zum Hauptinhalt
Opferhaltung. Dame des Corps de Ballet in Duatos Choreographie.

© Fernando Marcos

Premiere beim Staatsballett Berlin: Schlag für Schlag

Reflex auf den Terror: Das Staatsballett tanzt „Herrumbre“ von Nacho Duato im Schiller Theater.

Bislang agiert Nacho Duato als Intendant des Staatsballetts Berlin ohne Fortune. Verbraucht scheint seine choreografische Kreativität und Berlin ohne jede Resonanz auf das Schaffen eines Mannes, dessen Madrider Erfolge sich immer weiter ins Grau der Geschichte verlieren. Doch unbeirrt holt Duato eine Produktion nach der nächsten aus dem Repertoire der Campania Nacional de Danza in die Stadt. Bei „Herrumbre“, vor gut elf Jahren in Madrid uraufgeführt, muss man ihm im Schiller Theater zugutehalten: An diesem Stoff kann man nur scheitern. Die Frage bleibt lediglich, wie.

Am Morgen des 11. März 2004 reißen Bombenanschläge auf Pendlerzüge in Madrid fast 200 Menschen in den Tod. Die rechtskonservative Regierung verdächtigt die ETA, obwohl alle Hinweise auf islamistischen Terror deuten. Gleichzeitig wird erstmals das Ausmaß der Folter in Guantanamo bekannt. Der Westen steht unter Schock, die Bilderflut von Terroropfern und Misshandelten reißt nicht ab. Sie fließen auch ein in die Proben von Nacho Duato und seiner ehemaligen Compagnie. „Herrumbre“ entsteht, ein dunkler Tanz-Zwitter, irgendwo lose zwischen einem Requiem für die Toten und stilisierter Gruppengewalt gegen Individuen angesiedelt. Ein Reflex auf die Auslöschung von Psyche und Physis.

Ein starkes Bild verliert sich ins Beliebige

Um das auf der Bühne erfahrbar zu machen, setzt Duato vor allem auf akustische Schockwellen: Hunde hecheln den Zuschauern direkt ins Ohr, Türen schlagen krachend zu, elektrisches Knistern mahnt daran, dass Strom nicht nur Licht und Wärme bringt, sondern auch ein beliebtes Instrument der Folter ist. Dazwischen elegisches Streichen eines verstärkten Cellos. Diesen Soundtrack arbeiten die Tänzerinnen und Tänzer nun über eine Stunde ab, Schlag für Schlag. Er scheint gar zur einzigen Motivation für ihre Bewegung zu mutieren: Die Wärter in ihren perfekt sitzenden Hosen ruckeln zwanghaft zu jedem Geräusch, als sähe man „Metropolis“. Ebenso manisch ist die Fixierung auf eine Gitterkonstruktion, die das gesamte Bühnenbild stellt. Es könnte eine Art Fangzaun sein. Weil aber ständig daran herumgeschraubt werden muss, verliert sich jedes halbwegs starke Bild ins Beliebige.

Dass die Darstellung von Gewalt in „Herrumbre“ nicht wirklich verfängt, möchte man eigentlich gar nicht als Einwand formulieren. Doch Duato weicht schmerzhafter Konfrontation mit einem tänzerischen Vokabular aus, dessen ziellos umherirrende Eleganz ratlos macht. Nichts verbindet die Momentaufnahmen von an Boden zuckenden Leibern mit immer wieder eingeschobenen Pas de deux zum Cellobrummeln. Gewiss, Poesie darf sich nicht zum Abbild des Grauens machen. Doch wenn sie sich ihm stellt, muss sie ihre ganze Kraft mobilisieren, um nicht in Belanglosigkeit zu enden.

„Herrumbre“ heißt Rost. Duato meint damit jenen, den die Seele ansetzt, wenn die Menschlichkeit abstumpft und hinstirbt. Der Abend aber zeigt, dass es auch Choreografien geben kann, die unter verstärkter Oxidation leiden. Den wahren Schrecken erlebt man dann noch auf dem Weg nach draußen. Im Foyer verteilt Amnesty International eine kleine gelbe Broschüre. „Argumente gegen die Folter“ heißt sie.
Wieder am 18., 21., 26. und 28. 2.

Zur Startseite