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Kultur: Protestgesten

Toula Limnaios zeigt das Tanzstück „Wut“.

Von Sandra Luzina

Wutbürger sind wir alle, zumindest neuerdings. Jetzt hat „Wut“ es zumindest bis in einen Stücktitel hineingeschafft: Doch die Wut der Berliner Choregrafin Toula Limnaios thematisiert nicht etwa den Zorn ihrer griechischen Landsleute, sondern verhandelt die auch gesellschaftlich mobilisierbare Energie – und das ziemlich zögernd – auf der metaphorischen Ebene. Anfangs stehen die sechs jungen Tänzer wie erstarrt am Bühnenrand. Die Frauen in altmodischen Kostümen ziehen aufreizend langsam Mantel oder Handschuhe aus, bis sich ein Kleiderhaufen auftürmt. Dahinter schrauben die Männer sich in eine erste Empörung, mit herausgeschleuderten Armen, geballten Fäusten und wiederholten Kipp- und Fallsequenzen. Später kommen auch die Frauen hinzu – oft nach der Formel: Die Frauen richten ihre Aggression nach innen, die Männer nach außen.

Doch bald verwandelt sich Karolyna Wyrwal in eine Furie: Sie verzerrt ihr Gesicht zur Wutgrimasse und kneift sich heftig in Bauch und Oberschenkel. Auch Elia López und Lisa Oettinghaus verkrampfen Hände und Körper wie bei einem spastischen Anfall. Auch in den Gruppenszenen feiert Limnaios nicht etwa die Macht des Kollektivs, sondern zelebriert kollektive Ohnmacht – etwa wenn alle so lange in einer Art Liegestütz verharren, bis sie entkräftet auf den Bauch plumpsen. Sollte das gar eine Allegorie auf Griechenland unterm Rettungsschirm sein?

Zu schroffen E-Gitarren-Klängen wird Karolyna Wyrwal dann von den anderen eingekreist und zum Opfer gemacht, geschubst, herumgewirbelt und weggestoßen. Ausgestoßen von den Stärkeren. Wenn auf dem Höhepunkt des Abends alle mit Schuhen werfen – Achtung: die bekannte Protestgeste in der arabischen Welt! – dann führt die Szene ins Leere. Aufstände sehen anders aus. Auch wenn Giacomo Corvaia, der mit verhülltem Gesicht wohl ein Folteropfer darstellen soll, gegen eine aufgehängte Plexiglasscheibe hämmert, dann zeigt das erst recht, dass dem Stück die gesellschaftliche Reibungsfläche fehlt. Und was ist der Stein des Anstoßes, als die Frauen sich über Kieselsteine wälzen und auf den Boden klopfen? Etwas mehr Wut hätte dem Stück gut getan. Sandra Luzina

Halle Tanzbühne, wieder vom

29. November bis 2. Dezember, 20 Uhr

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