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Später Fund. Ein lederner Sack aus Tansania mit Kalebassen, Vogelknochen und Hölzchen wurde durch Zufall im Depot des Ethnologischen Museums wiederentdeckt.

© Martin Franken / Ethnologisches Museum der Staatlichen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz

Provenienzforschung am Humboldt-Forum: Der Krieg und der Zauberbeutel

Streitfall Provenienzforschung: Beim Humboldt-Forum geht es nur mühsam voran. Den Anfang macht ein Projekt zu deutscher Kriegsbeute aus Tansania.

Eigentlich war Paola Ivanov ins Depot der Dahlemer Museen gegangen, um nach Schießpulver und Büchsen für die künftige Afrika-Ausstellung im Humboldt-Forum zu suchen. Dabei stieß sie durch Zufall auf einen Munitionsgürtel, der sie zu einem ledernen Zauberbeutel aus Tansania führte. Darin fanden sich zusammengeschnürte Hölzer, zwei Kalebassen, getrockneter Kuhdung, Steine, eine Glasperlenketten, der Kiefer einer Schildkröte, Vogelknochen – insgesamt über 90 Medizinen. Ein spektakulärer Fund.

Der Zufall ließ die Afrika-Kuratorin eine der erstaunlichsten Wiederentdeckungen der letzten Jahre für das Ethnologische Museum machen. Wie sich herausstellte, besitzt das Haus über 30 Beutestücke aus dem Maji-Maji-Krieg von 1905 bis 1907, ein hierzulande so gut wie vergessener Eroberungsfeldzug der Deutschen auf dem afrikanischen Kontinent. „Daran klebt tatsächlich Blut“, so Ivanov in Anspielung auf eine Bemerkung der Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy, die im Juli mit Aplomb das Beratergremium des Humboldt-Forums verlassen hatte – nicht zuletzt aus Protest gegen mangelnde Provenienzforschung. „Ich will wissen, wie viel Blut von einem Kunstwerk tropft“, hatte Savoy gepoltert und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz vorgeworfen, dass sie gefährliche Inhalte unter der Bleidecke halten würde – das Humboldt-Forum sei wie Tschernobyl.

Savoy hat damit die Debatte um das Humboldt-Forum im Schloss erneut befeuert. Seitdem melden sich verstärkt skeptische Stimmen zu Wort. Die Sozialanthropologin Katharina Schramm warnte davor, dass in dem bombastischen Bau nur auf die Neugier der Besucher, den spektakulären Charakter der Schaustücke gesetzt werde. Der Hamburger Kolonialismusexperte Jürgen Zimmerer unterstellte den Machern „koloniale Amnesie“. Kultursenator Klaus Lederer stellte diese Woche die gesamte Konstruktion – historisierende Hülle mit einem Super-Museum auf der Höhe der Zeit darin – infrage und forderte einen „diskursiven Neuanfang“.

Eine immense Arbeit für die Kuratoren

Zwei Jahre vor seiner Eröffnung steht das Humboldt-Forum mehr denn je in der Kritik. Die bisherigen Auseinandersetzungen um Form und Inhalt wirken wie das Vorgeplänkel zu einer Grundsatzdiskussion, die das kulturelle Renommierprojekt der Bundesregierung nicht mehr abschütteln kann. Den kolonialen Verflechtungen der Sammlungen müssen sich die drei Gründungsintendanten stellen, was ihnen mal mehr, mal weniger gelingt, wie zuletzt Horst Bredekamp. Der hatte es höchst unglücklich als „ein Spiel“ bezeichnet, die nur 34 Jahre währende deutsche Kolonialherrschaft angesichts einer Berliner Sammlungsgeschichte von 460 Jahren in den Mittelpunkt stellen zu wollen. Die Zusammenhänge zu erforschen, vor dieser Aufgabe stehen vor allem die Kuratoren. Eine immense Arbeit: Allein die tansanische Abteilung besitzt über 10 000 Objekte.

