zum Hauptinhalt
Spiegelfechterei. Dagmar Manzel und Jörg Pose (am Bildrand) verbreiten Zweckoptimismus.

© Deutsches Theater/Arno Declair

"Glückliche Tage" mit Dagmar Manzel: Im Mahlstrom des Geplauders

Verneigung vor einer Sitzriesin der Schauspielkunst: Dagmar Manzel spielt Winnie in Becketts „Glückliche Tage“. Virtuos, rotzig und mit angriffslustiger Leichtigkeit.

Die Berliner Premiere war offenbar kein Fest des Tiefsinns. Jedenfalls notierte der Kritiker Friedrich Luft hinterher: „Geplagte Ehemänner sagen zuweilen in extremem Unmut wohl zu ihren Frauen: ,Wenn du mal stirbst – deine Schnauze müsste man extra totschlagen!‘ Genau das zeigt Beckett.“ Aha! Ein ganz alltägliches Ehedrama also, verkleidet als nihilistische Clownerie? Seit 1961, als Walter Henn mit Bertha Drews in der Hauptrolle der plapperseligen Winnie die „Glücklichen Tage“ zur deutschsprachigen Erstaufführung brachte, haben sich ungezählte Theatermacher und noch mehr Rezensenten um eine griffige Interpretation dieser Endzeit-Etüde bemüht. Anfang der 70er Jahre begab sich Beckett sogar selbst als Regisseur nach Berlin, um der Theatergemeinde die Messe zu lesen. Es half offenbar nichts. Hellmuth Karasek schrieb entgeistert: „Man hörte und starrte stumpf in Pausen, die nur Löcher waren.“

Ist der Titel, „Glückliche Tage“, nun ironisch gemeint oder nicht? Wieso hat Beckett seine Hauptfigur nicht wie im „Endspiel“ in die Mülltonne gesteckt, sondern bis zur Taille (und später bis zum Hals) in einen Erdhügel eingegraben? Fragen, die auch im Jahre 2017 zur Deutung einladen. Am Deutschen Theater versucht sich eben daran nun Christian Schwochow. In Vorab-Interviews hat der Regisseur bekundet, er sehe in den „Happy Days“ (so der Originaltitel) vor allem ein Stück über „Zweckoptimismus“. Das ist sicher richtig. Führt allerdings auch nicht viel weiter als die Feststellung, es sei ein Stück über Zahnbürsten, Sonnenschirme und Revolver.

Immerhin, Schwochow hat einen Trumpf mit der Besetzung. Dagmar Manzel, die Ausnahme-Schauspielerin, Operetten-Königin und Autorin der Biografie „Menschenskind“, stemmt Becketts 90-minütigen Monolog für zwei. Denn die eingegrabene Winnie – von Beckett nicht eben liebevoll als „fett“ und „vollbusig“ beschrieben – hat in ihrem ausweglosen Elend einen Adressaten in Ehemann Willie, der hügelabwärts vegetiert, sich an obszönen Fotografien erfreut und im gesamten Stück, wie Fleißmenschen schon früher nachgerechnet haben, auf 51 Wörter kommt. Darunter „Ja“ und „Eier“. Bei Schwochow wird er von Jörg Pose gespielt und kippt gelegentlich mit klaffend-blutiger Glatzenwunde in den Türspalt, der sich in einer voluminösen Spiegelwand öffnet (Bühne: Anne Ehrlich). Ein Stichwort-Zombie also, nicht eben der dankbarste Part, den ein Schauspieler erwischen kann.

Sie zelebriert ihren shiny happy Existenzkampf

Egal, die Show gehört sowieso Manzel. Statt im vorgegebenen Hügel zu stecken, sitzt sie auf einem Gebrauchsstuhl vor der nämlichen Spiegelwand, über deren Bedeutung man absolut nichts wissen möchte, und zelebriert in sonnenversengter Postapokalypse zum Sirenensound (statt des übernatürlichen Klingelns, das Beckett vorschwebte) ihren shiny happy Existenzkampf: „Wieder ein himmlischer Tag.“ Schließlich ist Glück ja stets eine Frage der eigenen Erwartung. Und wenn, wie bei Winnie, das Mantra lautet: „Keine Besserung, keine Verschlimmerung, keine Veränderung, keine Schmerzen“, dann kann man sich die Zeit ja auch in bewegungslimitierter Lage durchaus freudvoll vertreiben. Mit Schwelgereien in der Vergangenheit („Der alte Stil!“), mit der Frage, was eigentlich Barchborsten sind, mit dem Revolver im Handgepäck. Happiness is a warm gun.

Zu den schönsten und wahrsten Sätzen, die Becketts Erden-Dame so spricht, zählen jene über die Fähigkeit zur Adaption: „Das eben finde ich so wundervoll. Die Art, in der der Mensch sich anpasst. Den wechselnden Verhältnissen.“ Und Manzel spielt das toll, keine Frage. Eine Sitzriesin der Schauspielkunst, tiefe Verneigung. Immer wieder pickt sie sich aus dem unerbittlichen Mahlstrom des Geplauders Worte, aus denen sie genüsslich die bittere Schärfe saugt: „Kaum ein Tag ohne irgendein Anwachsen des Wissens, so gering es auch sein mag.“ Sie versteht sich aufs rasante Switchen zwischen den Tonarten, fällt vom Rotzigen ins Verklärte, von angestrengter Zuversicht in angriffslustige Leichtigkeit. Mal ist sie Halsstarrige, mal Gutwütige.

Allein, das alles bleibt oft virtuose Spiegelfechterei. Zu oft. Der Filmemacher Schwochow, der mit Manzel das Theaterdrama „Die Unsichtbare“ gedreht und mit Ulrich Matthes und ihr am DT schon den Ehekriegserfolg „Gift“ von Lot Vekemans inszeniert hat, zeigt einen schmerzlos konsumierbaren Beckett. Ohne drohende Abgründe. Ohne Dringlichkeit. Ohne zwingende Lesart. Das kann man ihm auch als Werktreue auslegen. Beckett selbst hat schließlich alle Interpretationsversuche in den „Glücklichen Tagen“ schon vorweg torpediert. In der Erzählung von einem Ehepaar, das an Winnies Hügel vorbeiflanierte und mit Kleinmut nervte: „Was soll das bedeuten? Was hat das für einen Sinn?“ Also, in den Worten des Dramatikers: „Der übliche Quatsch“.

Deutsches Theater, wieder am 28. April, sowie im Mai

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false