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Solistin des Abends: die Geigerin Carolin Widmann.

© Marco Borggreve

Premiere mit dem DSO in der Philharmonie: Aus dem Chaos ins All

Edward Gardner dirigiert das Deutsche Symphonie-Orchester mit einer Erstaufführung von Julian Anderson.

Es war Mitte des 19. Jahrhunderts, als ein großer Streit anhob, welche instrumentale Musik nun die bessere, reinere sei: die absolute oder die programmatische, meist von anderen Kunstwerken inspirierte. Dieser Streit wurde nie entschieden, und beide ästhetische Routen blieben bis heute offen. Deswegen existiert das Problem der Programmmusik, die sich auf Gemälde oder Texte bezieht, noch immer: Sie steht nie für sich allein und beraubt sich selbst vieler assoziativer Freiheiten.

Carolin Widmann müht sich um die Vielfalt des Ausdrucks

Auch Julian Andersons Violinkonzert „In lieblicher Bläue“, dezidiert als Gedicht für Geige und Orchester bezeichnet, laboriert an dem Phänomen, an seinem Ursprungswerk, Hölderlins gleichnamigem Gedicht über die Schönheit und ihre Reflexion, festzukleben. Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin hatte das Werk zusammen mit zwei weiteren Orchestern in Auftrag gegeben und besorgte nun die deutsche Erstaufführung in der Philharmonie. Würde man das Stück seines literarischen Bezugs entkleiden, bliebe trotz allem guten Willen wenig Substanzielles, auch wenn sich Carolin Widmann als Solistin reichlich müht um Vielfalt des Ausdrucks, grazile Weltenoffenbarung, assoziativen Reichtum. Doch Anderson, 1967 in London geboren, entwickelt nichts wirklich Neues aus dem etwas sperrigen Text, versucht gar die wandelbare Formensprache in Musik umzusetzen, was manchmal gelingt und manchmal nicht. Nur bleibt es eben so oder so als eigenständiges klingendes Kunstwerk belanglos.

Der britische Dirigent gibt eine brillante Visitenkarte ab

Dabei sind die DSO-Musiker unter der Leitung von Edward Gardner mehr als gut drauf: Es hat in letzter Zeit nur wenig Dirigenten gegeben, die mit derart sportlicher Eleganz musikalisch so viel zu sagen hatten. Das beginnt bereits bei Joseph Haydns „Die Vorstellung des Chaos“ aus dem Oratorium „Die Schöpfung“ und hört mit Gustav Holsts „Planeten“-Musik nicht auf: Der 41-jährige Brite am Dirigentenpult spannt diesen Bogen von der klassischen Ursuppe über die zeitgenössisch verknoteten Naturbetrachtungen Andersons bis zu den kosmischen Erzählungen Holsts mit großer Energie und wenig Aufwand. Gardners Fordern ist leise und kooperativ, er behält stets die Kontrolle und lässt doch viel Raum für das eigenverantwortliche Erblühen des Orchesters. Seine Entsprechung findet sein schlanker Interpretationsstil vor allem in den blitzsauberen Hölzern, dem edlen Hörnersextett und der trotz ihrer Größe nachgerade unglaublich homogenen Streichergruppe. So wird es doch noch ein gelungener Abend – verbunden mit einer exquisiten Empfehlung für den Dirigenten.

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