Als Paola Ivanov ihre Entdeckung machte, begriff sie noch einmal schockartig, welche Dimension diese Herausforderung besitzt. Zumal sie sich im riesigen Depotgebäude in Dahlem befand, in dem auch die Sammlungen Nord- und Südamerikas, Australiens, Ozeaniens untergebracht sind. Für die hunderttausende Objekte gibt es keine institutionalisierte Provenienzforschung, die Arbeit erledigen die Kuratoren bisher nebenher. Bei der Eröffnung des Musée Branly in Paris wurden 100 neue Stellen geschaffen. Berlin soll es aus eigenen Kräften schaffen. Savoy hat hier den Finger in die Wunde gelegt.

„Kriegsbeute von dem Ostafrikanischen Aufstand“ als Beschriftung

Dabei will es auch das Ethnologische Museum anders machen. Bei ihrem Gang ins Depot hatte Ivanov nach Objekten für eine endlich andere Darstellung kolonialer Auseinandersetzungen in Afrika gesucht: nicht für die hilflose Verteidigung der Bevölkerung mit Speer, Pfeil und Bogen, wie die Völkerkundemuseen jahrzehntelang weismachen wollten, sondern für den selbstbewussten Kampf mit Feuerwaffen, die aus Europa importiert worden waren. Im Vitrinenschrank, in dem sämtliche Behältnisse für Schießpulver aufbewahrt wurden, wie es nach der ethnologischen Systematik in Magazinen üblich ist, entdeckte die Kuratorin zunächst jenen Munitionsgürtel, auf dem fein säuberlich die Bezeichnung „Kriegsbeute von dem Ostafrikanischen Aufstand“ samt den Jahreszahlen stand.

Damit hielt sie unerwartet ein Zeugnis des äußerst gewaltsamen Maji-Maji-Krieges im Süden des einstigen Deutsch-Ostafrika in Händen. Eigentlich galten die 1907 aus der Hauptstadt Dar es Salaam nach Berlin ins Völkerkundemuseum entsandten Kisten als verschollen, „1872 Kilo“ insgesamt – angesichts der Menge wurde damals einfach abgewogen. Den Kuratoren erschienen die Stücke im Vergleich zu anderen massenhaft aus den sogenannten „deutschen Schutzgebieten“ hereinströmenden Objekten nicht bedeutsam genug für die Sammlung. So glaubte man bislang. Doch wurden zumindest 92 Stücke inventarisiert, vornehmlich Waffen, von denen 32 Inventarnummern erhalten blieben.

Es geht nicht um „saubere Ketten“ zu den Vorbesitzern

Ein kriminologischer Akt begann, denn hier ließ sich exemplarisch darstellen, welches Unrecht damals geschah – wer die Täter und wer die Opfer waren, genauer: wie die Stücke in die Sammlung gerieten. Wobei Paola Ivanov betont, dass vieles über Karawanen oder Händler in den Besitz der Museen gelangte. Die Darstellung der Afrikaner als Opfer bediene nur weiter Stereotype. Die Brutalität der Deutschen im Maji-Maji-Krieg sei nicht zuletzt durch ihre Wehrhaftigkeit bedingt.

Außerdem, fügt Ivanov hinzu, bedeutet Provenienzforschung für Ethnologische Museen etwas anderes als für Kunstmuseen, die „saubere Ketten“ zu den Vorbesitzern bilden könnten. An deren Ende mag eine Restitution stehen, wie in dieser Woche bei neun Kirchner-Grafiken. Die Preußenstiftung gab sie nun den Nachfahren eines jüdischen Sammlers zurück.

Zusammenarbeit mit Historikern und Kuratoren aus Tansania

Bei ethnologischen Objekten ist es komplizierter, allein durch die Sortierung nach Typologien, die Massen. Um es an einem Fall einmal genau darzustellen, hat die Kuratorin ein Pilotprojekt zu den Exponaten aus dem Maji-Maji-Krieg angeschoben. Mit 300 000 Toten gilt er als einer der größten Kolonialkriege auf dem afrikanischen Kontinent. Viele Opfer verhungerten, nachdem die deutschen Truppen das Land systematisch zerstört hatten. Ivanov beantragte die Gelder, eine Million Euro für ein Forschungsunternehmen, an dem neben ihr seit Juli 2016 die Historikerin Kristin Weber-Sinn und der Museologe Henryk Ortlieb beteiligt sind.

