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Literatur im grünen Bereich. Jungautorin Svenja Leiber liest, Altautor Hanns-Josef Ortheil hört zu.

© Judith Grobe

Prosanova-Festival: Gelingendes Lesen

Von der liebevollen Variation bis zur großen Inszenierung: Hildesheims Prosanova-Festival für junge deutschprachige Literatur erprobt das Potential von Dichterlesungen.

Die lustigste Szene des dritten Hildesheimer Prosanova-Festivals ereignet sich wenige Minuten vor Festivaleröffnung. Da gerät der Schriftsteller Hanns-Josef Ortheil, Leiter des Instituts für literarisches Schreiben an der Universität Hildesheim, im Festivalzentrum in den Bannstrahl eines Beamers, über seinen weißen Leinenanzug wandert plötzlich Schrift, Ortheil wird daraufhin von Beobachtern der Szene gestoppt, zum Foto genötigt – wann hat man das auch schon mal: einen Schreibschulleiter, auf dessen Rücken „Ersatzlampe“ steht?

Die Szene weist die Richtung, in die es bei diesem größten literarischen Nachwuchsfestival in Deutschland, das Ortheils Studenten im Dreijahresturnus in Hildesheim ausrichten, gehen soll: Die „Lesung als eigenständige Kunstform“ soll im Mittelpunkt stehen, die Übersetzung von Literatur in den Raum, und dazu gehören natürlich auch die Beamer, von denen einer sein Testbild auf Ortheil geworfen hat. Während der Eröffnungszeremonie projizieren sie in alle Ecken des Raumes Live-Blogs der Schreibschüler zu den Reden der Honoratioren, und der erste zauberische Effekt des Festivals stellt sich ein, als während einer besonders öden Ansprache die Beamer-Blogger anfangen, sich vom gesprochenen Wort abzulösen und zu vernetzen, aufeinander zu verweisen, im und mit dem Raum Poesie zu installieren.

Es ist aller Ehren wert, wie oft das bei den rund 30 Veranstaltungen in den darauf folgenden Tagen miss- oder zumindest nicht ganz gelingt. Die Lesart der Lesung als Kunstform, das wird beim Prosanova schnell klar, bietet unzählige Möglichkeiten des Scheiterns. Der Grat, der zwischen totaler Überformung des Textes und dem Herabsinken der Inszenierung zur Dekoration verläuft, ist schmal. So scheitern bereits am ersten Abend der schweizerische Schriftsteller Michael Stauffer und die Musiker Hans Koch und Balts Nill damit, aus ihrem Auftritt mehr werden zu lassen als eine Mixtur aus Jandlschem Wortsalat mit etwas Geräuschemacherei. Auch der anschließende Videoslam ist ein Totalausfall – unter anderem, weil sich einige der acht Autoren erfolgreich dem Anspruch verweigern, mit ihren Texten der Narration der parallel zum Vortrag gezeigten stummen Kurzfilme eine textliche Ebene hinzuzufügen, die nicht nur vom Film inspiriert ist, sondern sich direkt auf seine Bilder, seine Story, sein Timing bezieht.

Timing und Präzision in der Umsetzung inszenatorischer Vorhaben ist generell das, was der hier gezeigten Lesungspraxis oft noch abgeht: Da gerät die „Super-H1N1-Messe“ des Hildesheimer Studenten Kay Steinke zum Desaster, weil sein Headset-Mikro sich nicht gegen die Bässe der Musik durchsetzen kann und die gesamte Inszenierung so in ihre Einzelteile zerfällt. Dass selbst ein Gelingen auf technischer Ebene nicht zwingend den Publikumserfolg nach sich zieht, beweist die akustische Rauminstallation „Play*“ von Mara Genschel: Vielleicht spaltet die das Publikum auch deshalb, weil es eben noch keine Rezeptionspraxis für den Informationsabbruch bei Dichterlesungen gibt, kein Verständnis für die Unverständlichkeit von Textpartikeln. Die Einsicht darein, dass es unter Umständen in Lesungen mehr um die sprachliche Aufarbeitung eines Raums gehen sollte als um einen linearen Vortrag und die Präsenz der Dichterin, die sich hier hinter ein Mischpult zurückzieht, muss wohl noch wachsen.

Denn auch das ist offenkundig: Die beliebtesten Aufführungen sind zumeist nicht die Raum- und Klanginstallationen in den großen Hallen des ehemaligen Kasernengeländes, das mit dem Festival bespielt wird. Es sind die Momente, in denen die Elemente der klassischen Lesung minimal zugespitzt werden – wie etwa bei den „Dunkellesungen“ mit Guy Helminger und Dieter M. Gräf, bei den „Haushaltsfragen“ am Küchentisch der Lyriker Elke Erb und Christian Filips, oder auch beim „Behördengang“, bei dem Jungliteraten in Räumen aufgesucht werden können, die ihren Texten eine gestalterische Dimension zusetzen. Die Strandlandschaft mit Bodybuilder, in der Leif Randt aus seinem Roman „Schimmernder Dunst über Coby County“ liest, ist ein gutes Setting für einen guten Text, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Ist es deshalb nun so, dass die kleine Form der Literatur doch näher ist als die große Inszenierung? Diese Frage lässt Prosanova unbeantwortet, indem es beide Formen nebeneinanderstellt. Dazwischen entsteht ein Möglichkeitsraum, der die viel zitierte „Wasserglaslesung“ hinter sich lässt, was man – so wenig, wie bei diesem Festival über Texte selbst geredet wird – nicht zwingend gut finden muss. Eine Abwechslung ist es jedoch allemal.

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