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Was für ein Cast. Margot Robbie mit Regisseur Quentin Tarantino, Leonardo DiCaprio und Brad Pitt.

© AFP/Loic Venance

Quentin Tarantino in Cannes: Superhelden des alten Hollywood

25 Jahre nach "Pulp Fiction" feiert Quentin Tarantino wieder Premiere in Cannes. Mit "Once Upon a Time in Hollywood" kostet er seine Narrenfreiheit aus.

Von Andreas Busche

Am Montag hatte sich Quentin Tarantino über Twitter noch einmal direkt an seine Fans gewandt. Er bat das Premierenpublikum, möglichst wenig über “Once upon a Time in Hollywood” zu verraten, um niemandem vorab den Spaß zu verderben.

Da das Ende der Geschichte ohnehin bekannt ist (die Handlung spielt jenem Sommer 1969, in dem Sharon Tate und drei Freunde in ihrem Haus in den Hollywood Hills von Mitgliedern der Manson-Family ermordet wurden), heizte sein Tweet die Spekulationen um den mit Abstand meistantizipierten Beitrag im diesjährigen Wettbewerb zusätzlich an. Würde Tarantino wie schon in “Inglorious Basterds” erneut den Lauf der Geschichte auf den Kopf stellen?

Auf den Tag genau 25 Jahre ist es her, dass “Pulp Fiction” in Cannes seine Premiere feierte und Quentin Tarantinos Karriere begründete. Auch damals wurde übrigens, wie in diesem Jahr, der Mangel an Stars auf dem roten Teppich moniert. An der Croisette wird solchen Jubiläen viel Beachtung geschenkt. Ehrensache also, dass der symbolische Termin “Once upon a Time in Hollywood” freigehalten wurde, weil die 35mm-Kopie für die Weltpremiere erst in letzter Sekunde fertig wurde.

Und wie zum Beweis, dass es sich tatsächlich um eine richtige Filmkopie handelt, war bei der Pressevorführung im Verleihlogo vor den Anfangscredits für einige Sekunden ein Bildstrich zu sehen, den der Vorführer manuell justieren musste. Das gute, alte Analogkino.

“Pulp Fiction” startete aber nicht nur Tarantinos Filmkarriere, er leitete auch die Ära Harvey Weinstein ein, der über zwei Jahrzehnte lang Stammgast in Cannes, seinem bevorzugten Jagdgebiet, war. “Once upon a Time in Hollywood” ist Tarantinos erster Film ohne den in Ungnade gefallenen Mogul.

Auch der Regie-Zampano durfte sich in den zwei Jahren seit den Weinstein-Enthüllungen ein wenig in Demut üben, er verzichtet sogar auf den obligatorischen Titel “Der neunte Film von Quentin Tarantino”. Auf dem Höhepunkt der MeToo-Debatte wurde seine Ankündigung einer Buddy-Komödie über den traumatischen Mord an einer jungen Schauspielerin und den kumpeligen Machismo im alten Hollywood als höchst unsensibel kritisiert – zumal Sharon Tates damaliger Mann Roman Polanski seit fast 40 Jahren sein eigener MeToo-Skandal anhängt.

Tarantino hat sich dann noch den Segen von Tates Schwester eingeholt. Und soviel sei verraten: Eine schönere Hommage als Margot Robbies innerlich leuchtende Sharon Tate hat Tarantino seit Pam Grier in “Jackie Brown” keiner Schauspielerin mehr geschenkt.

Eine Aura des Unantastbaren

Doch der Charles-Manson-Plot schwirrt ohnehin nur im Hintergrund von Tarantinos mythengesättigter Hollywood-Saga herum. Er wirft dort allerdings, durchaus hintersinnig, einen Schatten auf die ausklingende Ära des alten Hollywood, das damals noch den Übergang vom postklassischen “Bonnie und Clyde” zum gegenkulturellen “Easy Rider” vollzog.

