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Preußischer Kulturbesitz: Die einmalige Chance

Stiftungspräsident Klaus-Dieter Lehmann spricht im Interview über 50 Jahre "Preußischer Kulturbesitz".

Herr Lehmann, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, deren 50-jähriges Bestehen am Freitag gefeiert wird, ist der größte Kulturkomplex Europas. Doch angefangen hat sie als eine Art Auffangbecken für die kulturellen Reste Preußens, mit der ausdrücklichen Bestimmung, sie nach der Wiedervereinigung neu zu regeln. Was ist eigentlich aus diesem Auftrag geworden?

Die Formulierung, die 1957 gefunden worden ist, bezog sich auf eine Rumpfsituation. Aber die Wiedervereinigung war schon mitgedacht. Als sie dann kam, wurde im Einigungsvertrag niedergelegt, dass an der Stiftung auch die neuen Länder beteiligt sein sollten. Es war eine Demonstration der Gemeinsamkeit, dass 1992 alle ostdeutschen Länder erklärt haben, dass sie Teil der Stiftung werden wollen. Damit wurde die Absicht von 1957 quasi eingelöst. Und da ein unkündbares Finanzabkommen hinzu kam, können wir heute sagen: Die Stiftung steht auf einem festen Fundament.

Von Anfang an musste die Stiftung zwischen dem Föderalismus und einer übergreifenden Bedeutung operieren. Das Nationale stand sozusagen in der Kulisse, durfte sich aber nicht – man erinnere sich an den Streit um den Gedanken einer Nationalstiftung – auf die Szene wagen. Nun ist Deutschland wieder ein Nationalstaat. Ist der Begriff noch immer tabu?

Sie spielen darauf an, dass ich einmal versucht habe, für die Stiftung den Begriff „Nationalstiftung“ mit dem Zusatz „Preußischer Kulturbesitz“ zu lancieren. Ich war ja immer der Auffassung, dass wir als eine gesamtstaatliche Einrichtung tatsächlich eine nationale Stiftung sind.

Aber die Länder haben sich lange gesträubt.

Weshalb sich die Gründung bis 1961 hinzog. Aber von vornherein stand hinter der Stiftung eine gesamtstaatliche Intention. Deshalb wäre der Name schon ein Punkt, den man in Zukunft nochmals bedenken sollte.

Die Entstehungsgeschichte hat ihren Niederschlag in einer komplizierten Struktur gefunden: Alle Länder sind dabei, aber der Bund zahlt – in erster Linie. Welchen Sinn hat da noch die Mitgliedschaft der Länder?

Zunächst einmal ist es ein politisches Signal, dass die Länder bereit sind, in unserem föderal verfassten Land gemeinsame Vorstellungen in der Hauptstadt zu focussieren. Das finde ich sehr wichtig. Denn es zeigt, dass der Kulturföderalismus nicht Partikularismus sein muss, sondern kooperativ sein kann.

Hat es Sie deshalb so alarmiert, als im Zuge der Föderalismus-Debatte gefordert wurde, die föderalen Strukturen müssten radikal entflochten werden?

Das hätte das Selbstverständnis der Stiftung empfindlich getroffen. Ich bin damals in die Länder gereist, habe mit den Chefs der Staatskanzleien gesprochen und in der entscheidenden Sitzung sehr deutlich gemacht, dass die Länder sich ins eigene Fleisch geschnitten, nämlich ihre kulturelle Zuständigkeit verkürzt hätten. Damit war Schluss mit der Debatte.

Das ist die staatspolitische Ebene. Was haben Sie praktisch von der Mitgliedschaft der Länder?

Wir haben zunächst einmal etwas davon, dass im Stiftungsrat Vertreter der Wissenschafts- und Kultusministerien sitzen, die inhaltliche Positionen in die Debatte bringen. Auch wenn zum Beispiel Bayern oder das Saarland nicht die großen Beträge beisteuern – dass sie mit am Tisch sind, ist für uns eminent wichtig. Wir haben immer kurze Wege, ich habe zum Beispiel zu den bayerischen Kultusministern, zu Zehetmair oder Goppel, immer einen beste Kontakte gehabt. Aber auch die Länder haben etwas davon. Wir haben ein föderales Programm aufgelegt, mit dem fertig kuratierte Ausstellungen der Stiftung in Ländern oder Kommunen gezeigt werden können. Und wir haben mit Unterstützung der Länderbegonnen, Zweigstellen aufzumachen – in Bad Arolsen das wunderbare Rauch-Museum, in Dortmund die Kleine Nationalgalerie, in Brandenburg das Kloster Heiligengrabe.

Föderalismus also nicht als Gegeneinander von Bund und Ländern, sondern als Zusammenwirken?

Genau. Es gibt zum Beispiel Ausstellungen, für die es einer Bündelung der Kräfte bedarf. Nehmen Sie die große Ausstellung in Brüssel anlässlich der deutschen EU-Präsidentschaft: Da haben die Sammlungen Dresdens, Münchens und Berlins zusammengewirkt, unter unserer Federführung. Und das Erlebnis, das die Herren Generaldirektoren Reinhold Baumstark, Martin Roth und Peter-Klaus Schuster dabei gehabt haben, hat dazu geführt, dass sie jetzt solche gemeinsamen Ausstellungen weiterplanen. Für mich ein großartiges Schlüsselerlebnis.

