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Kultur: Quengelware

Billig! Wie der Wähler zum Kunden wurde.

Der Wahlkampf, so hören wir, habe kurz vor knapp endlich Fahrt aufgenommen. Am meisten Fahrt nehmen sicher die Plakatierunternehmen auf, die immer neue und immer kürzere Dringlichkeitsappelle an die Wände leimen. Ob sie das für einen Mindestlohn machen? Oder umsonst, wie all die Menschen an den Steh- und Tapeziertischen mit all den Kugelschreibern und Luftballons und den Meinungen, die sie im Namen ihrer Parteien unters Volk zu bringen haben.

Die Stifteverteiler sind Statisten in einem Trauerspiel namens Straßenwahlkampf. Sie stehen verloren in Fußgängerzonen, vor Kaufhäusern, Supermärkten und Flagship-Stores, zwischen Verkäufern von Obdachlosenzeitungen und mies bezahlten Abowerbern und Duftprobenverteilern. Sie selbst würden sich wohl als Überzeugungstäter bezeichnen, aber Überzeugungen kann man nicht shoppen, auch wenn das besonders jetzt, in der Endphase des Wahlkampfs, suggeriert wird. Wurfzettel der Parteien liegen im zugemüllten Briefkasten, neben und in den Prospekten der Supermärkte. Die auf den ständig überkleisterten Postern abgebildeten Funktionäre besuchen die „Menschen da draußen“, um Haustürgeschäfte zu machen, oder stellen sich neben Schlagersänger, die in zwei Wochen wieder Möbelgeschäfte eröffnen.

Der Wahlkampf ist eine Dauerwerbesendung. Der Preis ist unsere Stimme, uns kostet sie nichts, unserer jeweiligen Partei bringt sie 85 Cent. Auch Kleinvieh macht Mist. Unser Mist sind die Erwartungen, die wir der Politik vor die Urne kippen. Vielleicht sind es, noch trauriger, unsere Hoffnungen. Die Hoffnung, die Plakate seien nicht doch allesamt Traueranzeigen gewesen, die darauf abgebildeten gefotoshoppten Zombies hätten doch noch ein Leben diesseits der Verkaufe in sich. Das wäre eine Leistung.

Dann sehen wir fern. Immer ein gutes Mittel, um Hoffnung zu verlieren. Hier verkaufen sich auch die Verkäufer der Verkäufer. Im Namen der sogenannten Meinungsbildung – ein von langer Werberhand verspringerter Begriff – tautologisieren sich Expertenexperten durch Vermutungen und Begriffsplacebos. Sie bewerfen sich mit von ihnen selbst oder Werberkollegen ersonnenen Begriffs-Smarties und fordern den Wähler auf, seine Hausaufgaben zu machen. Damit meinen sie die Auseinandersetzung mit Wahlprogrammen, Kolumnen, Leitartikeln, Studien, Faktenchecks, wo die Wahrheit abseits von eben jener Floskelei und Verallgemeinerung zu finden sei, an deren Verbreitung sie tatkräftig mitwirken.

Die Aufforderung, sich mit Inhalten zu beschäftigen, ist im Kern die ja durchaus schlüssige Forderung nach einer Abschaffung des Wahlkampfes, der – wie jede Verkaufe – darauf abzielt, niemals die Absatz verhindernden drei G-Punkte zu berühren: Gedächtnis, Genauigkeit, Gewissen. In Wirklichkeit also ist der Wahlkampf gar nicht spannend, wir sind bloß an der Supermarktkasse angekommen, wo die Quengelware steht, also die auf Augenhöhe der Kinder platzierten Überraschungseier, die bei den Kindern jenes Gequengel auslösen, das die Eltern zum raschen Kauf nötigt. Emsig wird im Wahlkampf aus dem mündigen der müde Bürger geformt. Wählen als entnervte Kapitulation vor dem und den zu Wählenden. Das Kreuz als doppelter Schlussstrich unter den Wahlkampf.

Brütet mit dem nächsten dicken Ei doch mal in Ruhe eine wirkliche Überraschung aus. Lassen wir es doch mal sein mit der Wahl als Kampf bei Twitter und Talkshow. Lasst uns in Ruhe mit Kaufpromis, Kugelschreibern und Kalauern. In dieser Ruhe liegt die Kraft fürs Kleingedruckte. Schreit uns nicht an. Spart uns den Lärm und euch das Geld. Wir sind keine Zielgruppe. Es gibt uns wirklich. Hört auf. Heike-Melba Fendel

Die Autorin leitet die Künstleragentur Barbarella Entertainment in Köln.

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