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Kultur: Preis der Freiheit

Mythos statt Markt: Erinnerung an den Maler Palermo

Palermo wurde 1943 in Leipzig geboren und ist 1977 mit nur 33 Jahren auf der Malediven-Insel Kurumba gestorben. Diese Fakten sind leicht zu überprüfen, dennoch hielten deutsche Kunstpublikationen bis in die neunziger Jahre hartnäckig an dem einmal angegebenen Todesort Sri Lanka fest. Bis heute kursieren zahlreiche Geschichten mit widersprüchlichen Informationen über die Namensgebung oder die Affären Palermos, seine Alkoholabhängigkeit und die Ursachen seines Todes. Und noch immer ist er ein „Künstler-Künstler“ – einer, der besonders von Kollegen hoch geschätzt wird. Imi Knoebel widmete ihm eine Ausstellung. Werke zu Ehren Palermos schufen Joseph Beuys, Gerhard Richter, Sigmar Polke, Julian Schnabel, Susan Grayson oder Rirkrit Tiravanija.

Urkundlich als Peter Heisterkamp eingetragen, signierte der Künstler seit 1964 stets mit Palermo. Blinky nannten ihn nur seine engsten Freunde; diejenigen, die wussten, wie es zu dem ungewöhnlichen, einem italienischen Mafioso und Boxpromoter der sechziger Jahre entliehenen Namen kam. Anatol, ein Mitstudent bei Beuys, war über Zeitungsmeldungen auf den Namen gestoßen. Und immer dann, wenn von Blinky Palermo gesprochen wird, rücken die Geschichten um seine Person in den Vordergrund. Ende letzten Jahres erschien etwa das von Digne M. Marcovicz herausgegebene Buch „To the people ... Sprechen über Blinky Palermo“, Erinnerungen von Lebensgefährtinnen und Freunden des Künstlers. Obwohl prominente Weggefährten wie Gerhard Richter oder Ulrich Rückriem zu den Autoren zählen, hat der Leser das Gefühl mit jeder Seite tiefer in den Gossip hineingezogen zu werden. Letztlich wird mehr über die Beziehungen der Menschen erzählt, die zum Umfeld Palermos gehörten, als über ihn selbst.

Unbestritten bleibt, dass Palermo selbst nicht viel über seine Arbeit sagte. Er hinterließ sein umfangreiches Werk kommentarlos. Als Betrachter sind wir das nicht mehr gewohnt. Wir suchen vor den abstrakten Farbflächen der Stoffbilder oder der mehrteiligen Aluminiumbilder nach Bedeutungen und Erklärungen, sind dankbar für jeden Anhaltspunkt, der uns in dem trügerischen Glauben belässt, Kunst mit dem bloßen Verstand erschließen zu können. Will man wirklich etwas über den Künstler erfahren, führt kein Weg daran vorbei, sich auf das Werk selbst einzulassen.

Miniaturen bei „verkaufberlin“

In Berlin gab es dazu bisher allerdings kaum Gelegenheit. Die New Yorker Dia Art Foundation / Dia Beacon, das Kunstmuseum Bonn sowie die Pinakothek der Moderne in München zählen zu den öffentlichen Sammlungen, die die größten Bestände an Werken Palermos besitzen. Weit mehr als dort zu sehen ist, befindet sich verstreut in deutschen und internationalen Privatsammlungen. Auch in der von Herbst an im Hamburger Bahnhof präsentierten Sammlung Flick sind bedeutende Werke Palermos vertreten. Einige davon waren bereits 2002/2003 im Rahmen der Palermo-Retrospektive im Macba in Barcelona und danach in der Serpentine Gallery in London ausgestellt. Es bleibt zu hoffen, dass sie langfristig einen festen Platz in Berlin finden.

Denn nur selten werden Werke Palermos auf dem Kunstmarkt offen angeboten oder tauchen bei Auktionen auf. Der Münchner Galerist Fred Jahn geht sogar so weit zu behaupten, es gäbe gar keinen Markt für Palermo-Arbeiten. Das stimmt insofern, als es zwar eine große Nachfrage, aber selten Angebote gibt, was nicht nur für die Unikate, sondern auch für die meisten seiner Grafiken und Auflagenobjekte gilt.

Umso erstaunlicher ist es, dass zurzeit in der Linienstraße 160 in Berlin-Mitte eine kleine Auswahl verkäuflicher abstrakter Grafiken zu sehen ist. Darunter befinden sich „Miniaturen“ von 1972 (7000 Euro) und „Miniaturen II“ von 1975 (7500 Euro) sowie die Mappe zu Palermos Wandmalerei im Hamburger Kunstverein von 1973 (8000 Euro, Auflagen jeweils 100). Die Ausstellung wird allerdings der Präzision, mit der Palermo selbst seine Grafik installierte, nicht gerecht. Sie erhebt diesen Anspruch auch gar nicht erst, sondern will allein durch die Anziehungskraft der raren Werke bestechen.

Die Räume, in denen Palermo seine Arbeiten zu Lebzeiten präsentierte, waren leer und wurden nicht selten vor der Hängung vom Künstler weiß gestrichen. 1975 half Imi Knoebel seinem Künstlerfreund beim Streichen der Ausstellungsräume des Museums Schloss Morsbroich, bevor die beiden Künstler dann gemeinsam eine Ausstellung mit Grafiken Palermos installierten. Fotografien dokumentieren eindrucksvoll, wie großzügig die einzelnen Arbeiten auf die Räume verteilt wurden. Palermo hat nie einen Unterschied zwischen Unikaten und Grafiken gemacht. Noch heute stehen sie gleichermaßen für sein außergewöhnliches Gefühl für Raum, Farbe, Rhythmus und Bewegung. Sein Werk macht Freiheit in einer Dimension erfahrbar, die wir vermutlich noch nicht denken, geschweige denn formulieren können. Es bleibt eine Herausforderung.

Die Autorin promovierte 2002 über Palermo an der Universität zu Köln. Die Ausstellung mit seinen Druckgrafiken ist noch bis zum 16. April in der „galerie verkaufberlin“ zu sehen (Linienstraße 160, Mittwoch bis Sonnabend 14–19 Uhr).

Susanne Küper

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