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Basisarbeit. Das bi’bak in Wedding widmet sich unter anderem der türkischen Rockmusik der 70er Jahre und den zurückgelassenen Kindern der Arbeitsmigration.

© Felix Kayser

Preis für Projekträume zur Berlin Art Week: Hangelpartie im Luxusambiente

Über 150 Off-Spaces gibt es in Berlin. Sie sind der Nährboden der Kunstszene und bedroht vom Immobilienboom. Zur Unterstützung hat der Senat Preise ausgelobt.

Das Eldorado für aufstrebende Kunstschaffende: Mit solchen Sätzen bewirbt eine große Berliner Immobilienfirma ihr hochpreisiges Wohnungsangebot in der Hauptstadt. Noch immer wird Berlin als Paradies der Bohème vermarktet. Einst lockten günstige Lebenshaltungskosten und eine breite Infrastruktur Kunstschaffende in die vernachlässigten Quartiere. Heute sind die Projekträume, in denen nicht kommerzielle und freie ästhetische Formen entstehen, zunehmend bedroht. Um sie zu stärken, initiierte der ehemalige Kulturstaatssekretär Tim Renner, eine jährliche Preisverleihung für Projekträume.

Im Rahmen der Berlin Art Week findet diese nun zum sechsten Mal statt. 20 Projekte werden mit jeweils 30 000 Euro ausgezeichnet, darunter auch das bi’bak in Wedding. Der Verein arbeitet an der Schnittstelle zwischen künstlerischer, wissenschaftlicher und nachbarschaftlicher Praxis, hauptsächlich auf dem Themenfeld Migration.

Die Hälfte der Arbeitszeit geht für Bürokratie drauf

In Filmvorführungen und Workshops widmet sich bi’bak beispielsweise der türkischen Rockmusik der Siebziger oder den zurückgelassenen Kindern der Arbeitsmigration. Die Gründer Malve Lippmann und Can Sungu mussten ihre Räumlichkeiten in Mitte 2014 aufgeben, da ihr Vermieter eine Luxussanierung plante. In der Prinzenallee in Wedding fanden sie eine kleine, gemütliche Ersatzräumlichkeit. Doch ihr Gewerbemietvertrag ist auf ein Jahr befristet, Kündigungsgründe müsste der Vermieter nicht anführen.

Mit solchen Unsicherheiten hat bi’bak allerdings Übung. Seit Jahren hangelt man sich von Förderantrag zu Förderantrag, mehr als die Hälfte ihrer Arbeitszeit verwenden die Betreiber auf bürokratische Formalitäten, Anträge, Abrechnungen, Berichte. Stellen für Buchhaltung oder Pressearbeit sind nicht finanzierbar, eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit Kulturschaffenden wird erschwert.

Mit Preisgelder kommt man nicht weit

Die monetäre Zuwendung der Senatsverwaltung sei zwar hilfreich, weit komme man mit solchen Preisgeldern allerdings nicht, berichtet Malve Lippmann. Gemeinsam mit dem Netzwerk freier Berliner Projekträume und -initiativen setzt sich bi’bak deshalb für eine Basisförderung ein, wie sie auch Theatern und Tanzgruppen gewährt wird.

Chris Benedict vom Vorstand des Netzwerks sagt, dass viele Initiativen den Preis kritisch betrachten. Insbesondere weil dieser nicht bedarfsorientiert angelegt sei. Große Projekte wie das ZK/U mit 2000 Quadratmetern in Moabit bekämen die gleiche Summe wie Kleinstprojekte auf zehn Quadratmetern. Zudem besteht die Gefahr, dass einzelne Prestigeprojekte sich etablieren, die Diversität aber nicht ausreichend abgebildet wird.

Über 150 Projekträume gibt es derzeit in Berlin. Seit 2010 ist die Zahl rückläufig. Stets sind es die gleichen Gründe: Mieterhöhungen, Kündigungen, Raummangel. Auch der 2014 in einer ehemaligen Arztpraxis in Neukölln gegründete Projektraum und diesjährige Preisträger La Plaque Tournante muss nach der Berlin Art Week ausziehen. Längst wandern Künstler von Berlin nach Leipzig ab. Dieser Trend sei nicht umkehrbar, sagt Benedict, „aber was noch übrig ist, muss gesichert werden“. Sonst drohe vielen Projekten das Schicksal der Uferhallen, wo erst kürzlich 50 Ateliers an einen Großinvestor verkauft wurden. Benedict sieht deshalb die Stadt bei der Ausdehnung des Milieuschutzes oder der Bereitstellung von Liegenschaften in der Pflicht. Zur Preisverleihung am Freitag wird ein Stadtplan mit allen existierenden und früheren Projekträumen veröffentlicht. Derart sichtbar gemacht, soll ihre Unverzichtbarkeit vor Augen geführt werden.

Podiumsdiskussion, Preisverleihung und Performance am 15. 9. ab 17 in der Bar Babette, Karl-Marx-Allee 36. Ausstellung der Preisträger im Kunstpunkt, Schlegelstr. 6, 15. – 17. 9., 13 – 19 Uhr.

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