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Kultur: Rache ist bitter

Verwickelt: „Shnat Effes“ von Joseph Pitchhadze

Ein junger Rundfunktechniker in Tel Aviv, der an einem Feature über die israelische Punkbewegung arbeitet. Eine nicht mehr ganz so junge Redakteurin im gleichen Sender, die nach 13 gewollt kinderlosen Ehejahren schwanger wird. Und eine allein erziehende Studentin Anna, die erst ihren Job in einem Videoladen und dann ihre Wohnung verliert.

Das ist nur der Anfang einer Reihe von Ent- und Verwicklungen, zu denen unter anderem die schmähliche Fahrerflucht an einem Blindenhund, Prostitution sowie Auftragskillertum gehören. Was zu allerlei schicksalhaften Konstellationen führt: Der autoritäre Radioproduzent macht als Freier bei der sich prostituierenden Anna mit militaristischem Sexualverhalten den Clown. Ihr Hausverwalter ist Reuben, der Fahrerflüchtige. Ausgerechnet der Mann, der sie auf die Straße gesetzt hat, wird ihr als freundlicher Fremder begegnen. Und so fort.

Mit Nacherzählung ist diesem Film kaum beizukommen. Denn der 41-jährige Joseph Pitchhadze („Besame mucho“) ist nicht nur ein souveräner Stilist, er eignet sich auch die Filmgeschichte selbstbewusst an. So erweist sich, was auf dem Papier wie Kolportage klingen mag, in der filmischen Realisierung als dichte moralische Erzählung über persönliche Verantwortung und gesellschaftliche Macht, die den Vergleich mit „Short Cuts“, „Magnolia“ oder Todd Solondz’ „Happiness“ nicht scheuen muss. Besetzt ist der mit kühnen elliptischen Raffungen montierte Film mit Matadoren israelischer Schauspielkunst, inszeniert hat ihn Pitchhadze so subtil, dass am Ende zwar alles aufgeht, doch vieles offen bleibt.

Wer von einem israelischen Film Holocaust-Thematik und bekennendes Judentum erwartet, wird vom „Jahr null“, so die Übersetzung des Originaltitels, enttäuscht sein. Pitchhadze, 1972 als Kind aus Georgien nach Israel gekommen, interessiert sich eher für die sozialen und moralischen Verwerfungen einer Gesellschaft, der die letzten Reste ihrer Gründungsideale verloren gehen. Nicht nur der Radiosender, auch Gewerkschaftseinrichtungen und Kibbuzim werden privatisiert und dem Recht des wirtschaftlich Stärkeren preisgegeben. Während die Mittelklasse in Eilat glückliche Delfine streichelt, geht es vielen anderen nur mehr um die blanke Existenz.

„Shnat Effes“ gibt sich dabei weniger anklagend als analytisch, auch wenn das Herz des Regisseurs wohl am ehesten bei den Punks schlägt, deren Geschichte Kagan recherchiert. So ist die Szene, die Altpunker Robinson beim Demolieren eines Autos zeigt, die ausgelassenste in einem Film, der auch sonst gerne kleine körperliche Gegenattacken der Erniedrigten an ihren Drangsalierern inszeniert. Mit dem fahrerflüchtigen Reuben darf dann ausgerechnet die schäbigste Figur eine Wendung zum Guten nehmen. Ein glückliches Ende hat das bitterböse Gegenwartsmärchen damit allerdings noch lange nicht.

Eiszeit (OmU)

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