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Kultur: Punkt, Punkt, Komma, ich

Willkommen in der Vorstadt: Miranda Julys US-Komödie „Ich und du und alle, die wir kennen“

Mach ein Foto vom Chaos unter deinem Bett. Reproduziere ein Poster, das du als Teenager hattest. Spiel eine Filmszene nach, die dich zum Weinen gebracht hat. Schreibe deine Lebensgeschichte.

Solche Handlungsanweisungen stellt Miranda July in ihrem Internetprojekt „Learning To Love Yourself Better“ auf. Seit Jahren setzt sich die 32-jährige Künstlerin mit Individualität auseinander – in Performance-, Audio- und Videokunstprojekten, die ihren Weg schon ins MoMA und ins Guggenheim Museum fanden. Fürs Kino hat sie nun um das Thema Selbstfindung eine heliumleichte, tragikomische American-Suburbia-Erzählung gesponnen, in der sie ein ganzes Kaleidoskop von Realitätsentwürfen nebeneinander und auf die Probe stellt.

„Ich und du und alle, die wir kennen“, das sind zunächst unzählige Punkte, Kommata und Semikola auf einem Papier, das der 14-jährige Peter ausgedruckt hat: Menschen von oben betrachtet, stehend oder liegend, allein oder zu zweit. Chiffren einsamer Seelen, wie sie den gesamten Film bevölkern. Deren Versuche, miteinander in Kontakt zu treten, führen zwar selten direkt zum Ziel – dafür aber zu den schönsten Momenten dieses preisgekrönten Erstlingswerks.

Da ist zum Beispiel Peters frisch verlassener Vater Richard (John Hawkes). Der hat eine unförmige Nase, einen Job als Schuhverkäufer und keinerlei Anteil am Leben seiner Söhne, das sich überwiegend vorm Computer abspielt. Und da ist die erfolglose Multimedia-Künstlerin Christine (Miranda July), die in Richard etwas sieht, was dem Zuschauer beinahe verborgen bleibt: das Magische, das dieser seiner gebeutelten Existenz zumindest als Hoffnung abgewinnen kann. Als beide ein Stück Weg gemeinsam gehen, zaubert Christine daraus eine Allegorie auf ihr potenzielles Leben als Paar. Nur, um kurz darauf schroff von Richard aus dem Auto geworfen zu werden.

Gewiss ist es nicht zuletzt die ironische und dennoch herzerwärmend bodenständige Art, mit der July das Schaffen und Verkaufen von Kunst thematisiert, die dem episodenhaften Film Glaubwürdigkeit verleiht. Hier geraten Figuren, die anderswo als neurotische Zombies daherkämen, zu Zwittern, gleichzeitig traumgeneriert und allzu menschlich.

Die zehnjährige Sylvie etwa ist besessen von der Idee ihres künftigen Lebens als Hausfrau und Mutter. Der sechsjährige Robbie dagegen spricht kaum und steckt mitten in der analen Phase. Wie die beiden ihren kindlichen Obsessionen Ausdruck verleihen, wirkt nur auf den ersten Blick absurd: Während Sylvie fachmännisch Pürierstäbe und Handtuch-Sets für ihre Aussteuertruhe zusammenstellt, beginnt Robbie eine Online-Affäre mit einer erwachsenen Frau, die Gefallen an seinen unverblümten Fäkalfantasien findet.

Selbst aus dieser wohl abseitigsten Beziehung in „Ich und du“ erwächst ein Augenblick gegenseitigen Erkennens. So entfaltet der Film eine Suggestivkraft, die von Julys Handlungsanweisungen zur Selbstliebe nicht weit entfernt ist. Wie befremdlich deine Entwürfe dir auch vorkommen mögen: Vertraue darauf, dass es jemanden gibt, der sie versteht. Es mag sich um ein Missverständnis handeln. Vielleicht ist es aber auch Freundschaft und Liebe.

Babylon Mitte, Filmkunst 66, fsk am Oranienplatz (OmU)

Brigitte Böttcher

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