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Eine schrecklich nette Familie. Ole Lagerpusch (l.) spielt den traumatisierten Kriegsheimkehrer Johnny Boyle, der mit Jerry (Elias Arens) aneinandergerät.

© Braun/drama-berlin.de

Premiere: Würgen mit Witz

Slapstick und leeres Formenspiel: Milan Peschel inszeniert „Juno und der Pfau“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters

Jack Boyle, genannt „der Pfau“, hüpft mit Vorliebe in oberschenkelumschlotternden Baumwollschlüpfern durch seine Dubliner Mietsbude. Es sei denn, jemand kommt unter schwerem Slapstick-Zwang durch die Tür auf der Kammerbühne des Deutschen Theaters gehampelt, um ihm ein Jobangebot zu unterbreiten. Dann sinkt der arbeitsscheue Patriarch schlapp in ein Sitzmöbel und täuscht akutes Beinleiden vor, was Gattin Juno zu entsprechenden Schimpftiraden über ihre haushälterische Alleinverantwortung veranlasst. Tochter Mary leistet sich – sozialtechnisch nach oben orientiert – mit dem windigen Pädagogen Bentham unterdessen einen folgenschweren Fehlgriff, während Sohn Johnny, kriegstraumatisiert, als leibhaftiges Zeitgeschichtsmahnmal übers Szenario hinkt.

Sagen wir mal so: Eine zündende Inszenierungsidee wäre aus Zuschauerperspektive zumindest erfreulich gewesen, wenn man heutzutage im DT über drei Stunden Sean O’Caseys Szenen aus dem irischen Proletarierleben während des Bürgerkriegs anno 1922 beiwohnt. Milan Peschel hatte, um es gleich vorwegzunehmen, diese zündende Idee leider nicht. In Berlin sah man die Inszenierungen des ehemaligen Volksbühnenstars, der seit geraumer Zeit zwischen Bühne und Regiepult wechselt, bisher im Kinder- und Jugendtheater an der Parkaue sowie im Maxim-Gorki-Theater. An beiden Häusern gelangen Peschel Arbeiten, die zwar stets offensichtlich auf der Castorf-Oberfläche surften, ohne dabei auch dessen diskursive Tiefgänge anzustreben. Aber es waren Abende, die mit Vitalität, perfekt überdrehtem Timing und einer diebischen Ensemble-Freude am Endlos-Slapstick überzeugten.

Bei Peschels Inszenierungsdebüt amDeutschen Theater ist davon kaum etwas zu sehen. Schon der Auftakt – Katrin Wichmann kämpft als Mary mit einer Zeitung sehr ausgedehnt gegen die Erdanziehungskraft – wirkt bezeichnenderweise eher schwerfällig um Komik bemüht, denn tatsächlich witzig. Und dabei wissen wir ja, dass Wichmann eigentlich kein Lakonik-Problem hat. Die Krux ist wohl eher, dass Peschel selbst zum Stück, mithin zum Gros der Figuren, keine rechte Haltung zu finden scheint.

Klar: Das zentrale Duo des Abends – der von Michael Schweighöfer mit routiniertem Witz auf die Bühne gewuchtete Baumwollunterhosenträger und dessen Saufkumpan Joxer, den Moritz Grove als optische Reverenz an den Regisseur (und auch ansonsten als sehr bewegliche Erscheinung) gibt – ist ganz auf Komödie abonniert. Und Ole Lagerpuschs physisch wie psychisch versehrter Johnny, der – was keiner ahnt – den Nachbarssohn verraten hat und final exekutiert wird, setzt den tragischen Kontrapunkt. Der Rest der Bühnenfamilie hängt irgendwo zwischen diesen Polen, wobei die Grundregel zu lauten scheint, dass ein potenzieller Empathie-Moment unbedingt zeitnah mit einem Hysterieausbruch und/oder einer aus den Angeln fallenden Tür zu kontern ist: Mittel-Recycling aus der Volksbühne, allerdings lediglich als leeres Formenspiel.

Innerhalb dieser Grundverabredung spielt dann jeder, notgedrungen, seinen Stiefel: Anita Vulesicas Juno changiert zwischen Einfühlungsmuttertier und Ehegattinnen-Satire. Katharina Marie Schubert passt als feierlaunige Mitmieterin Mrs. Maisie Madigan perfekt zu ihren grellen Fummeln, und auch Bernd Moss trägt als Bentham einen angemessen halbseidenen Schnauzbart zur knappen Jeansweste. Dass sich Elias Arens’ kleinbürgerlicher Gewerkschafter Jerry vergeblich an Mary abhampelt, kann man angesichts seines albernen Mützchens genauso gut verstehen wie die Tatsache, dass sich Katrin Klein als personifizierter nachbarschaftlicher Störfaktor ihrer Sätze ausgesucht trockenen Tones entledigt, um so schnell wie möglich wieder zu verschwinden.

Richtig Schwung will noch nicht mal in die von Magdalena Musial entworfene Boyle’sche Sperrholzbude kommen, als selbige dank eines vermeintlichen Erbsegens im zweiten Akt schon mal auf Pump ordentlich aufgemöbelt wird. Ein bisschen Drive bekommt der kurzzeitige, in konsumsüchtigen Übersprungshandlungen kanalisierte Aufstiegsglaube tatsächlich erst durch Elvis-Untermalung und ein geschätztes Dutzend solidarischer Zuschauer aus den Parkett-Randbereichen, die sich kurz vor der Pause vom Ensemble zum Mittanzen auf die Bühne bitten lassen.

Dass Peschel im letzten Akt – Bentham hat das Erbe durch einen Formfehler vergeigt, Mary geschwängert und das Weite gesucht, während Johnny zur Exekution abgeführt wird – schließlich in gänzlich tragödisches Fahrwasser einschwenkt, macht das Ganze nicht überzeugender. Kurzum: Die Frage nach der Motivation dieses Abends bleibt auch nach hundertachtzig Minuten unverändert im Kammerspiel-Raum stehen. Es sei denn, man begreift die Inszenierung ausschließlich als Beitrag zur Grundidee des Hauses, gelegentlich im eigenen Archiv zu stöbern – was im Falle von Arbeiten wie Peter Hacks’ „Die Sorgen und die Macht“ ja durchaus schon das eine oder andere interessante Ergebnis gezeitigt hat. Adolf Dresens Inszenierung von 1972 in den DT-Kammerspielen soll schließlich – wie Augenzeugen berichten – maßgeblich gewesen sein. Milan Peschels war es leider nicht.

Weitere Aufführungen am 9., 12., 19. und 28. Februar um 20 Uhr

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