zum Hauptinhalt
Fragwürdige Allianzen. Wladimir Jakunin, Oligarch, Putin-Vertrauter und Gründer des Politikinstituts "Dialog der Zivilisationen", wird am 1. Juli in Berlin bei der Gründungsveranstaltung vom ehemaligen Brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD, r) begrüßt.

© dpa

Putins Russland: Wandel durch Wertetransfer?

Während die Unterstützung demokratischer Kräfte in Russland durch den Westen wenig Wirkung zeigt, exportiert Putins Regime umgekehrt zunehmend Softpower hierher. Jüngstes Beispiel: der Berliner "Dialog der Zivilisationen".

Die Gründung des russischen Thinktanks „Dialog der Zivilisationen“ am 1. Juli in Berlin hat die deutsche Öffentlichkeit aufgeschreckt. Das „Institut“ mit einem Jahresetat von fünf Millionen Euro wird bekanntlich von Putins Freund Wladimir Jakunin finanziert. Der Oligarch, Nachrichtendienstler und frühere Leiter der Russischen Eisenbahn, dessen verzweigtes Offshore-Imperium von dem Oppositionspolitiker und Blogger Alexej Nawalny aufgedeckt wurde, versichert allen Ernstes, das Projekt sei gemeinnützig und habe mit dem russischen Staat nichts zu tun. Er investiere kein staatliches, sondern eigenes Geld. Da lachen die Hühner. Die meisten Kommentatoren liegen nicht falsch, wenn sie in der Denkfabrik ein weiteres Instrument eines hybriden Krieges vermuten, also eher „Tanks“ als „Think“.

Seit einem Vierteljahrhundert engagieren sich deutsche zivilgesellschaftliche Organisationen, NGOs, Stiftungen, Hochschulen und Städte in Russland und anderen postsowjetischen Staaten. Die Vielfalt der Projektfelder ist kaum noch zu überblicken: Menschenrechte, parlamentarische Zusammenarbeit, Strafrechtsreform, Umweltschutz, Aufarbeitung der Geschichte, Städte-und Hochschulpartnerschaften, Studentenaustausch – all das wurde von den deutschen und europäischen Steuerzahlern gefördert.

Die Lage der Menschenrechte hat sich unter Putin dramatisch verschlechtert

Seit der Machtübernahme durch Putin verschlechterte sich die Situation für solche Kooperationen. Die staatliche Willkür nahm immer mehr zu, das Parlament mutierte zu einem Akklamationsorgan und fing an, verfassungswidrige Gesetze zu fabrizieren. Die Gewaltenteilung wurde praktisch aufgehoben. Die Lage der Menschenrechte, der Medien- und Versammlungsfreiheit hat sich dramatisch verschlechtert. Fanden in den 90er Jahren noch öffentliche Diskussionen über die Verbrechen des Stalinismus statt, wird heute schon die kritische Erwähnung des Hitler-Stalin-Pakts auf Facebook mit einer Geldstrafe in Höhe von 200 000 Rubeln geahndet (rund 2800 Euro) – wie es Anfang Juli ein 37-jähriger Internetnutzer in Perm erleben musste.

Auch die Korruption nimmt immer groteskere Formen an. So soll Wladimir Jakunin den Recherchen von Nawalny zufolge in seinem stattlichen Anwesen ein riesiges Lager für seine Pelzesammlung eingerichtet haben. In internationalen Rankings ist Russland auf das Niveau afrikanischer Potentaten-Regimes herabgesunken. Und die russischen NGOs wurden per Gesetz gezwungen, sich als „ausländische Agenten“ registrieren zu lassen, wenn sie Förderung aus dem Ausland erhalten. Mit der Folge, dass viele ihre Arbeit einstellen mussten oder durch absurde Gerichtsverfahren ruiniert wurden.

Trotz allem zivilgesellschaftlichen Engagement ist die Demokratie in der Defensive

Das westliche und speziell deutsche Engagement hat mit der Entwicklung hin zum autoritären, korrupten Staat nichts zu tun. Die Kooperationspartner haben nichts falsch gemacht; weder die NGOs noch die zahlreichen Netzwerke und Institutionen der EU tragen Verantwortung für das Scheitern des Rechtsstaats und der offenen Gesellschaft in Russland. Trotzdem muss das niederschmetternde Ergebnis der von der Perestroika angestoßenen Entwicklung auch als Scheitern des westlichen Engagements gesehen werden.

Wladimir Jakunins Think Thank, den er gemeinsam mit Walter Schwimmer und Peter Wolfgang Schulze gegründet hat, will Werte aus Putins Russland in den Westen exportieren.
Wladimir Jakunins Think Thank, den er gemeinsam mit Walter Schwimmer und Peter Wolfgang Schulze gegründet hat, will Werte aus Putins Russland in den Westen exportieren.

