eingepackt, um sie nach zwei Jahren Belichtungszeit wieder abzubauen. Durch die extrem lange Belichtungszeit - rund fünf Milliarden fotografische Augenblicke konzentrieren sich in einem Bild - legen sich auf seinen Fotos unterschiedliche Zeitschichten übereinander. Weselys Fotos scheinen aus einem Kommen und Gehen, einem Auf- und Abblenden von Eindrücken zu bestehen. Noch ist eine Bauruine gut zu erkennen, aber schon im nächsten Augenblick kann sie sich wieder verflüchtigt haben. So wie sich die Kräne aus der Anfangszeit der Bebauung bereits in schemenhafte Konturen aufgelöst haben. Halbfertig Gebautes geht in die Fassaden der vollendeten Hochhäuser über.

Die Bilder versuchen nicht, die sowieso nie einzuholenden Wirklichkeit abzubilden. Sie suggerieren Möglichkeiten vieler Erinnerungen, so wie sie in Fantasien oder Träumen für einen Moment aufblitzen könnten. Und geben dadurch jedem Betrachter den Raum, den Potsdamer Platz mit der Geschichte zu füllen, die er assoziiert. Selbst die Sonne, das einfallende Licht, wird zum unwirklichen Bezugspunkt, der sich in diagonalen Kurven über die Bilder legt. Gleichsam als ob eben noch ein Engel da gewesen wäre. Vielleicht Benjamins Engel der Geschichte? Oder war es jenes geflügelte Wesen, das sich schon längst wieder in den unermesslichen "Himmel über Berlin" zurückgezogen hat?

clk

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