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"Quills": Am Bösen soll die Welt genesen

Und der da kann die Tinte nicht mehr halten. Sagt man von jemandem, der einen Text nach dem anderen schreiben muss, selbst wenn es ihn nur noch zur Wiederholung treibt, zur Aufzählung, zum Leerlauf.

Von Gregor Dotzauer

Und der da kann die Tinte nicht mehr halten. Sagt man von jemandem, der einen Text nach dem anderen schreiben muss, selbst wenn es ihn nur noch zur Wiederholung treibt, zur Aufzählung, zum Leerlauf. Der Äußerungsdrang ist stärker als das Bedürfnis nach einem Gedanken - und Sprechen dennoch nicht die erste Wahl. Etwas will aufs Papier, in die zweifelhafte Ewigkeit der Schrift. "Quills" (Federkiele) heißt Philip Kaufmans Film über den schreibwütigen Marquis de Sade, eine Reise in die durchsexualisierte Welt dieses Hohepriesters der Obszönität, dem seine Fantasien mindestens so viel verquere Lust bereiten wie der Trieb, sie festzuhalten. Priapismus des Schreibgeräts. Mentale Inkontinenz. Ejaculatio permanens. Selbstbefriedigung. All das schwingt mit - und ist mehr als eine Metapher.

Der französische Schriftsteller Philippe Sollers hat unlängst erklärt, man könne de Sade nicht verfilmen - und der Regisseur Benoît Jacquot hat ihm unfreiwillig Recht gegeben (Tagesspiegel vom 21. 12. 2000). "Sade", mit Daniel Auteuil in der Titelrolle, war das Porträt eines hochintelligenten Erotomanen, das bewusst auf die nahe liegenden Schauwerte des Stoffes verzichtete, aber de Sades Geheimnis dann doch nur in einer opernhaften Passepartout-Dämonie fand. "Quills - Macht der Besessenheit", mit Geoffrey Rush ("Shine") als Hauptdarsteller, ist das Porträt eines Perversen als Künstler.

Mit dem historischen de Sade, soweit man ihn kennen kann, verbinden "Quills" nur lose Bezüge. Der Film basiert auf einem Theaterstück von Doug Wright, der auch das Drehbuch geschrieben hat: ein düster leuchtendes Schauermärchen aus dem Gefängnis von Charenton, in dem de Sade zuletzt eingekerkert war - trotz mehrheitlich amerikanischer Beteiligung very british, indeed. Eine Variation darüber, dass es nichts Schlimmeres gibt, als im eigenen Kopf eingesperrt zu sein. Und siehe da: Philippe Sollers hat Unrecht bekommen.

Philip Kaufman, der unter anderem "Henry und June" und "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" gedreht hat, sucht die komischen Aspekte in de Sade - so wie der Marquis selbst ein teuflisch fröhlicher Komödiant war: Geoffrey Rushs selbstgefällige Virtuosität passt blendend dazu. Und weil Kaufman alles mit einem Augenzwinkern zeigt, fällt es ihm um so leichter, zu erzählen, wie de Sade an einer Gewalt zerbricht, mit der er - für den sie lange nur ein Spiel ist - nicht gerechnet hat. Als könnte man die auf ewige Steigerung angelegte Pornografie, die der Marquis in seinen Büchern pflegte, überhaupt als Mitteilungen aus einem Reich sexueller Freiheit lesen statt aus einem Höllenpfuhl. Man mag sie einen Moment lang stimulierend finden, auf Dauer wirken sie grotesk: ein Gegenstand der Neugier bestenfalls, des Sich-Wunderns über einen Freak - kein Aphrodisiakum.

Kaufman lenkt die Aufmerksamkeit genau darauf: wie die Fantasien des Marquis in seiner Umgebung eine befremdete Faszination und ein verschämtes Lachen auslösen, weil etwas berührt ist, das in jedem schlummert, aber aus guten Gründen unter Verschluss gehalten wird.

Aus de Sades Perspektive ist "Quills" die Geschichte eines Statusverlusts in Etappen - vom Luxusgefangenen am Anfang bis zur buchstäblich nackten Existenz im Kellerverlies am bösen Ende. Der Exorzismus, den Doktor Royer-Collard (Michael Caine) an de Sade vollziehen soll, misslingt: Man nimmt ihm das Papier - und er benutzt ein Betttuch. Man nimmt ihm die Tinte - und er schreibt mit Blut auf sein Kostüm. Man sperrt ihn ins Verlies - und er beschmiert die Wände mit seinen Exkrementen. Schluss auch mit Diktieren: Zur Strafe für die "Stille Post", die er mit anderen Gefangenen durch mehrere Zellenwände schickt (mit einem Verbrechen als Folge), verliert er die Zunge.

Von weiter außen betrachtet handelt "Quills" auch von moralischen Prinzipien und Paarungen: Es ist ein Essay über die Arbeitsteilungen der Seele. Abbé Coulmier (Joaquin Phoenix), der Gefängnispriester, ist das Spiegelbild de Sades: ein Mann, der glaubt, es sei dem Menschen aufgetragen, sich über seine Triebe zu erheben, und den Marquis als Freund auffordert, von allen lasterhaften Passionen zu lassen - und dann schon an seinem niedergeknüppelten Begehren nach der Waschfrau Madeleine (Kate Winslet) zu Grunde geht. Madeleine ist die Botin zwischen beiden Welten und erkennt deshalb auch am genauesten, dass der Arzt Royer-Collard den Marquis bekämpft, gerade weil in ihm ähnliche Energien toben.

Ein am Storyboard ausgetüftelter Film der fließenden Übergänge und Verknüpfungen - und ein preiswürdiger Kandidat für den besten Filmanfang der Berlinale: Nichts schneidet brutaler als eine Guillotine.

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