zum Hauptinhalt
Hauptstraße einer Weltmacht. Hier flutet noch der Abendverkehr auf der Via dei Fori Imperiali am Kolosseum vorbei.

© imagebroker / vario images

Prachtstraße in Rom wird autofrei: Seine Majestät, die Spitzhacke

Mussolini ließ die berühmte Via dei Fori Imperiali zu einer Prunk- und Protzallee ausbauen. Dabei ging er rabiat vor. Jetzt wird ein Teil der Straße im Herzen Roms für den Verkehr gesperrt.

Diese Straße ist Traum und Albtraum zugleich. Damit es sie gibt, haben Diktatorenwillkür und Größenwahn unermesslich viel zerstört. Andererseits hat die „Via dei Fori Imperiali“ der Stadt Rom eine ihrer berühmtesten Sichtachsen geschenkt. Den „klassischen“, den freien Blick aufs Kolosseum halten Billionen von Fotos und Ansichtskarten fest. Die Welt sieht Rom so, wie der faschistische Führer, Benito Mussolini, seine Reichshauptstadt hat sehen wollen. Unausrottbar. Und doch, einen Fortschritt gibt es: Am heutigen Samstag soll die „Straße der Kaiserforen“ autofrei werden. So, jubeln die Lokalzeitungen, habe es der neue Bürgermeister Ignazio Marino verfügt. Aber bei genauerem Hinschauen – bloß, wer tut das in Rom schon?

„Groß, groß, groß“ wollte Mussolini die Ewige Stadt haben, „so weit, so geordnet, so mächtig wie in den Zeiten des Ersten Reichs unter Kaiser Augustus“. Der Sohn eines Schmieds und einer Lehrerin aus der Provinz, der als junger Mann nur Verachtung übrig hatte für „diese enorme Vampir-Stadt, die der Nation das beste Blut aus den Adern saugt“ – als er im Oktober 1922 die Macht an sich gerissen hatte, machte er eine ganz andere Rom-Ideologie zum Kern seines Faschismus. Rom sollte neu erstehen als Herrin, als Lehr- und Zuchtmeisterin der Nationen.

Der „Duce“ sah sich in direkter Linie mit den antiken Kaisern, und um das auch optisch-propagandistisch herauszustreichen, musste alles weg, was sich in den „1600 Jahren der Dekadenz“ dazwischen angesammelt hatte: vor allem die mittelalterlichen und die barocken Wohnviertel mit ihren verschlungenen Gassen, mit den Hühnern und den Schafen in den Winkeln, mit der Wäsche auf den Balkonen, kurz: dieser ganze „düstere Haufen von Hütten und Bruchbuden“, „dieser ganze malerische Dreck da“. Schneisen galt es zu schlagen, wie es ein halbes Jahrhundert zuvor im „modernen“ Paris unter Napoleon III. – eben eines Kaisertums würdig – dem Stadtplaner Georges-Eugène Haussmann vergönnt gewesen war. Die Freilegung der Antike verordnete Mussolini: „In unserem, im Dritten Rom, müssen sich die Jahrtausend-Kunstwerke unserer Geschichte in der Einsamkeit als Riesen entfalten.“

Mit großflächigen, eher überhasteten als planmäßigen Abrissarbeiten im historischen Stadtzentrum begann Mussolini bereits 1924 oder – wie es auf seinen Inschriften bis heute heißt – „im Jahre 2 E.F.“, also der faschistischen Ära. Wenn dann der Duce sich persönlich oben aufs Dach stellte, „der Reichsgründer mit seiner athletischen und kraftvollen Figur“, und wenn er selbst den ersten Schlag mit „Seiner Majestät, der Spitzhacke“ führte, dann „applaudierte die Menge umso lebhafter und lauter“, jubelten Zeitungsberichte von damals mit.

Die Entkernung des Stadtzentrums stellte für Mussolini natürlich eine besondere Herausforderung dar. Dort hatte er aber Vorgänger: Schon Ende des 19. Jahrhunderts hatten die Könige Italiens – Rom war 1870 zur Hauptstadt geworden – den Nordhang des Kapitols kahlgeschlagen, um Platz für das „Vittoriano“ zu erhalten, jenes marmorkalte, alle Dimensionen sprengende Nationaldenkmal. Tausende Bewohner wurden enteignet und an seelenlose Stadtränder ausquartiert. 1931 dann ließ Mussolini die Wohnviertel über den Kaiserforen niederreißen, über den imponierenden Resten jener prachtvollen Anlagen also, mit denen Cäsar, Augustus, Nerva, Vespasian und Trajan seinerzeit das republikanische Herz der Stadt, das alte „Forum Romanum“, ausgeweitet hatten.

