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Kultur: Quadratisch, praktisch, weiß

Wie der Sammler Werner Ettel in seinem Privatmuseum die Klassiker des Braun-Designs hütet

Eigentlich ist es bloß ein grauweißer Kasten aus Blech, Holz und Plexiglas. Seine Schöpfer nannten ihn „SK 4“, und so, wie die Bezeichnung versprach, sah diese „Radio-Phono-Kombination“ auch aus, die vor fünfzig Jahren, im Sommer 1956, auf den Markt kam: radikal minimalistisch. Der Korpus besteht aus einem Blechgehäuse, das an den Seiten von einer Zarge aus Ulmenholz eingefasst wird. Ein Plexiglasdeckel gibt den Blick auf einen Plattenspieler und die Skala des Radioempfängers frei. Über dem obersten Drehknopf prangt der Name des Herstellers: Braun. Den Wirtschaftswunderdeutschen, gewöhnt an wuchtige „Musiktruhen“, muss das modernistische Klanggerät wie ein Ding aus einer anderen Welt vorgekommen sein. Halb spöttisch, halb ehrfürchtig tauften sie es „Schneewittchensarg“.

In der „Braun Design Sammlung Ettel“ nimmt SK 4 einen Ehrenplatz ein. Das von den legendären Gestaltern Dieter Rams und Hans Gugelot entworfene Jahrhundertobjekt steht auf einem lang gezogenen Bord, das mit Design-Klassikern geradezu überfüllt ist. Tischradios wie das „TS-G“ oder das „G 11“ (beide 1955) griffen mit ihren Holzgehäusen die nüchterne Klarheit des skandinavischen Möbelbaus auf. Dreißig Jahre später, da war die deutsche Tüftler-Firma längst vom amerikanischen Konzern Gillette übernommen worden, erreichte das Braun-Design seinen Hightech-Höhepunkt: Die Hifi-Anlage „atelier“ (1980 bis 1987) stapelte Verstärker, Receiver, CD-Player und Plattenspieler übereinander und stellte sie auf einen pilzförmigen Fuß. Die Produkte des im Taunus-Städtchen Kronberg angesiedelten Unternehmens repräsentierten eine Avantgarde, die Eleganz und Funktionalität zu vereinen wusste.

Für Werner Ettel sind Braun-Geräte mehr als bloß Gegenstände. Er nennt sie „Skulpturen“, manche von ihnen seien für die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts nicht weniger bedeutend als „ein Brancusi oder ein Giacometti“. Um sie in ihrer ganzen Schönheit erfassen zu können, müsse man um sie herumgehen. Hässlich ist beim holzverkleideten Plattenspieler „G 12 V“ (1957) oder dem streng symmetrischen Fernseher „HF 1“ (1958) nicht einmal die Rückseite. Ettel, der an der Münchner Kunstakademie studiert hat und seit dreißig Jahren an Spandauer Gesamtschulen Kunst unterrichtet, hat die vermutlich größte private Braun-Sammlung zusammengetragen.

Seine Kollektion umfasst rund tausend Objekte, darunter alle Fernseher, Kompaktanlagen und Phonoschränke des ruhmreichen Herstellers, aber auch die Kaffeemaschine „KF 20“ in sämtlichen Farben – weiß, grün, gelb, orange, hellrot, dunkelrot. Dazu kommen Plakate, Fotos und Werbematerialien sowie die umfangreiche, eine halbe Wand einnehmende Bibliothek. Ein perfektes Privatmuseum. Einmal im Monat öffnet der Design-Enthusiast seine Sammlung, die in der Spandauer Zitadelle auf 160 Quadratmetern untergebracht ist, für Besucher. „Wenn ich etwas mache, dann mache ich es mit wissenschaftlicher Akribie“, sagt Ettel. „Schätze nur zu horten, reicht mir nicht. Ich muss sie auch zeigen.“ Sein Vorbild: Kunstsammler Heinz Berggruen.