© dpa/Michael Kappeler

Die Modernisierungspartnerschaften nahmen mit Siegeseuphorie nach dem Ende des Kalten Kriegs ihren Anfang, als der westliche Liberalismus zum teleologischen Endpunkt der Geschichte erklärt wurde. Früher oder später sollten alle postkommunistischen Länder mittels „Hilfe zur Selbsthilfe“ in normale Demokratien umgewandelt werden. Inzwischen hat sich der wohlmeinende Versuch, Russland zur Demokratie zu verhelfen, als eine Parallelaktion erwiesen, die nicht den geringsten Einfluss auf die wirtschaftliche und soziale Dynamik, die dramatischen Umwälzungen in Russland nehmen konnte. Der ersehnte Wandel, wie in den Blaupausen der Transformationtheorie vorgesehen, blieb aus. Weder durch Handel noch durch vermeintliche Softpower wurde er herbeigeführt, auch nicht durch zivilgesellschaftliche Kooperation.

Schlimmer noch, der Westen mit seinen Werten geriet selbst in die Defensive. Es ist nun umgekehrt Russland, das seine Wertepolitik im Westen vorantreibt, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen. Die Gründung des Berliner „Dialogs der Zivilisationen“ macht das Scheitern der Vorstellungen von einem Wertetransfer offenkundig. Offenbar ist keine noch so wohlgesinnte Partnerschaft imstande, eine Gesellschaft wie die russische auf ein anderes Gleis zu schieben. Die Demokratisierung können am Ende nur die Russen selbst betreiben.

Natürlich fällt es der deutschen Zivilgesellschaft schwer, sich von Russland als Objekt ihres langjährigen Engagements zu verabschieden. Doch im Klima des „hybriden Krieges“ und vor dem Hintergrund der aktuellen russischen Propaganda-Offensive wäre dessen unbeirrte Fortsetzung nur dann möglich, wenn die Partner sich den Bedingungen des Kreml unterwerfen. Das zeigt schon das sinnlose Tauziehen um die Beteiligung von Vertretern der Zivilgesellschaft am Petersburger Dialog, das lediglich den Opportunismus fördert.

Der Motor der Hilfsbereitschaft steht dennoch nicht still. Nun werden die Finanzmittel für Initiativen in Richtung Ukraine umgeleitet, um den angegriffenen Staat bei Demokratisierung und Modernisierung zu unterstützen. Aber selbst hier lässt sich bezweifeln, dass auswärtige Wohltäter dem gebeutelten Land aus der Misere helfen können. Die Ukraine, die über eine aktive und durch den Krieg gestählte Zivilgesellschaft verfügt, braucht vermutlich kein deutsches Know-how.

Wie soll Deutschland die Demokratie anderso durchsetzen, wenn sie auch hier kriselt?

Zu Recht klagte kürzlich der kritische Intellektuelle und Leiter der Böll-Stiftung Ralf Fücks: „Wir haben die Demokratie verlernt.“ Ob Polen, Ungarn oder die rechtspopulistischen Strömungen in Österreich, Frankreich, Großbritannien, Deutschland: Innerhalb Europas ist die Umwertung demokratischer Werte bereits im Gange. Und Jakunins Denkfabrik-Gründung ist nur eines von vielen Zeichen dafür, wie leicht es eine üppig finanzierte Gegenöffentlichkeit in der wehrlosen Demokratie haben kann.

Nun könnte man meinen, es wäre eine genuine Aufgabe der Zivilgesellschaft und gerade jener Kräfte, die sich mit Russland auskennen, sich gegen die Umkehrung der Werte im eigenen Land zu wehren. Seltsamerweise wird zwar gegen TTIP demonstriert, doch gegen Nordstream 2, mit dem Gas aus Russland an der Ukraine und Osteuropa vorbei geliefert werden soll, erhebt sich kaum Protest. Auch werden keine Forderungen laut, Jakunins Danaergeschenk wenigstens rechtlich unter die Lupe zu nehmen. Vielleicht ist es ja auch keine gute Idee, die Demokratie anderswo durchsetzen zu wollen, wenn sie im eigenen Hause gerade schlapp zu machen droht. Sonja Margolina
Die Autorin, geboren in Moskau, ist Biologin, Schriftstellerin und Publizistin. Seit 1986 lebt sie in Berlin. 2013 erschien von ihr „Kaltzeit – Ein Klimaroman“.

Sonja Margolina

Zur Startseite