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In der vor 100 Jahren

© mauritius images

Poznan: Schloss mit Preußen

Kaiser Wilhelm baute hier seine letzte Residenz, Hitler baute sie um. Poznan steckt voller polnisch-deutscher Geschichte und sucht ein neues Image.

Das Kaiserwetter ließ auf sich warten. Kurz bevor Kaiser Wilhelm II. am 20. August 1910 gegen 16 Uhr mit Frau und Tochter – die Prinzen waren schon da – in Posen eintraf, fegten Sturmböen durch die girlandengeschmückte Innenstadt. Als Wilhelms Sonderzug eintraf, war dann doch die Sonne durchgebrochen. Der Kaiser wollte sein neues Residenzschloss einweihen, in schwerer deutscher Neoromanik errichtet nach Entwürfen von Franz Heinrich Schwechten, Berlinern bekannt als Architekt der KaiserWilhelm-Gedächtniskirche. Das Posener Schloss sollte das letzte sein, das sich ein deutscher Kaiser bauen ließ. In diesem Sommer wird es hundert Jahre alt.

Bei der Festansprache versprach Wilhelm IR – für „Imperator Rex“, was Spötter mit „immer reisefertig“ übersetzten –, nun regelmäßig präsent zu sein in der 300 Kilometer östlich von Berlin gelegenen Provinzhauptstadt, in die preußische Beamte mit einer Sonderzulage gelockt werden mussten. Bis 1793 hatte Posen, das heutige Poznan, zu Polen gehört; noch 1910 lebten mehr Polen als Deutsche in der Stadt – eher gegen- als miteinander. Wer in Posen baute, tat das, weil er etwas beweisen wollte.

Architektur, so einer der Glaubenssätze von Architekten, ist unpolitisch. Steine könnten ja nichts dafür, wenn Potentaten ihr Volk ungefragt mit Megatürmen, Riesenachsen und Ökostädten beglücken. Gegenthese: Politische Architektur bleibt politisch, selbst wenn man Hakenkreuze wegmeißelt und Propagandabilder übertüncht. Oder abreißt, wie den Palast der Republik in Berlin. In Poznan ist man einen klügeren Weg gegangen, obwohl die Schlossgeschichte mit Wilhelm längst nicht beendet war.

Der Kaiser sah seine Residenz nur noch ein Mal – 1915, während des Ersten Weltkriegs, für eine einzige Nacht. Zwischen 1919 und 1939 diente das Schloss in der nunmehr wieder polnischen Stadt als Sitz der neugegründeten Universität und als Absteige des polnischen Staatspräsidenten. Von 1940 bis 1944 ließ Adolf Hitler es als Führerresidenz umbauen. Sein Leibarchitekt Albert Speer empfahl einen jungen Mitarbeiter, Franz Böhmer, der im Innern kaum etwas übrig ließ von Kaisers Gepränge und lediglich einen „Führerbalkon“ am Turm hinzufügte.

Adolfs Lampenladen, bis zu den güldenen Kandelabern im Treppenhaus weitgehend in der Fassung von 1944 erhalten, nur punktuell ergänzt im Stil polnischer 60er-Jahre-Moderne, ist eine historische Herausforderung. Auf deutsche Touristen ist man im Schloss, seit 1962 zum Kulturpalast umgewidmet, nicht vorbereitet.

Dabei versucht sich die westpolnische Wirtschaftsmetropole, die jedes Jahr eine halbe Million Messegäste und dazu viele andere Geschäftsreisende empfängt, gerade als Kulturstadt und Ziel deutscher Städtetouristen neu zu erfinden. Jung ist Poznan dank 140 000 Studenten. Die Innenstadt lockt mit Restaurants und Clubs, Altmarkt und Renaissance-Rathaus sind postkartentauglich. Mit dem „Maltafestival“, benannt nach einem zentrumsnahen Badesee, das noch bis zum 3. Juli läuft, richtet Poznan eines der bedeutendsten Sommer-Theaterfestivals Europas aus. 2016 will man Kulturhauptstadt Europas werden. Doch selbst der stellvertretende Stadtpräsident Tomasz Kayser spricht offen über Poznans Dilemma: „In anderen Städten baut man Denkmäler für Künstler, Feldherrn, Politiker. In Poznan ehrt man lieber Unternehmer.“

Ein Image kann man wechseln, Geschichte bleibt. Die fünftgrößte Stadt Polens besitzt rund ums Schloss ein Architekturensemble, das einmalig ist in Europa. Dort wartet, bestens konserviert, das preußische Posen: repräsentative Bauten wie die Hauptpost, die einstige Königliche Akademie, nun Aula der Adam-Mickiewicz-Universität, das ehemalige Stadttheater, jetzt Opernhaus. Alle 1910 eröffnet, Letzteres natürlich mit der „Zauberflöte“. Am 30. September gastiert die Berliner Staatsoper mit Mozarts Versöhnungsoper.

