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Preisendörfer "Als unser Deutsch erfunden wurde": Das Maul zuhalten und sich vorsehen!

Fluchen wie bei Luther: Bruno Preisendörfers Buch „Als unser Deutsch erfunden wurde“, in dem er sich mit der Alltagsgeschichte rund um Luther und seine Zeitgenossen.

Vor einem halben Jahrtausend sollte die Welt schon einmal untergehen. 1493 wurde in Nürnberg eine Chronik der Menschheit publiziert, derzufolge alle sechs Weltalter vollendet waren. 30 Jahre später erschien am Himmel das Sternbild der Fische. Es wurde von Wanderpropheten als Ankündigung einer neuen Sintflut gelesen. Albrecht Dürer begründete seinen Ruhm, indem er die Apokalypse des Johannes mit gespenstischer Genauigkeit illustrierte. Und der Antichrist, der kurz vor dem Jüngsten Gericht sein Unwesen auf Erden treiben sollte, war auch identifiziert. Es konnte sich nur um „des Teufels Sau in Rom“ handeln: den Papst. So drückte es jedenfalls Martin Luther aus.

Die Welt ging dann natürlich nicht unter. Stattdessen brach zwischen dem Ende des 15. und der Mitte des 16. Jahrhunderts die Neuzeit an. Columbus landete versehentlich in Amerika. Kopernikus rückte die Erde aus dem Zentrum des Universums. Und Luther schlug seine 95 Thesen zwar vermutlich nicht an die Wittenberger Schlosskirchentür, legte sie aber einem Brief an den Erzbischof Albrecht von Brandenburg bei. Aus einer Polemik gegen den Ablasshandel wurde ein Aufbegehren gegen die katholische Kirche im Allgemeinen. Die Reformation erschütterte die Machtverhältnisse in Europa – nichts blieb, wie es gewesen war.

Lieber Alltägliches als Zeitgeschichtliches

Bruno Preisendörfer lädt dazu ein, diese Zeitenwende zu erkunden. Nachdem er im vergangenen Jahr mit viel Lob und Bestseller-Status für sein Buch „Als Deutschland noch nicht Deutschland war“, einer „Reise in die Goethezeit“, belohnt wurde, reist er nun in die Lutherzeit. Man dürfe sie auch getrost Dürerzeit nennen, erklärt Preisendörfer in launigem Tonfall gleich zu Anfang. In seiner Epochenstudie interessiert er sich weniger für Geistesgeschichtliches als für Alltägliches, das die Erfahrung prägt – ob zu Tisch im Hause Luther oder im Schlafgemach der Dürers.

Das „Hailig Reych Teutsch Nacion“ war ein verwirrendes Durcheinander von Kurfürsten- und Herzogtümern, Pfalz- und Markgrafschaften, Rittergütern und Erzbistümern. Heinrich von Kleists Novelle „Michael Kohlhaas" erinnert an die quälende Undurchsichtigkeit der Herrschaftsverhältnisse, die am Ende oft mit dem Schwert durchgesetzt wurden. Einen gewissen Hans Kohlhase, der Kleist inspirierte, hat es tatsächlich gegeben: Wegen zweier unrechtmäßig beschlagnahmter Pferde zog er raubend durch die Lande. Preisendörfer versäumt es allerdings nicht, sein Publikum augenzwinkernd mit der Tatsache bekannt zu machen, dass es sich um einen nach Fisch stinkenden Heringshändler handelte. Kohlhase war also nicht Rosshändler, und er hat wohl auch nicht bei Luther vorgesprochen.

Die Bauern wähnten Luther auf ihrer Seite - dabei standen für ihn die weltlichen Herrschaftsverhältnisse nicht zu Debatte

Verbürgt ist dagegen, dass Martin Luder, wie er gebürtig hieß, ein Mann von autoritärem Zorn war. Dabei kam ihm der Buchdruck entscheidend zu Hilfe. So konnte er die reformatorische Botschaft im neuen Massenmedium verbreiten. War er auch nicht der Einzige, der sich an die Übersetzung der Bibel machte, so war seine Übertragung doch die mit Abstand erfolgreichste.

Bei einer Alphabetisierungsrate von fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung kamen noch zu Luthers Lebzeiten an die 100 000 Exemplare seines „Neuen Testaments“ unters Volk. Luthers Erzfeind Johannes Cochläus bemerkte, dass jetzt sogar „Schneider und Schuster, ja Weiber und andere einfältige Laien, wenn sie auch nur ein wenig Deutsch auf einem Pfefferkuchen lesen gelernt hatten, dieses gleich als einen Bronnen aller Wahrheit mit höchster Begierde lasen.“

Auch unter Bauern, die die Abschaffung der Leibeigenschaft forderten, wurden Luthers Texte studiert. Bei den Aufständen 1524-26 wähnten sie Luther auf ihrer Seite. Doch sie hatten sich getäuscht. Die weltlichen Herrschaftsverhältnisse standen für ihn nicht zur Debatte. Die Aufstände gehörten niedergeschlagen. Um das zu rechtfertigen, setzte Luther eigens eine Schrift auf und drohte allen, „welche mein Büchlein tadeln, dass sie das Maul zuhalten und sich vorsehen“ sollten. Dass er selbst mit der ganzen Wucht der neu entstandenen Öffentlichkeit gegen Kaiser und Papst rebelliert hatte – das war kein Paradox.

Ein Schreibstil, "als ob man Kot in goldenen Schüsseln auftrüge"

Es waren sprachgewaltige Zeiten, in denen „unser Deutsch erfunden wurde“. Luther gab mit seiner Bibelübersetzung der deutschen Sprache eine erste Form, die heute „Frühneuhochdeutsch“ genannt wird. Prägungen wie Lückenbüßer, Herzenslust und Feuereifer, überschatten, erregen und beben zieren noch heute unsere Alltagssprache. Wir verdanken sie eben der von Hans Sachs besungenen „Wittenbergischen Nachtigall“, die von ihrer Kanzel brüllte, mit den Fäusten auf den Tisch schlug und den mächtigen Albrecht von Brandenburg einen „Scheissbischoff“ schimpfte, den bedeutenden Mystiker Sebastian Franck als „lateinische Kunsthummel“ verhöhnte und Erasmus von Rotterdam beschuldigte, einen Schreibstil zu pflegen, „als ob man Kot in goldenen Schüsseln auftrüge“.

Zum Gegenschlag holte Thomas Müntzer aus, der den polternden Wittenberger „Bruder Mastschwein“ und „Jungfrau Martin“ nannte. Ein „Schimpfwort-ABC“ ist eines von vielen nützlichen Werkzeugen, die Preisendörfer seinen Lesern an die Hand gibt, um sich in seinem Wimmelbild zurechtzufinden. Zwischen Epochenpanorama, Alltagslexikon und Lektürehilfe zu Kleists „Kohlhaas“ schlägt Bruno Preisendörfer einen eleganten Bogen von Kulturgeschichtlichem bis zu Kuriositäten.

Bruno Preisendörfer: Als unser Deutsch erfunden wurde. Reise in die Lutherzeit. Verlag Galiani, Berlin 2016. 496 Seiten, 24,99 €.

Carolin Haentjes

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