Angefangen hat Ettels Passion in den späten sechziger Jahren, als er sich am Schaufenster eines Radiogeschäfts in seiner Heimatstadt Ingolstadt die Nase platt drückte. Objekt der Begierde: der Braun-Weltempfänger „T 1000“. Eine schmale Box mit silbriger Außenhaut, zum Preis von 1500 DM für einen Gymnasiasten damals unerschwinglich. Inzwischen besitzt Ettel das Gerät, stolz führt er die schwarze Glasskala mit den weißen, vom Star-Typographen Otl Aicher entworfenen Ziffern vor: alle Sender der Welt auf engstem Raum. Systematisch zu sammeln begonnen hat der Kunsterzieher erst Anfang der neunziger Jahre. Damals schien der CD-Player die Phono-Ära zu beenden, Bekannte wollten ihre Braun-Plattenspieler entsorgen, und Ettel griff ein: „Die darf man doch nicht einfach auf den Schrott werfen.“ Er versteht sich als Bewahrer, er trauert – Sammler sind Nostalgiker – einer Vergangenheit hinterher, deren Relikte er retten muss.

„Gutes Design ist möglichst wenig Design“: Dieter Rams’ Credo knüpft an den Funktionalismus des Bauhauses an. Der Gestalter war 1956 zu Braun gestoßen und prägte als Chefdesigner bis 1995 die ästhetischen Leitlinien der Firma. Inzwischen stehen Braun-Geräte in allen großen Design-Sammlungen der Welt, vom Berliner Kunstgewerbemuseum bis zum New Yorker MoMA. Dabei hatten viele Zeitgenossen die kühle Ingenieursschönheit der Braun-Produkte als Schock empfunden. Der Kritiker Bernd Polster spricht in einer neuen Monographie („Braun. 50 Jahre Produktinnovationen, DuMont, 504 S., 17,90 €) von einem „ästhetischen Tabubruch“: „Es war die provozierende Geste des Verzichts, die ein neues asketisches Schönheitsideal etablierte.“

Lange haftete dem Braun-Design etwas Elitäres an, in den fünfziger und sechziger Jahren waren es vor allem Akademiker, die sich die mit dem Slogan „gute Form“ beworbenen Musikanlagen und „Nizo“-Schmalfilmkameras leisteten. Als John F. Kennedy im Sommer 1963 Deutschland besuchte, blies ihm bei seiner Rede in der Frankfurter Paulskirche ein kleines weißes Gerät eine erfrischende Brise zu: der Braun-Tischlüfter „HL 1“. Braun verkörperte auch den Optimismus des anbrechenden Weltraumzeitalters. Der ergonomisch geschwungene Elektrorasierer „sixtant SM 31“ stieg bald danach zum ersten weltweit erfolgreichen Braun-Massenprodukt auf.

Für Werner Ettel gehört das Braun-Design zu den abgeschlossenen Sammelgebieten. Die Zahnbürsten, Bügeleisen und Elektrorasierer, die die hessische Firma nach Rams’ Pensionierung entwickelte, interessieren ihn nicht mehr. In einer Woche will er nach Darmstadt fahren, wo sich die Braun-Fangemeinde zur alljährlichen Sammlerbörse trifft. Ettels Kollektion ist noch lange nicht komplett. Was fehlt: seltene Ausführungen des „TP 1“, eines tragbaren Radios mit Plattenspieler. Der Walkman-Vorläufer aus den späten fünfziger Jahren war so klein, dass er bei Beschädigungen schnell im Mülleimer landete. Für Braun-Sammler ist das nur handgroße Gerät eine Blaue Mauritius.

Die Braun Design Sammlung Ettel in der Spandauer Zitadelle, Haus 4, ist an jedem ersten Sonntag im Monat von 11 bis 17 Uhr und nach telefonischer Vereinbarung geöffnet, Tel. 030–883 34 23.

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