Das Kaiserforum, das keines mehr ist, entstand anstelle des geschleiften Festungsgürtels auf halber Strecke zwischen Hauptbahnhof und Altmarkt: damals modernster Städtebau, großstadttauglich. Anstelle des Bismarck-Denkmals steht nun ein Denkmal für den Posener Aufstand von 1956, der 76 Todesopfer forderte. Es wurde Polens Kommunisten von der Solidarnosc abgerungen und 1981 durch Lech Walesa eingeweiht.

Gleich nebenan im Schloss Kaiser Wilhelms residiert das kommunale Kulturzentrum „Zamek“. Vor zwei Jahren sind seine Fassaden und Dächer denkmalgerecht renoviert worden. In Hitlers Arbeitszimmer, einem Sarkophag aus braunrotem Marmor, dem Arbeitszimmer in der Neuen Reichskanzlei in Berlin nachgebildet, finden gelegentlich Kunstausstellungen statt. Auch Kindertheatergruppen, das Posener Marionettentheater, Künstlerstudios und Büros sind im Schloss untergekommen. Ansonsten: endlos leere Gänge. Und sehr viel massiver dunkler Naturstein. Ab dem Spätsommer soll jedoch weiter modernisiert werden.

Dass während der Fassadenrenovierung in der Lokalpresse Leserbriefschreiber danach fragten, warum man Geld in die deutsche Zwingburg pumpt, zeigt, wie schwer das Schloss auf dem kollektiven Geschichtsbild Poznans lastet. Anders als in Danzig oder Breslau, wo seit ein paar Jahren deutsches Kulturerbe wiederentdeckt, aufpoliert, als Teil der regionalen Identität begriffen und touristisch vermarktet wird, lässt sich die 125-jährige Geschichte Poznans unter dem Preußenadler nur als Zwangsherrschaft beschreiben.

Mit der dritten polnischen Teilung 1795 war Polen von der europäischen Landkarte verschwunden und zehn Prozent von Preußens Staatsbürgern plötzlich polnische Katholiken. Was im preußischen Großherzogtum Posen unter König Friedrich Wilhelm III. als liberaler Versuch begann, halbwegs zivilisiert miteinander auszukommen, steigerte sich in der nationalistischen Bismarck-Ära zum Kampf um Kultur, Sprache, Religion, Wirtschafts- und Grundbesitz.

Ende des 19. Jahrhunderts wurde aus dem Nationalitäten- ein Rassenkonflikt. „Deutsch war vor alten Zeiten der Grund und Boden, auf dem wir hier stehen, und wenn während der Völkerwanderungszeit slawische Volksstämme sich hier niederließen, so ist dieses Land durch Gottes Fügung, durch völkerrechtliche Verträge und durch die Schärfe des Schwertes wieder an Deutschland gekommen“, hetzte der Vorsitzende des 1894 gegründeten Ostmarkenvereins Heinrich von Tiedemann. Von einem „Schicksalskampf“ zwischen Germanen- und Slawentum war schon damals die Rede. Die Nazis haben aus derlei Rhetorik verbrecherischen Ernst gemacht. Sie deportierten polnische und jüdische Bürger Posens, obwohl Letztere zu Kaisers Zeiten mehrheitlich auf Seiten der Deutschnationalen gestanden hatten. Gauleiter Arthur Greiser ließ die Hauptsynagoge zur Schwimmhalle umbauen. Das Bad in dem bis zur Unkenntlichkeit entstellten Gebäude ist bis heute in Betrieb, der Jüdischen Gemeinde Poznans fehlt das Geld für den Rückbau.

