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Protestantisches Milieu 1: Blues-Messe in der Samariterkirche 1985, fotografiert von Harald Hauswald.

© Harald Hauswald, Stiftung Deutsches Historisches Museum

Prostestantische Kulturgeschichte im DHM: Pfarrers Kinder, Müllers Vieh

Die Ausstellung „Leben nach Luther“ im Deutschen Historischen Museum beleuchtet den Mythos des evangelischen Pfarrhauses.

Das hässliche Wort lässt sich dann doch nicht vermeiden: „Dachmarkenkampagne“ nennt Museumschef Alexander Koch den mehrjährigen Veranstaltungszirkus, der uns auf das bevorstehende Reformationsjubiläum einstimmen soll. 2017, also pünktlich 500 Jahre nach Luthers Thesenanschlag, plant das Deutsche Historische Museum eine große Ausstellung „über die globalen Auswirkungen der Reformation“ und träumt auch schon von Ausstellungsgastspielen in den USA. Doch ehe der Blick ins Weite schweift, ist erst mal eine gründliche deutsche Nabelschau angesagt. Unter dem frömmelnden Titel „Leben nach Luther“ richtet das Deutsche Historische Museum seine Scheinwerfer in die gute Stube des Protestantismus. Was ist dran am Mythos vom evangelischen Pfarrhaus als einem Milieu, das deutsche Dichter und Erfinder, Gesinnungstäter und Spitzenpolitiker auf die Erfolgsspur bringt?

Ein wuchtiger Holzbottich im Untergeschoss des Pei-Baus illustriert den praktischen Sinn der protestantischen Geistlichkeit: eine Waschmaschine aus dem 18. Jahrhundert, erfunden von dem Regensburger Superintendenten Jakob Christian Schäffer. Der tüftelte so lange an einem Apparat zum Zerkleinern von Pflanzenfasern für die Papierherstellung herum, bis er die menschenfreundliche Waschmaschine erfunden hatte. Ähnlich eindrucksvoll ist das Modell einer Kältemaschine des Pfarrerssohns Carl von Linde, dessen Namen bis heute ein Dax-Konzern trägt. Auch Berlins ewiger Stararchitekt Schinkel ist, wo sonst, in einem Pfarrhaus aufgewachsen. Auf einem Großgemälde aus der Nationalgalerie sinniert Friedrich Nietzsche auf der Veranda des elterlichen Pfarrhauses in Naumburg: „Trachte ich denn nach Glück? Ich trachte nach meinem Werke!“

Bis der Ausstellungsbesucher das Pantheon der berühmten Pfarrerssöhne erreicht, dauert es indes seine Zeit. Mit rund 550 Exponaten sollen 500 Jahre Kulturgeschichte nacherzählt werden, von der Reformation bis zur Wahl des amtierenden Bundespräsidenten. Frei nach Marx wollten die Kuratoren Bodo-Michael Baumunk und Shirley Brückner das deutsche Pfarrhaus „vom Kopf auf die Füße stellen“. Geschickt umkurven sie theologische Fragen, widmen sich umso intensiver der Kultursoziologie des evangelischen Pfarrers und seines Familienalltags.

Die ersten Räume stellen den reformierten Typus des Geistlichen vor, seine Rollenspiele, Gewänder und Rituale. Auf einem großen Gemälde von 1646 empfängt ein holländischer Pastor die Besucher im schwarzen Talar, die aufgeschlagene Bibel in der Hand, von einer niedlichen Herde weißer Schäfchen bewundert. Andere Leihgaben, vor allem aus Skandinavien, zeigen die Ritualmeister bei Taufen, Andachten, Glaubensprüfungen und Gottesdiensten in Kirchen oder unter freiem Himmel. Oder hoch zu Pferde auf dem Weg zur Jagd, als Exempel für den luxuriösen Lebensstil anglikanischer Landpfarrer.

In den Pfarrersfamilien, die ein besonders gottgefälliges Leben vorleben sollten, bildete sich das protestantische Arbeitsethos heraus, eine der Grundlagen für den Siegeszug des Kapitalismus. Von der Mischökonomie deutscher Pastorenhaushalte um 1800, denen die Bauern Hand- und Spanndienste leisten mussten, führt der Ausstellungsparcours zur Motorisierung der Seelsorger im 20. Jahrhundert. Statt Glaubenstraktate liest man die Liste der Kaskoschäden des Jahres 1932, für die die Pfarrer-Kraftfahrer-Vereinigung zahlte. Weniger amüsant ist um dieselbe Zeit die ideologische Vereinnahmung des deutschen Pfarrhauses durch die politische Rechte: Es wurde zum „Erbmilieu“ (Gottfried Benn) verklärt, zur Brutstätte nationaler Tugenden.

Protestantisches Milieu 2. ein Porträt von 1667 – die Pfarrfrau Sibylle Elisabeth Calvör geb. Twebom aus Clausthal-Zellerfeld
Protestantisches Milieu 2. ein Porträt von 1667 – die Pfarrfrau Sibylle Elisabeth Calvör geb. Twebom aus Clausthal-Zellerfeld

© Clausthal-Zellerfeld, Ev.-Luth. St. Salvatoris Kirchengemeinde

Der letzte Ausstellungsraum demonstriert die politische Zerrissenheit der Protestanten im 20. Jahrhundert: In der Nazizeit predigten „Deutsche Christen“ den Rassenhass, während Pastoren der Bekennenden Kirche zum Widerstand gegen den Satan Hitler aufriefen. Spätestens hier wird klar, dass die bloße Herkunft aus dem Pfarrhaus als Erklärungsmuster für das Verhalten eines Menschen nichts taugt – egal, ob man den Nazi Horst Wessel oder die RAF-Terroristin Gudrun Ensslin nimmt, den Friedensaktivisten Helmut Gollwitzer oder den DDR-Bürgerrechtler Markus Meckel, die Kanzlerin oder den Bundespräsidenten.

Seit rund 50 Jahren dürfen Frauen hierzulande den Priesterberuf ausüben und inzwischen sind sogar gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften in Pfarrhäusern legitimiert. Doch trotz aller Modernisierungsbemühungen schrumpfen die Gemeinden weiter und damit der Einfluss der Pastoren auf die Gesellschaft. Welche Rolle die Pfarrhäuser künftig noch spielen, ist unklar. Das verspricht spannende Diskussionen im Rahmenprogramm der Ausstellung, die versucht, allen Glaubensfragen aus dem Wege zu gehen.

Deutsches Historisches Museum, bis 2. März, tägl. 10–18 Uhr, Katalog (25 €), Themenheft (3 €)

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