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Kultur: Purzelbäume der Moderne

„Skulptur heute!“: eine Ausstellung im Berliner Georg-Kolbe-Museum

„Skulptur ist das nächste Ding!“, wurde der Berliner Kunsthändler Gerd Harry Lybke in den vergangenen zwei Jahren nicht müde zu prognostizieren. Und das aus gutem Grund. Der gerade mit Bildern, genauer: Werken der Leipziger Malerschule, so erfolgreiche Galerist versuchte mit dieser Parole den nächsten Trend zu initiieren und damit sein eigenes Fortkommen zu garantieren. Recht sollte er behalten. 2007 steht im Zeichen der Skulptur. Gerade wurde der Schering-Kunstpreis entsprechend verliehen, die kommende Frankfurter Kunstmesse ist ausschließlich auf diese Gattung fokussiert, im Sommer kehren die Skulpturen-Projekte Münster wieder, die Documenta in Kassel und die Biennale in Venedig werden das Ihrige tun, um nicht außen vor zu stehen.

In Berlin wird derweil „Die Macht des Dinglichen“ konstatiert und „Skulptur heute!“ mit einem Ausrufezeichen annonciert. Der Freundeskreis der Bernhard-Heiliger-Stiftung eröffnet heute im Kolbe-Museum mit 24 Positionen ebenfalls eine rein auf dieses Medium zugeschnittene Schau. Das Gerede vom neuen Trend kommt Kurator Marc Wellmann gerade recht; als Stiftungsvorstand und Herausgeber vom Heiliger-Werksverzeichnis ist er hier ohnehin in seinem Element. Nun wird seinem Querschnitt durch die Bildhauergeneration der 30- bis 40-Jährigen besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Allein vier Kandidaten entstammen dem Nachwuchsförderprogramm der Stiftung, sogenannte emerging artists, aber wie ihre Kollegen längst in der Mitte des Marktes angelangt.

Und der schreibt seine eigenen Gesetze: All die Briccoleure, filigranen Bastler, Raumverwandler der neunziger Jahre sind nicht mehr gefragt. Handfestes ist angesagt, was sich nach Hause tragen lässt, wie kurz zuvor noch das Bild an der Wand. Haptisch, konkret, abgeschlossen, beständig nennt Wellmann als Kriterien für seine Wahl. Das klingt wie eine Empfehlung für den Börsenmarkt und trifft durchaus den Kern. Der Ausstellungskatalog hat den Charakter eines Nachschlagewerks, vornehmlich für Berlin. Mögen die Einzelpositionen noch so spannend sein; auf den wenigen Quadratmetern Ausstellungsfläche des ehemaligen Kolbe-Ateliers samt Anbau relativieren sie sich in ihrer Menge.

Herausragend erscheint, was auffällig ist: etwa Birgit Diekers „Olga“ aus ineinandergeschichteten Kleidungsstücken nach dem Babuschka-Prinzip. Sie ist zur Frontfigur der Ausstellung avanciert, abgesehen von Iris Schiefersteins Ferkelköpfchen in Formaldehyd, das Katalog und Einladungen ziert. Das possierliche Tier gehört zu einem Mischwesen aus Vogelkörpern, Fischleibern, puscheligen Fellschwänzen, das Damien Hirsts Haie und scheibenweise aufgesägte Kühen und Kälbern locker in den Schatten stellt.

Voyeuristische Bedürfnisse deckt auch Tony Matellis lebensechtes Selbstporträt als „Wanderer“ mit überdimensionalem Kopf. Durch seine dickwandige Brille blinzelt er in die Ferne und steht doch mit dem rechten Fuß am äußersten Felsvorsprung. In Anspielung an Courbets Bild „Die Begegnung“ ironisiert er hier den Mythos vom großen Künstler, der auch im 21. Jahrhundert noch seine Gültigkeit besitzt. Bescheiden nimmt sich dagegen Harry Hauks Selbstdarstellung aus in Gestalt dreier rechteckiger Pneus, die genau sein Körpergewicht von siebzig Litern fassen. Doch auch dahinter verbirgt sich die große Geste: Hauck benutzt wie Gottvater bei der Erschaffung des Menschen als Grundmaterial Lehm, dem er am Ende ebenfalls seinen Odem einhaucht.

Diese neue Bildhauergeneration gibt sich spielerisch, ist an trockenen Konzepten, theoretischem Überbau nur noch augenzwinkernd interessiert. Umso mehr legt sie auf Materialgerechtigkeit Wert. Plötzlich ist auch der jahrzehntelang als konservativ geächtete Bronzeguss nicht mehr tabu. Und sei es, dass er ironisch eingesetzt wird. So hat der zwischen L. A. und Berlin pendelnde Jason Rhoades-Schüler Joel Morrison seine Venus von Milo mit zwei aufgeblasenen Gummihandschuhen und einem herausragenden Korkenzieher zur Comicfigur degradiert, gleichzeitig durch das silbrig-glänzende Edelmetall wieder nobilitiert.

Einen ähnlichen Umkehrschluss vollzieht auch Jungstar Anselm Reyle, neben Jonathan Meese Aushängeschild der Schau. Er bläst afrikanische Specksteinskulpturen vom Flohmarkt am Computer zu metergroßen Henry-Moore-Adaptionen auf und stellt die rötlich eloxierten Bronzen auf ein furniertes Podest. Die Moderne schlägt hier fröhlich Purzelbaum. Gerade das macht die Ware der neuen Skulpteure für den Markt so attraktiv. Sie ist eloquent, edel, handwerklich gut gemacht und stellt sich selbstbewusst auf die Schultern ihrer Vorgänger. Kein Zweifel: Skulptur ist das nächste Ding.

Georg-Kolbe-Museum. Sensburger Allee 25, bis 28. 5.; Katalog (Wienand) 15 €.

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