Die Archäologen jubelten: Rom gewinne durch die gigantischen Ausgrabungen den weltweit großartigsten Antiken-Park, „schöner als der Hyde-Park in London und der Tiergarten in Berlin“. Doch Mussolini machte allen einen Strich durch die Rechnung. Einen 900 Meter langen und 30 Meter breiten. Drei Viertel der grandiosen, noch kaum sichtbar gewordenen Kaiserforen ließ er gleich wieder zuschütten. „Wir sind keine Vergangenheitsfanatiker“, sagte er: „Wir müssen die Stadt erneuern in der Glorie von heute und von morgen. Dem Andrang der Trambahnen und der Autos hält nichts stand. Wir brauchen Verkehrs-Arterien, in denen das imposante und unaufhörliche Leben der Stadt fließen kann.“

So entstand die „Straße des Imperiums“, die spätere „Straße der Kaiserforen“. Nichts vom Alten wurde bei den Ausgrabungs-, den Bau- und Planierungsarbeiten wissenschaftlich dokumentiert. Der bis zu dreißig Meter hohe Velia-Hügel, der die Sicht aufs Kolosseum zuletzt noch behinderte, wurde – wie erschreckende Propaganda-Filme bis heute belegen – ohne nähere archäologische Prüfung auf brachiale Weise abgetragen; der Aushub verschwand in irgendwelchen „Malaria-verseuchten Senken“ entlang der Straße zum Meer: 300.000 Kubikmeter, durchsetzt mit Relikten aus mehr als 2000 Jahren römischer Geschichte. Unwiederbringlich dahin. Dafür hatte Mussolini bekommen, was er im Innersten wollte, was er aber erst nach vollbrachter Tat zugab: „Endlich hat Rom in seinem Zentrum einen geeigneten Platz für seine großen Militärparaden.“

Während Mussolinis zweite römische Sichtachse, der ungehinderte Blick durch die „Via della Conciliazione“ auf den Petersdom, nur einen schmalen Palastriegel kostete, dafür aber die auf Überraschung basierende, barocke Optik in Scherben schlug, hat die „Via dei Fori Imperiali“ weit mehr angerichtet: Sie hat die Komposition des antiken Stadtzentrums zerstört. Sie schneidet das Forum Romanum und die Kaiserforen entzwei. Und – kurios für einen, der die „Grandiosität“ der Antike zu retten vorgab: Wer die Straße entlangflaniert, sieht die Tempel, die Senatskurie und die anderen Bauten des Forum Romanum von der falschen Seite: von hinten.

Immerhin schafft es die Stadt seit 1981, die Pracht- und Protzstraße wenigstens sonntags von Autos, Bussen und Motorrädern zu befreien. Wochentags jedoch ist das Kolosseum die Verkehrsinsel geblieben, zu der Mussolini das grandiose Bauwerk willentlich degradiert hat – und das Mauerwerk zerbröselt unter den Abgasen. Es kursieren zwar seit drei Jahrzehnten immer wieder Forderungen, die gesamte „Via dei Fori Imperiali“ den Fußgängern zu überlassen, sie im Extremfall sogar abzubauen, um den großen Rest der Kaiserforen – sofern Mussolinis Berserker nicht alles zu Staub zermahlen haben – doch noch freizulegen und den einst erträumten gigantischen Antiken-Park einzurichten. Aber nie kann sich eine Stadtverwaltung zu dieser Revolution durchringen. In den achtziger Jahren war ein linker Bürgermeister nahe dran, aber weil er sein Projekt mit politischen Parolen gegen den Duce verband, scheiterte er. Dergleichen hört man in Rom nicht gerne.

Die Verkehrsberuhigung, die Bürgermeister Ignazio Marino mit einer nachtfüllenden Party feiern will, ist wieder nur eine halbe Sache. Und sie bleibt hinter dem Sonntagsfahrverbot zurück: Nur die zweite Hälfte der Straße, nur die Schauseite des Kolosseums wird für den Individualverkehr und die Touristenbusse gesperrt. Taxis und Linienbusse fahren weiter. Und auch die Politiker, in ihren dunkelblauen Dienstwagen, haben sich dieses Privileg erbeten. Ob sie’s kriegen, verrät noch keiner. Aber so wie man den römischen Klüngel kennt ...

Zur Startseite