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Überleben im Overall. Suna Gürler und Knut Berger.

© Ute Langkafel

Premiere am Maxim Gorki Theater: Die Alternative zum Weltuntergang

Frauen zum Mars! Sebastian Nübling inszeniert am Maxim Gorki Theater die Sibylle-Berg-Uraufführung „Nach uns das All“.

Was tun, wenn plötzlich „alle Länder von Männern regiert werden, die nackt auf Pferden sitzen und eine Mauer um ihr Land gebaut haben“? Wenn weltweit diese „Wolfgangs aus Sindelfingen“ das Ruder übernommen haben, die finden: „Wenn ich Zigeunerschnitzel sagen will, dann muss ich das sagen dürfen, wir haben immer noch Meinungsfreiheit“? Oder all die „Huberts aus Winsen (Luhe)“, die wirklich überhaupt „nichts gegen Kunst oder so“ haben, „das nur einfach nicht in unserem Land sehen“ müssen?

Die Frage, wie es für sie weiterginge in so einer weltumspannenden, faschistoid-nationalistischen Graumäusigkeitsdiktatur, stellen sich „beliebig viele“ Mittdreißigerinnen in Sibylle Bergs Stück „Nach uns das All oder Das innere Team kennt keine Pause“. Im Berliner Maxim Gorki Theater, das die Uraufführung durch Sebastian Nübling nicht von ungefähr punktgenau am Abend der Bundestagswahl terminiert hat, sind es vier. Anders, als es das Turbo-Ironie-Pingpong dieser Nerdbrillenträgerinnen vermuten lässt, haben sie sogar schon eine praktikable Antwort.

Sie lassen sich von einem Reality-TV-Team auf den Mars fliegen, um dort eine neue Population aufzubauen. Mit matriarchaler Verfassung, „Anti-Aggressionstraining“ für Geschlechtsgenossinnen und dem Schillerndsten, was sich aus vordiktatorischen Zeiten reaktivieren lässt. Zum Beispiel „Urban Gardening“.

Eine gräuliche Zukunft

Großartiger Plan, findet das Quartett – und hat sich zur Feier der Spezies-Rettung in orangefarbene Space-Overalls geworfen. Einziges Problem: Die hehre Sache erfordert ein hohes Maß an Masochismus und Selbstaufopferung. Denn Populations- und Gesellschaftsaufbau funktionieren auch in jener gräulichen Zukunft, die Berg hier gewohnt pointensouverän entwirft, nicht ohne angestammte Fortpflanzungsmethoden: Das Reality-TV-Reglement fordert jeder Teilnehmerin ab, vorm Einstieg in die rettende Marsrakete einen männlichen Begleiter zu casten.

Bei den Nerdbrillenträgerinnen bestehen berechtigte Zweifel, dass dieser ewige Torben, der da jetzt – „Hallo, ich bin Stressknirscher“ – in deprimierender Endlosschleife zum Paarungscasting aufläuft, wirklich eine lohnende Alternative darstellt zum Weltuntergang. Höhere Gesellschaftsaufträge gut und schön, aber doch bitte nur in 120-prozentigem Einklang mit dem gepflegten Ego! Und definitiv ohne Männer, die „ähm, eigentlich Schauspieler“ sind, „immer ein Projekt am Laufen“ haben und den Mars nicht ohne ihren „Youtube-Channel“ entern wollen.

Ironie gegen den Rechtsruck

„Nach uns das All“ ist der dritte Teil von Sibylle Bergs „Menschen mit Problemen“-Serie. Dessen erfolgreiche Vorgänger – „Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen“ und „Und dann kam Mirna“ – wurden ebenfalls schon von Sebastian Nübling im Gorki uraufgeführt. In ähnlicher Konstellation und gleichem Stil: Auf fast leerer Bühne hibbeln, stampfen, hüpfen und plaudern sich vier zum Glück nicht uneingeschränkt sympathische, aber wohltuend ironiebegabte und ziemlich publikumsanschlussfähige Frauen aufs Unterhaltsamste durch prekäre Jobverhältnisse und andere (patriarchale) Zumutungen. Frei nach dem Motto: „So ein alter weißer Mann ist immer ein Door Opener, aber wer will die Räume betreten, zu denen er die Türen öffnet?“

Im aktuellen Fall richtet sich die punktuell verzweifelte Ironie nun genauso gegen den gesellschaftlichen Rechtsruck wie gegen jene Intellektuellen- und mithin auch Theater-Blase, die zwar locker aufzählen kann, wogegen sie ist. Bei der Frage nach progressiven Selbstgestaltungsmaßnahmen fallen allerdings nur „Patenschaften für hässliche Straßenbäume“ ein. Das ist bei Berg alles auf eine irgendwie entspannt bissige Art lustig – mit mal mehr und mal weniger Tiefgang.

Selbst-„Deoptimierung“ ernstnehmen

Regisseur Nübling hebt in seiner Uraufführung vor allem auf jenen für den Marsflug nötigen Männer-Akquise-Aspekt ab. Er stellt den wie schon in den vorangegangenen Teilen auftrumpfenden Frauen (Nora Abdel-Maksoud, Suna Gürler, Svenja Liesau und Abak Safei-Rad) ein Darsteller-Quartett gegenüber, das die im Stück immer mal wieder fallende Formel von der Selbst-„Deoptimierung“ überaus ernst nimmt. Wie diese Kandidaten ebenfalls mit Nerdbrillen (Knut Berger, Jonas Dassler, Aram Tafreshian und Mehmet Yilmaz) hier den Dödel geben, Breitbeinigkeitsposen ironisieren und sich von resoluten Casting-Chefinnen in demütigendste Aerobic-Choreografien verwickeln lassen, das ist zwar lustig und schauspielerisch formvollendet. Allerdings verführt es zum Verweilen ausgerechnet in den flacheren Gefilden des Berg’schen Textfahrwassers.

Aber geschenkt: Unter den Dystopien und teils arg pädagogischen Bundestagswahlbegleitprogrammen, die bisher zur Saisoneröffnung an den Berliner Bühnen zu sehen waren, ist „Nach uns das All“ definitiv der gewitzteste, selbstkritischste und in jeder Hinsicht gegenwärtigste Theaterabend.

Nächste Vorstellungen am 3. und 29. Oktober, 19.30 Uhr

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