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Weiße Westen. Anna Borchers als Gerda in Anisha Bondys Inszenierung. Foto: dpa

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Kultur: Qual der Zahl

Märchen mit Pärchen: „Die Schneekönigin“, eine Uraufführung für Kinder an der Komischen Oper

Ein Solo-Klavier kann für das Berliner Opernpublikum neuerdings ja Schrecksekunden bedeuten. Eine kleine Klavier- Rankenmelodik steigt zu Beginn aus dem Orchestergraben der Komischen Oper auf, und schon dürfte mancher im Parkett unruhig werden. Ist das der Orchesterstreik? Eine Kinderoper ohne orchestrale Abenteuer, die das junge Publikum in fremde Märchenwelten begleitet?

Nein und doch Ja lautet die Antwort bei der Uraufführung von Pierangelo Valtinonis Kinderoper „Die Schneekönigin“. Nein, es gibt keinen Streik. Das Orchester ist da und Valtinoni nutzt das Träumerische des Klavierklanges um die Zuhörer in die Geschichte hineinzutragen. Und ja, auf die orchestralen Märchenwelten muss man verzichten, denn was das Orchester der Komischen Oper unter Aurélien Bello abliefert, kommt einem Streik nahe.

Dabei verspricht das Konzept viel. Hans Christian Andersens gleichnamiges Märchen dient als Grundlage für Paolo Madrons Libretto über die Gefahren, die die junge Gerda durchstehen muss, um ihren Freund Kay aus den Fängen der gefühlskalten Schneekönigin zu befreien. Eine Geschichte, wie gemacht für den Spagat einer Kinderoper: kindgerechte Attraktivität schaffen und gleichzeitig subtile Deutungsmöglichkeiten für die Erwachsenen erhalten. Regisseurin Anisha Bondy versucht das, indem sie das Märchen als Parabel über die Gefahr von Entfremdung in einer technokratischen, von Zahlen bestimmten Welt deutet. Kay folgt der Schneekönigin freiwillig, als ihm das Lösen von Rechenaufgaben wichtiger erscheint als die Gefühle für seine Freundin. Das mag kitschig klingen – Bondy sichert damit aber schon früh eine dramaturgische Zweigleisigkeit von Kindermärchen und möglicher Überhöhung zur erwachsenen Moralgeschichte.

Dabei scheut die Produktion technisch keinerlei Aufwände und so ist diese Kinderinszenierung weit entfernt von einer lästigen Pflichtübung im Kontext politischer Forderungen nach kultureller Bildung. Puristisch gehaltene, aber ungemein imposante Bühnenbilder (Henrik Ahr) mit ständig wechselnden Großrequisiten treiben Gerda und die Zuschauer vom Rummelplatz bis ins frostige Lappland. Dazu der Kinderchor der Komischen Oper, der gesanglich hier und da in Übermotivation verfällt, kostümtechnisch (Miriam Draxl, Christina Nyffeler) aber meisterhaft ausgestattet ist. Egal ob Ganzkörperblumen oder maßgeschneiderte Gruselcharaktere – das jugendliche Kollektiv sorgt in fast jeder Szene für optische und choreografische Reize.

Und dann ist da die Musik. Wissend um die Radikalität der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts, komponiert Valtinoni harmonisch eine Gute-Nacht-Geschichte. Das ist bei einem Kinderwerk nicht per se schlimm, es führt in diesem Fall aber dazu, dass die harmonische Konventionalität mit meist vertrackter Rhythmik ausgeglichen werden soll. Durch diesen Strudel oft irgendwie beiläufiger, selten aber simpler Orchestersätze kann oder will sich das Orchester von Aurélien Bello nicht bewegen lassen. Viel zu oft kommt Uninspiriertes aus dem Graben. Bello ist zu unpathetisch, wo die Partitur homophone Pathetik verlangt und er ist zu undifferenziert, wo detaillierter Feinschliff notwendig wäre. Die Musiker lassen all das mit sich geschehen und verharren in selbstverschuldeter Unmündigkeit. Dass den meisten der jungen Zuhörer das nicht auffallen dürfte, macht nichts besser. Im Gegenteil: Vieles riecht und klingt nach fehlender Motivation gegenüber einem Kinderpublikum. Daniel Wixforth

Wieder am 31.10 sowie am 1. und 8.11.

Daniel Wixforth

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