Die Besonderheit des Projekts „Tansania-Deutschland: Geteilte Objektgeschichten?“ besteht in der Kooperation mit Historikern der Universität von Dar es Salaam sowie Kuratoren des Nationalmuseums von Tansania. Während in Frankreich und England solche Tandems üblich sind, gibt es sie in Deutschland kaum, bedauert Ivanov, die nicht nur bei der Erforschung, sondern auch für die Präsentation im Humboldt-Forum eine Zusammenarbeit mit Kollegen aus dem Ursprungsland fordert. Im zweiten Teil ihres Projekts hofft sie nun darauf.

Wem könnte der Zauberbeutel gehört haben?

Kristin Weber-Sinn steckt noch mitten in den Recherchen für Trommeln, eine Schale. Bei der Zurückverfolgung des Zauberbeutels aus dem Dahlemer Depot hatte die Provenienzforscherin Glück, denn es existiert ein Bericht des damaligen Direktors des Leipziger Völkerkundemuseums, der 1905 in Dar es Salaam für die Kolonial-Abteilung des Auswärtigen Amtes die „Kriegsbeute“ begutachtete. In seinem Report erwähnt er zwei Zauberbeutel, von denen sich der eine in Dahlem befindet, der andere in Leipzig.

Als Nächstes suchte Weber-Sinn das Bundesarchiv auf und fragte bei den German Records des Nationalarchivs in Dar es Salaam nach, wo sie mehr über die damaligen Akteure erfuhr, aber keine Hinweise auf ihr Objekt erhielt. Dafür stieß sie im Geheimen Staatsarchiv auf den Bericht eines Sekretärs im Bezirksamt Mohoro, der die Gefangennahme und Exekution Heilkundiger im Vorfeld des Maji-Maji-Krieges beschreibt. Deren „Requisiten“ waren zuvor beschlagnahmt worden. Könnte der Berliner Zauberbeutel also den im Bericht erwähnten Medizinern Nawangna, Ligitire oder Ngamea gehört haben? Dafür reichen die Quellen nicht aus. Doch ließ sich wenigstens Mohoro als Ort identifizieren, wo die Beutel vermutlich konfisziert wurden.

Den Deutschen waren die Zeremonien der Heiler suspekt

Bei den deutschen Militärs spielten die Heilkundigen des Landes und ihre Rituale für die spätere Revolte eine Schlüsselrolle. Angeblich verteilten die sogenannten „Zauberer“ aus ihren Beuteln wasserhaltige Medizin an die Bevölkerung, um sie unverwundbar zu machen. Mit deren Hilfe sollte sich die feindliche Munition angeblich in Tropfen verwandeln. Stattdessen war die Medizin dafür gedacht, für Regen und gute Ernte zu sorgen, zu heilen. Doch den Deutschen waren die Zeremonien suspekt. Sie sahen in den Versammlungen Vorboten eines Aufstandes und griffen gegen die Heiler hart durch. Ein schlimmes Kapitel.

Der Zauberbeutel dürfte in der künftigen Präsentation des Humboldt-Forums eine wichtige Rolle spielen, lässt sich doch daran ein Zusammenhang zwischen der Sammlung und den kolonialen Eroberungskriegen erzählen. Zugleich repräsentiert er die Mühsal der Provenienzforschung. Das Tansania-Projekt kann nur ein Anfang sein. Hier ist die Bundesregierung gefragt. Als Folge des Gurlitt-Skandals stockte sie vor drei Jahren die Mittel für die Museen auf. Für das Humboldt-Forum muss schnellstmöglich eine Provenienz-Institution geschaffen werden – mit zahlreichen Mitarbeitern.

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