In Poznan begegnet man auf Schritt und Tritt architektonischen und mentalen Spuren einstiger Rivalität. Am Wilhelmplatz, heute Plac Wolnosci, bauten nationalbewusste polnische Bürger Posens 1873–1875 mit privaten Spenden ihr eigenes Theater; 1878/1879 wurde mit Staatsgeldern gleich gegenüber ein deutsches Theater finanziert, natürlich noch größer und prächtiger. Die Polen besaßen seit 1829 mit der von Graf Eduard Raczynski gestifteten Bibliothek ein Kleinod; 1902 eröffnete folgerichtig die deutsche Kaiser-Wilhelm-Bibliothek als eine der modernsten ihrer Zeit.

Die großartige Gemäldesammlung von Athanasius Raczynski – er sammelte deutsche Spätromantiker, aber auch Menzel und Böcklin – war zu Lebzeiten des Grafen in Berlin öffentlich zugänglich und wird seit 1903 im Posener Kaiser-Friedrich-Museum ausgestellt, dem heutigen Nationalmuseum Poznan. Prunkstück noch immer: Die Leinwandfassung von Wilhelm von Kaulbachs monumentaler „Hunnenschlacht“, die der Künstler später als Wandbild im Treppenhaus des Neuen Museums in Berlin ausführte. Die Berliner Fassung ist seit Kriegsende zerstört; die Posener hängt in einem Raczynski gewidmeten Bildersaal, der wie eine Dependance der Berliner Nationalgalerie wirkt. Es gibt so viele historische Verbindungslinien zwischen beiden Städten.

Die Kulturpolitik in Poznan setzt klar andere Prioritäten. Auf der Dominsel, wo unlängst Reste der ersten Piastenresidenz ausgegraben worden sind, macht Vize-OB Kayser im Gespräch klar, schlägt das historisch-touristische Herz der Stadt, nicht im Kulturschloss oder im Museum. Dort, an der „Wiege Polens“, soll ein neues Besucherzentrum entstehen. Das Herz kulturaffiner Zeitgenossen schlägt, wie in Berlin, ohnehin nicht für Schlösser, sondern für die abgewrackten Kathedralen des Industriezeitalters. Kommerziellstes Beispiel einer halbwegs geglückten Transformation ist das Einkaufszentrum „Stary Browar“, in eine alte Brauerei hineingebaut mit dem Geld des in London lebenden Posener Milliardärs Jan Kulczyk.

Ein Gegenmodell stellt die städtebauliche Entwicklung des alten Posener Gaswerks dar. Dort will die Stadt mitgestalten. Mit EU-Fördermitteln, städtischen Geldern und den Erlösen aus Grundstücksverkäufen hofft man, 15 bis 20 Prozent der Industriebauten für Konzerte, Ausstellungen, Ateliers und ein Artist-in-Residence-Programm herzurichten. Das Gaswerk ist momentan gewissermaßen Poznans Kulturluftschloss.

Die Kulturstadt Poznan sucht noch nach dem gemeinsamen Nenner. Altes und Neues, Erbe und Offenheit, ökonomische Dynamik und der lange Atem, den Kunst und Erinnerungskultur brauchen, haben noch nicht recht zueinander gefunden. Die Geschichte bleibt geteilt: in geliebte und ungeliebte Phasen. So überzeugt in Poznan vor allem das Unfertige, Leichte, Improvisierte – vielleicht ohnehin eine besondere polnische Stärke.

Die Künstlerin Joanna Rajkowska, international bekannt durch ihre Palme im Warschauer Zentrum, einem Provisorium, das zur ständigen Sehenswürdigkeit geworden ist, wird im Rahmen des diesjährigen Maltafestivals ihre Installation „Minarett“ realisieren. Der Schornstein einer alten Papierfabrik, zwischen Dominsel und einstiger Synagoge, verwandelt sich mittels Projektion und eingespieltem Muezzingesang für ein paar Tage in ein Minarett. Nur vordergründig geht es um Islamdebatten, in einem viel weiteren Sinn um den Umgang mit Minderheiten, die in polnischen Großstädten nur noch Folklore sind oder kaum öffentlich präsent. Der Leiter des „Maltafestivals“ Michal Merczynski bleibt optimistisch: „Das Projekt kann realisiert werden, weil es sich in Gedanken längst realisiert hat.“ „Minarett“ ist ein jahrelang vorbereiteter und heftig umstrittener Versuch. Er sucht das Eigene im Fremden.

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