Leonardo DiCaprios Rick Dalton ist ein Relikt des Serienfernsehens, wie ihm der Agent Marvin Schwarz (Al Pacino) am Anfang zu verstehen gibt. New Hollywood hat für abgehalfterte Fernsehdarsteller wie ihn keine Verwendung mehr, seine Zukunft liegt höchstens noch in Italien, wo das Filmstudio Cinecittà “Spaghetti Western” und Krimis am Fließband produziert (im Film von Tarantino liebevoll rekonstruiert).

In seinem schicken Bungalow über den Hügeln von Los Angeles, in unmittelbarer Nachbarschaft des Polanski-Anwesens, weint Rick in sein Bier. Sein Einfluss reicht gerade noch, um Stuntbuddy Cliff Booth (Brad Pitt) einen Job am Set von “The Green Hornet” zu verschaffen – von dem der aber prompt wieder gefeuert wird, weil er sich mit dem Ko-Star der Serie, dem jungen Bruce Lee (Mike Moh), anlegt.

Tarantino umgibt heute, trotz Weinstein-Stigma, mehr denn je eine Aura des Unantastbaren. Mit “Once upon a Time in Hollywood” kostet er seine Narrenfreiheit weidlich aus.

Ricks und Cliffs Cruisingtouren durch ein sonnendurchflutetes Los Angeles, von Filmset zu Filmset, inklusive einem Abstecher auf die Spahn Ranch, wo sich die Manson-Blumenkinder eingenistet haben (ein Höhepunkt, der dem Spannungsbogen von Christoph Waltz' 20-minütigem Hausbesuch in “Inglorious Basterds” in Nichts nachsteht), entwickelt einen unaufgeregten, jeder äußeren Dramaturgie bewusst abträglichen Flow. Eine Stilübung, bei der es im Prinzip um nichts mehr geht – außer vielleicht der Rettung Sharon Tates.

Tarantinos Los Angeles ist ein Nostalgietrip

Tarantino entführt das Publikum in eine vergangene Epoche, an die Peripherie des kanonischen Hollywoodkinos, in der die kleinen, dreckigen Filme keimten, die für Tarantinos Sozialisation so wichtig wurden. Sein Los Angeles ist ein Nostalgietrip, aber ohne die gerade wieder angesagten Noir-Tonalitäten. Hier ist es warm, fast ein wenig pastellig.

Das Gegenteil von den schlecht ausgeleuchteten Low-Budget-Produktionen, mit denen Rick seinen Lebensunterhalt verdient und für die Cliff seine Knochen hinhalten muss.

Von diesem Gegensatz lebt auch “Once upon a Time in Hollywood” – und von der lässig unterspielten Chemie zwei der letzten (im klassischen Sinne) Hollywoodstars. Der dritte im Bunde, George Clooney, gibt nonchalant den Erzähler. Die Starpower von DiCaprio und Pitt bringt den Film aber nicht zum Kentern, auch weil sie sich mit gut zwei Dutzend mehr oder weniger bekannter Gesichtern selbstlos den Platz vor die Kamera teilen: Kurt Russell, Dakota Fanning, Bruce Dern, Timothy Olyphant, Lena Dunham (als Manson-Mädchen), Damian Lewis in der Rolle Steve McQueens, James Marsden, Luke Perry. Es ist ein einziges Schaulaufen.

Heutzutage können nur noch sehr wenige Regisseure solche Monumentalfilme auf die Beine stellen. Das weiß auch Cannes-Chef Thierry Frémaux zu schätzen, dessen Gästeliste ohne Tarantino (neben Pitt und DiCaprio sind Margot Robbie und Dakota Fanning angereist) in diesem Jahr ziemlich mau aussehen würde.

In gewisser Weise ist die Epochenkomödie “Once upon a Time in Hollywood”, stilecht auf 35mm gedreht, selbst das Relikt einer nahezu verschwundenen Kinoära. Über ähnliche Starensembles verfügt heute höchstens noch Marvel. Tarantinos Filme aber sind Superheldenkino von eigenen Gnaden.

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