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Reden ist Silber. Helmut Oehring bringt sein Werk an der Staatsoper heraus.

© Jens Oellermann

Premiere an der Staatsoper: Lieber laut als leise

Am Sonntag wird Helmut Oehrings Oper „Aschemond“ uraufgeführt. Ein Treffen mit dem Komponisten, der stumm aufwuchs.

Rätselhaft ist dieser Blick, scheu und wissend zugleich. Viel können diese Augen erzählen aus der Welt der Stille. Helmut Oehring ist der Komponist, der als „Kind gehörloser Eltern“ bekannt geworden ist. Die Ruhe, die er ausstrahlt, steckt an. Dabei hätte er allen Grund, gestresst zu sein: 2013 ist sein Jahr. Die Biennale in Salzburg hat seine Vertonung von Thomas Bernhards Roman „Das Kalkwerk“ aufgeführt, Lausanne seine Filmmusik zu F. W. Murnaus „Sonnenaufgang – Lied von zwei Menschen“, dazu Kammermusik in Chicago und St. Petersburg, eine weitere Oper mit dem Titel „SehnSuchtMeer oder Vom Fliegenden Holländer“ in Düsseldorf – und jetzt Berlin. „Aschemond“, seine neue Oper, wird an der Staatsoper im Rahmen des Neue-Musik-Festivals „Infektionen“ uraufgeführt.

„Ich spüre, dass meine Musik rüberschwappt“, sagt er. Was steckt hinter dem Erfolg? Ist es die Ahnung, dass bei Oehring eine so verkopfte und elitäre Sache wie Neue Musik tatsächlich noch etwas mit Schweiß, Tränen, Nöten – also: mit dem Leben – zu tun hat? Dass hier einer komponiert, der nie die Universität besucht hat? Oehring kam 1961 in Ost-Berlin zur Welt, seine Eltern waren gehörlos von Geburt an. Obwohl sie wussten, dass ihr Kind hört, unternahmen sie zunächst nichts, um ihm das Sprechen beizubringen. Das kann man unter heutigen pädagogischen Prämissen vielleicht nicht mehr verstehen. Aber: „Als Gehörlose bildeten wir einen Kreis. Die Hörenden waren nicht unsere Freunde, sondern die Komplizierten“, erklärt er. Oehring war ein Coda, den Begriff gibt es wirklich, er bedeutet „Children of deaf Adults“, und dass Coda zugleich eine musikalische Form ist, in der die wichtigsten Motive einer Symphonie noch einmal wiederholt werden, wirkt im Nachhinein fast prophetisch.

Seinen Weg zur Musik hat er sich erkämpft – genauso wie zur Sprache. Bis zum vierten Lebensjahr wächst er stumm auf, drückt sich in Gebärdensprache aus, kommt dann in eine Pflegefamilie in der Danziger Straße – mit elf Kindern! Nach der Schule macht er eine Ausbildung zum Baufacharbeiter. Komponieren hat er sich selbst beigebracht, 1985 Noten lesen, 1986 schreibt er schon das erste Streichquartett. Musik, sagt er, war und ist für ihn der „Schutzraum“, die andere Seite, die Rettung. Sie hat ihm bei der Sprachfindung geholfen, weil er lernen musste, Verantwortung für seine Fähigkeiten zu übernehmen. Und weil er plötzlich ganz konkret mit Musikern sprechen, ihnen erklären musste, wie eine bestimmte Stelle gemeint ist.

"Aschemond" ist eine Auseinandersetzung mit Henry Purcells "Fairy Queen"

Man hört seiner Musik an, wie sie allem Selbstverständlichen abgerungen ist. Rund 20 Werke für Musiktheater hat Oehring bis jetzt geschrieben – kein Zufall. Oper war für ihn das Wichtigste, von Anfang an. Weil sie so ausgreifend ist, bewegte, sinnliche Raum-Klang-Kunst. Weil sie so viel mit seiner Muttersprache zu tun hat – eben nicht Deutsch, sondern Gebärdensprache. Eine dramatische, einzigartige Form, sich auszudrücken.

Gebärde und Musik sind für Oehring „Geschwistersprachen“. Zwei uralte menschliche Kommunikationsformen, die beide aus der Stille entstehen. Erst sie bringt das, was wir als „Musik“ bezeichnen, hervor. Nur weil wir wissen, dass die Töne, die wir hören, enden, nehmen wir sie überhaupt als etwas Besonders wahr. Weil er beide Welten zusammenbringen will, lässt er in vielen Stücken eine Gebärden-Solistin auftreten, auch jetzt in „Aschemond“. Sie heißt Christina Schönfeld und wird die Feenkönigin darstellen.

Das neue Werk ist eine Auseinandersetzung mit Henry Purcells „Fairy Queen“, einer typischen Semi-Oper der Barockzeit, in der getanzt, gesungen und instrumental gespielt wird. Shakespeares „Sommernachtstraum“, auf den sie zurückgeht, wird hier zur Sonnenfinsternis, daher der Titel „Aschemond“. Es ist der Moment, in dem sich Sonne und Mond, männliches und weibliches Prinzip am nächsten sind. Viele Schichten ragen übereinander an diesem Abend, Shakespeare bildet nur die unterste Matrize. Regisseur Claus Guth – mit dem Oehring oft eng zusammenarbeitet – hat eine Geschichte um einen Sohn (Ulrich Matthes) dazuerfunden, der in das Elternhaus zurückkehrt, in dem sich seine Mutter umgebracht hat. Herausragende Solisten wie Marlis Petersen oder der Countertenor Bejun Mehta treten auf, gleich zwei Orchester musizieren: Die Staatskapelle, geleitet von Johannes Kalitzke, und die Akademie für Alte Musik mit Benjamin Bayl.

Purcell, Wagner, Heine, Shakespeare – warum diese obsessive Beschäftigung mit Künstlern früherer Epochen? „Ich habe etwas aufzuholen“, meint Oehring. Er will existierende Musik „weiterschreiben“, so nennt er seine Technik, ohne konkret benennen zu können, wie das funktioniert: „Wenn ich das könnte, wäre ich Schriftsteller geworden“, meint er schmunzelnd. Nur soviel: Das neue Material wird nicht einfach als Sandwich zwischen Purcells Musik geschoben. Vielmehr zählt hier die hohe Kunst des Berührens, des Überlappens, des zeitgleichen Erklingens. Freunde simpler Zuordnungen werden herausgefordert: Die Akademie für Alte Musik spielt nicht nur Purcell, sondern auch Oehring, bei der Staatskapelle ist es umgekehrt.

„Klassische Musik, überhaupt alle Musik darf nicht auf einen Altar gehoben werden. Sie muss sich der Gegenwart stellen“, meint Oehring. Sie muss gezwungen werden, sich mit dem Heute auseinanderzusetzen. Sinnlos, Beethovens späte Streichquartette aufzuführen, wenn darin nicht die existenziellen Ängste deutlich werden, denen der Komponist beim Schreiben ausgesetzt war. „Drei Flugstunden von Berlin entfernt werden Kinder in Syrien zerbombt. Das sind die Kraftströme, die unsere Welt heute prägen.“ Schreckliche Dinge, die Oehring mit sanfter Stimme benennt, in der die Mühen der Sprachfindung nur noch als ferne Erinnerung nachklingen. Er spricht wie ein Mensch, der nicht stumm aufwuchs. „Ich tue ja nur so“, sagt er.

Uraufführung "Fairy Queen" an der Staatsoper am Sonntag 16. Juni, um 19.30 Uhr

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