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Kultur: "quer über die gleise": Der Text bin ich

Im Klappentext werden Monika Maron jene Qualitäten bescheinigt, die ihre Lesergemeinde an ihr schätzt: "wache Intelligenz, Witz und Zivilcourage". Weil solche Freundlichkeiten nur selten ohne Wissen und Zustimmung der Portraitierten zu Stande kommen, tritt man der Autorin sicher nicht zu nahe, wenn man vermutet, dass sich diese Charakteristika im Einklang mit ihrem Selbstbild befinden.

Im Klappentext werden Monika Maron jene Qualitäten bescheinigt, die ihre Lesergemeinde an ihr schätzt: "wache Intelligenz, Witz und Zivilcourage". Weil solche Freundlichkeiten nur selten ohne Wissen und Zustimmung der Portraitierten zu Stande kommen, tritt man der Autorin sicher nicht zu nahe, wenn man vermutet, dass sich diese Charakteristika im Einklang mit ihrem Selbstbild befinden. Es ist bedauerlich, dass man mit der hohen Meinung von sich selbst häufig alleine dasteht. Im konkreten Fall ist es durchaus vorstellbar, dass sich, wie es heißt, "Berliner, Männer und andere Menschen", die als Objekte ihres robusten Humors ins Visier der so begnadeten wie gnadenlosen Zeitdiagnostikerin geraten sind, mit der Wertschätzung ihrer Person eher schwer tun.

Wenn beispielsweise die aus dem "Literarischen Quartett" ausgeschiedene Sigrid Löffler sagt, dass Marons "gekränktes, immer besserwisserisches Lächeln, ihre meist missglückte Ironie und ihr nicht beirrbarer Anspruch auf Ernsthaftigkeit den Verdacht wecke, dass sie ziemlich bösartig sei und wahrscheinlich schon in der Schule gepetzt habe", kann man nicht unbedingt davon ausgehen, dass Monika Maron bis auf Sigrid Löffler alle Lacher auf ihrer Seite hat, sondern dass der der Devise "Warum sachlich, wenn es auch persönlich geht" folgende Akt des Nachttretens Marons Selbstwahrnehmung entzogen bleibt. Weil es aber in der Natur von Kindern, Kulturschaffenden und anderen Menschen liegt, erlittene Schmerzen ungleich stärker zu empfinden als die Anderen zugefügten, wäre die Sache kaum der Rede wert, legte Monika Maron nicht in ihrer Aufsatzsammlung "quer über die gleise" ein Übermaß an Gekränktheit an den Tag.

Unter der Überschrift "Rollenwechsel" kündigt Monika Maron für einen Tag die von den meisten Schriftstellern akzeptierte "Vereinbarung des stolzen Stillschweigens" auf und nimmt sich die Kritiker ihrer 1999 erschienenen Familiengeschichte "Pawels Briefe" vor. Was an der Abrechnung der Autorin auffällt, ist der paradoxe Wunsch, die Ergebnisse ihrer Ahnensuche über drei Generationen zwischen Deutschland und Polen einer Öffentlichkeit anzuvertrauen, deren Agenten sie mit Misstrauen begegnet.

Unter den elf Rezensionen finden sich zwei Verrisse, drei verhaltene Ablehnungen und sechs positive Besprechungen, von denen wiederum zwei geradezu hymnisch sind. Dass selbst diese süßen Melodien nicht ans Ohr der Adressatin dringen, kommt daher, dass Kritiker grundsätzlich Kanaillen sind: "ihr Lob pflegt sich immer besserwisserisch über das Werk zu erheben". Der indiskutable Rest der Zunft bezieht sein reflexives Vermögen aus einem Verschnitt aus "schlechter Laune, hormonellen Schwankungen, Trunkenheit" oder ganz einfach dem "Charakter", der sowieso eher mies ist. Man könnte Monika Maron zugute halten, dass sie bei "Pawels Briefen" ein unbewusstes Interesse daran entwickelt hat, dieses Werk gegen konkurrierende Betrachtungsweisen abzuschirmen. Mit der Entscheidung, sich nach dem Liebesroman "Animal triste" der Fiktion zu entledigen und auf autobiografische Wahrheitssuche zu begeben, hat sie sich und ihre Familie dem Risiko einer Entblößung ausgesetzt, das sie durch ihre maßlose Kritikerschelte zu mindern sucht. Es ist nicht ohne Ironie, dass eine Frau, die ihren vierzig Jahre lang im sozialistischen Alltag eingeschweißten Brüdern und Schwestern immer wieder mit feinen und weniger feinen Mitteln die Vorzüge eines demokratischen Gemeinwesens einzubläuen suchte, im eigenen Fall die Abwesenheit eines autoritär verfassten Zentralorgans der Kritik bejammert. Penetrant sucht sie im "Rollenwechsel" ihre elf literarischen Scharfrichter, deren öffentliche Wirkmacht sie völlig überschätzt, auf ihre Lesart des Textes einzuschwören. Aber was dem einen Kritiker die Eule ist, erscheint dem anderen als Nachtigall. Die strikte Weigerung, die partielle Blindheit der Rezensenten als Vorraussetzung für die Vielfalt von Betrachtungsweisen zu erkennen, gipfelt in der Feststellung, "dass zumindest eine jener Besprechungen ein Fall für die Menschenrechtskommission der Uno sei". Es ist bedauerlich, dass im Hause S. Fischer niemand so freundlich war, eine große Autorin vor diesem Akt der Selbstbeschädigung zu schützen.

Günter Franzen

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