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Kultur: Protest mit stillem Schrei

Eine Aktion iranischer Künstler in Berlin-Mitte

Die 20 jungen Tänzer liegen auf weißen Leintüchern, während Kani Alavi dem ersten ein Zeichen auf den Oberkörper malt, dann dem zweiten. Einer nach dem anderen beginnen sie sich nun zu bewegen, zum pulsierenden Trommeln einer iranischen Daf. Nun prägt der Maler das Zeichen in roter Farbe auf das Leinen: Es ist ein Gesicht, das an Edvard Munchs Gemälde „Der Schrei“ erinnert – ein universelles Symbol des Entsetzens.

„Ein stiller Schrei erreicht mehr als ein wirklicher“, erklärt Alavi die als Protest angelegte Performance auf dem Gendarmenmarkt. Gemeinsam mit dem Musiker Mohammad Mortazavi, dem Dance-Performer Kaveh Ghaemi und zahlreichen weiteren in Berlin lebenden iranischen Künstlern hat er die Protestaktion für mehrere in Iran verhaftete Filmschaffende aus den Bereichen Dokumentarfilm und Schauspiel initiiert – darunter Ramin Parchami, Pegah Ahangarani, Mahnaz Mohammadi und Marzieh Vafamehr.

Vor allem die engen Beziehungen der Filmregisseurin Manijeh Hekmat, Mutter von Pegah Ahangarani, zu Berlin haben die iranische Gemeinde mobilisiert. Ihre 27-jährige Tochter, die der Oppositionsbewegung angehört, wollte während der Frauenfußball-WM auf Einladung der Deutschen Welle einen Blog für iranische Fußballinteressierte schreiben. Anfang Juli verbot man der in ihrer Heimat populären Schauspielerin die Ausreise, kurz darauf wurde sie im berüchtigten Teheraner Gefängnis Evin inhaftiert.

Wie Ahangarani wurden zur selben Zeit auch Mahnaz Mohammadi und Marzieh Vafamehr ohne Nennung von Gründen verhaftet. Bei Vafamehr wird vermutet, dass sie wegen einer Filmszene verhaftet wurde, in der sie ohne den Ganzkörperschleier Hidschab zu sehen ist. Bereits im Februar war Ramin Parchami während einer Protestdemonstration in Teheran festgenommen worden.

Bewusst haben sich die Organisatoren bei ihrer auf stummen Protest setzenden Kunstaktion für den Gendarmenmarkt entschieden und nicht für das von Touristen überlaufene Areal am Brandenburger Tor. Unter den rund 100 Anwesenden am Donnerstagabend ist auch der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning. In einer kurzen Rede fordert er dazu auf, auch künftig für die politisch Verfolgten im Iran auf die Straße zu gehen.

Iranische Kunstschaffende sind zuletzt vermehrt das Ziel willkürlicher Verhaftungen geworden. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte spricht von einem „neuen Trend zur künstlerischen und kulturellen Gleichschaltung“. Als das prominenteste Opfer der Drangsalierung durch die iranischen Behörden gilt der Filmregisseur Jafar Panahi. Im Dezember 2010 wurde er zu einer sechsjährigen Haftstrafe und zu 20 Jahren Berufsverbot verurteilt, die Revisionsverhandlung steht noch aus. Martin Ernst

Martin Ernst

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