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Spekulationen. Filmemacher Viktor Giacobbo (rechts) diskutiert mit dem Schweizer Politiker Filippo Lombardi.

©  Camino

Pseudo-Doku "Der große Kanton": Augenzwinkern auf der Rütli-Wiese

Was wäre, wenn Deutschland der Schweiz beiträte? In seiner etwas zu braven Pseudo-Dokumentation „Der große Kanton“ spielt Viktor Giacobbo dieses Gedankenexperiment durch.

Oft in den letzten Jahrzehnten fühlten sich die Schweizer von ihren nördlichen Nachbarn dominiert und bedrängt. Das schuf böses Blut. Und manchmal auch handfeste politische Gegenwehr. Vor drei Jahren wollte der Schweizer SVP-Nationalrat Dominique Baettig den Anrainer-Regionen aus Deutschland, Frankreich und Italien mit einem Gesetz den Beitritt zum Alpenländle erleichtern. Jetzt kommt ein Film von Viktor Giacobbo mit dem Ansinnen, gleich ganz Deutschland als 27. Kanton der Schweiz anzugliedern. Selbstverständlich ganz demokratisch im Rahmen nachbarschaftlicher Hilfe zu beiderseitigem Nutzen: „Dann haben wir Sylt und die Deutschen das Tessin.“ Steuerflucht bräuchte es auch nicht mehr. Und der wegen nächtlichem Lärm zwischen beiden Ländern umstrittene Zentralflughafen Zürich könnte in regionaler Bedeutungslosigkeit endlich zur Ruhe finden.

Natürlich ist das nicht ernst gemeint, wie die Schweizer selbst schon beim Namen des Regisseurs erkennen, der seit einem Vierteljahrhundert im dortigen Fernsehen Satire macht und seit 2008 die komödiantische Late-Night-Wochenrückschau „Giacobbo/Müller“ ko-verantwortet. Jetzt will er mit „Der große Kanton“ neben dem schweizerisch-deutschen Kleinkrieg auch das Fernsehen selbst veräppeln und inszenierte seine Recherche als Pseudo-Dokumentation auf den Spuren des fiktiven Einverleibungsplans. Dabei arbeitet Giacobbo selbst in der Rolle des Reporters die Fixpunkte gegenseitiger Animositäten ab: von Steuer-CDs und Kavallerie bis zur Überfremdung durch deutsche Arbeitsmigranten. Hauptsächlich treten dabei Politiker und Medienprominente aus der Schweiz und aus Deutschland vor die Kamera und geben Statements ab – darunter der Verleger Michael Ringier, Frank-Walter Steinmeier und die Allround-Kempen Joschka Fischer, Elke Heidenreich, Cem Özdemir und Gregor Gysi, der bei dieser Gelegenheit einen Schweizer Migrationshintergrund offenbart.

Auch ein paar Urschweizer Identitätsorte wie die Rütli-Wiese werden besucht. Und in einem der vielen liebevoll ausgesuchten und arg knapp eingeschnittenen Archiv-Fernsehschnipsel singen die Jacob Sisters das Heidi-Lied. Man glaubt Giacobbo gerne, dass es Spaß gemacht hat, dieses Potpourri zusammenzubasteln. Nur auf die Zuschauer mag sich diese Lust nicht so richtig übertragen. Dafür gibt es einfach zu wenig Biss und zu viel einverständiges Augenzwinkern. Niemand will niemandem auch nur ein bisschen wehtun. Außerdem reicht eine mäßig witzige Idee nicht, um einen ganzen Film zu tragen. In der deutschsprachigen Schweiz kam „Der große Kanton“ letztes Jahr trotzdem für vier Wochen in die Top Ten. Hier dürfte das nicht annähernd gelingen. Oder ist das jetzt wieder deutsche Arroganz?

Acud, b-ware! ladenkino, Babylon Mitte, Moviemento

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