Die Stiftung soll den sinnvollen Zusammenhang der Sammlungen im Auge haben. Was ist sinnvoll an diesem gewaltigen Geleitzug unte5rschiedlicher Einrichtungen: 17 Museen, die Forschungseinrichtungen, die Staatsbibliothek, das Preußische Archiv. Gibt es, gemäß der BWL-Logik, die berühmten Synergien?

Es ist nicht nur BWL-Logik, sondern geht um Inhalte. Alle Einrichtungen sind Ausdrucksformen ein- und desselben Gegenstandes, nämlich kulturelle Quellen. Ich habe es immer als ein Manko empfunden, dass Museumsleute, Bibliothekare, Archivare oft nur in ihrer Sparte denken. Heute finden Sie in Ausstellungen wunderbare ostasiatische Handschriften, mittelalterliche Drucke oder Musik, die aus dem Institut für Musikforschung stammt. Diese Vernetzung setzt sich fort in der digitalen Welt, in der Wissenschaft und Forschung inzwischen angekommen sind.

Eine besondere Stärke der Stiftung, die nicht durch Zentralisierung geschaffen wird, sondern durch Vielfalt.

Berlin unterscheidet sich von anderen Museen vor allem durch seine Philosophie, die stark durch die Wissenschaft geprägt worden ist. Das bedeutet, Sie finden in einem Museum, anders als im Louvre, nicht nur das Meisterwerk, das Highlight, sondern immer den Kontext.

Damit berühren wir schon die Geschichte, die in dieser Stiftung steckt. Erst waren die Berliner Museen Spätankömmlinge auf der internationalen Museumsszene. Dann waren sie bald ein halbes Jahrhundert getrennt. Schließlich mussten sie neu zusammengefügt werden – eine große Anstrengung, aber auch ein gewaltiger Aufbruch. Was bedeutet diese Geschichte für das Profil der Stiftung?

Ich glaube, dass uns diese besondere Geschichte zwei Mal große Chancen verschafft hat. Einmal im 19. Jahrhundert, in dem die Bildungsidee die Museen in ein ganz anderes gesellschaftspolitisches Zentrum gestellt hat als die Sammlungen der Könige und Fürsten. Und heute haben wir die große Chance, dass wir den Schritt hin zu neuen Vermittlungsformen machen können, zu einem Zeitpunkt, wo wir in einer Situation des Wiederaufbaus. Damals war es die Fülle und heute ist es die Qualität, mit der wir uns absetzen von einer Event- und Massenkultur. Wir wollen im 21. Jahrhundert diejenigen sein, die für die Aura der Kunst zuständig ist.

Und Sie können zugleich ein Herzstück der Stadt mitgestalten, die Museumsinsel…

Aber es fehlt bei dieser Neuorientierung noch der Eckstein: Das ist das Gebäude gegenüber dem Bode-Museum, der neue Galeriebau. Dann würde sich die ganze Kulturlandschaft in Berlin fast organisch ordnen. Wir hätten die Museumsinsel für die Archäologie und die Alten Meister, also die abendländische Kunst bis zum 19. Jahrhundert, wir hätten auf dem Schlossplatz die außereuropäischen Kulturen und auf dem Kulturforum die Moderne. Die Gemäldegalerie würde an ihren eigentlichen Platz rücken, in den Zusammenhang des Bode-Museums. Und das würde endlich den Gordischen Knoten für die moderne und zeitgenössische Kunst durchschlagen, indem wir die jetzige Gemäldegalerie als Galerie des 20./21. Jahrhunderts einrichten würden und den Hamburger Bahnhof freischaufeln für die Frontlinie der zeitgenössischen Kunst. Und wir hätten den Mies- van-der-Rohe-Bau als Ausstellungshalle. Dafür benutzen wir ihn ja jetzt schon ständig, aber immer zu Lasten der permanenten Sammlung.

Das bedeutete die endgültige Wiedergewinnung der Berliner Mitte, die ja den Grundzug der Entwicklung des Preußischen Kulturbesitzes seit 1989 bildet.

Und entspricht dem preußischen Vorbild. Wir haben nur an einem Punkt anders gedacht, vielleicht etwas verwegen, indem wir den hochpolitischen Schlossplatz mit einer anderen Sinnstiftung versehen haben, weil die Politik weggezogen ist. Dass die außereuropäischen Kulturen damit in die Mitte rücken, ist etwas, was Wilhelm und Alexander von Humboldt schon gedacht haben, aber nicht realisieren konnten.

Das ist der Gedanke des Humboldt-Forums, der zunächst eine Verlegenheitslösung war. Nun sieht es so aus, als befreie er die Politik aus ihrer Ratlosigkeit und verschafft der Neuordnung der Sammlungen ihre Krönung …

Ja, es ist verrückt. Aber ich glaube, es ist eine Lösung, die für das 21. Jahrhundert etwas Ähnliches sein könnte, wie es die Museumsinsel für das 19. war. Und insofern könnte die Botschaft erneut lauten – die Deutschen als Vermittler, als Kulturvermittler in der Welt. Das hätte eine Ausstrahlung nach Außen und Innen, die nicht zu unterschätzen ist.

Wie Moses werden Sie selbst das Gelobte Land nur von Ferne sehen.

Richtig. Doch am Auslobungstext für den Architekturwettbewerb habe ich bis gestern noch gesessen. Die Realisierung ist dann nicht mehr meine Sache. Das liegt dann in der Regie von Hermann Parzinger, meinem Nachfolger als Präsident der Stiftung.

Die Fragen stellte Hermann Rudolph.

KLAUS-DIETER LEHMANN, 67, ist seit 1999 Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin. Zum 1. März 2008 wird er Präsident des Goethe-Instituts.

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