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Kultur: Räume sind Schäume

Mit der Kunst richtig umzugehen, ist keine leichte Sache. Das weiß seit Jahrhunderten jeder, der mit ihr zu tun hat.

Mit der Kunst richtig umzugehen, ist keine leichte Sache. Das weiß seit Jahrhunderten jeder, der mit ihr zu tun hat. Man kann es noch so gut meinen - bei der Kunst ist "gut gemeint" noch lange kein "gut gemacht". Im Gegenteil. Die Kunst, so scheint es, mag nicht, wenn man ihr zu nahe tritt.

Das gilt nicht nur für Bilder, Plastiken und Readymades, sondern auch für die Gestaltung von Ausstellungen. Je mehr mit Theorie und Pädagogik befrachtet, desto matter die Wirkung von Kunst. Anscheinend hasst sie die ewige Besserwisserei. Man lasse im Museum nur die Kunst reden, nicht den Sachverständigen. Der hat bessere Möglichkeiten an Redepulten, in Katalogen, dicken Büchern und, nun ja, Zeitungen.

Ein Musterbeispiel für unsere kurz - vielleicht zu kurz - vorgebrachte Theorie ist nun ein Jahr lang in Berlins Neuer Nationalgalerie zu sehen. Mies van der Rohes Parterre-Labyrinth aus 23 ineinander verschlungenen Räumen gehört zu den wenigen Ausstellungshallen, die man nicht mehr vergisst. Sie eignen sich für so gut wie alles, vom Diffizilen bis zum Monumentalen. Zugleich halten sie den Besucher bei seinem Parcours auf geheimnisvolle Weise am Schlaffittchen.

Die 23 "Räume des XX. Jahrhunderts" sind jetzt gefüllt mit selten gezeigten Werken der Sammlung des Hauses, das einst den Westteil der geteilten Berliner Nationalgalerie ausmachte. Als erste Direktoren nach dem Krieg konnten Leopold Reidemeister und Werner Haftmann die Neuerwerbungen dem kläglichen Rest beigeben, den die Beschlagnahmungen der Nazis sowie Krieg und Teilung übriggelassen hatte.

Später trat dann Dieter Honisch hinzu, der sich als perfekter Kunsteinkäufer entpuppte. Er bezog die immer wichtiger gewordene amerikanische Kunstszene ein, deren Ankäufe bis dahin außerhalb aller Möglichkeiten zu stehen schienen. Gleichzeitig rekonstruierte er jene Methode, die einst Ludwig Justi 1929 so erfolgreich in seine moderne Nationalgalerie im Kronprinzenpalais eingeführt hatte: so etwas wie die Beteiligung der Wohlhabenden unter den Kunstfreunden an der Sammlung. Der neue "Verein der Freunde" hat heute 1000 Mitglieder. Nicht zuletzt durch die Aktivität des vorsitzenden Kulturanwalts Peter Raue hat man bisher an die 100 Werke dem Bestand des Hauses hinzugefügt. Darunter populäre Gemälde wie die "Skatspieler" von Otto Dix und das schöne "Wer hat Angst vor Rot, Gelb und Blau IV" von Barnett Newman, das sogar einen zerstörerischen Angriff provozierte.

Ab in die Schublade

Das große Farbfeld gehört heute zu den beliebtesten Kunstwerken; die Besucher umlagern es förmlich. Denn zur Freude über so viel Kunst gesellt sich die bedauerliche Tatsache, dass man von ihr jahrelang kaum etwas zu sehen bekam. Das Haus wird von wechselnden Ausstellungen bespielt, da bleibt kaum noch Raum für den Eigenbesitz. Die Publikumsreaktion ist entsprechend: ungetrübte Begeisterung darüber, den inzwischen zusammengetragenen Schatz endlich wiederzusehen.

Ob es klug war, solches Wiedersehen zu einer Art später Hommage für Ludwig Justi (1876 - 1957) zu machen? Man zerfledderte dabei das ohnehin so schwierige und umfangreiche Gesamtthema "Moderne Kunst", statt das Gemeinsame herauszustellen: ihre Freiheit von einer strengen Stilvorschrift. Ein Missverständnis überdies, denn Justis "Räume" galten einzelnen Künstlern; im Kronprinzenpalais wurden sie nach ihnen genannt. Was Marc, Nolde, Beckmann und Kirchner betrifft, wurde sogar ein Nachbau aufgrund historischer Fotos versucht. Was die Ausstellungstechnik betrifft, sind diese wenigen, individuellen Räume das weitaus Gelungenste.

Wer um Himmelswillen hat die Namen all der vielen anderen (Raum-)Kästen erfunden, in denen sich hauptsächlich die jüngere Moderne findet? Einen "Lichtraum" mit Arbeiten von Yves Klein und Lucio Fontana lässt sich der Besucher noch gefallen, weil sie eben mit Licht gearbeitet haben wie Otto Piene im anschließenden, verdunkelten Saal.

Was aber ist ein "Antiillusionsraum"? Gezeigt werden unter anderem Dadaisten wie Schwitters, Arp und Hannah Höch, sowie zwei Bilder von Pablo Picasso. Sie gehören keineswegs zu den Hauptwerken des Malers - mit ihm hat sich Berlin ohnedies schwer getan, bis der Mäzen Heinz Berggruen mit seiner Sammlung in die Hauptstadt kam. Ein Meisterwerk hingegen ist zweifellos Hannah Höchs "Schnitt mit dem Küchenmesser", von dem sie selbst nie wusste, ob es nicht ein Kuchenmesser sein sollte. Vermutlich wäre sie empört, neben zweitrangigen Arbeiten derart hervorgehoben zu werden, denn sie hasste es, Kollegen zu übertölpeln.

Dem Kunstfreund wird es nicht leicht gemacht. Zwangsläufig vergleicht er, was nicht unbedingt zusammengehört - und ist verwirrt. Dagegen gibt es nur ein probates Mittel: Man betrachte keine Kunsträume, sondern die Einzelwerke, eines nach dem anderen. Mag das Gesamte sich nicht zu einer Übersicht der "Moderne" runden, so befinden sich in der Sammlung doch etliche Werke, die es verdient hätten, ständig gezeigt zu werden. Vielleicht sollte man dies mit einer Dauerausstellung garantieren.

Verschollene Pferde

Am intensivsten wirkt die Zusammenstellung, wo sie Fehlendes einbezieht, was für jede Ausstellung die schwerste Aufgabe sein dürfte. Da ist etwa die kleine Skizze zum "Turm der Blauen Pferde" des Franz Marc, die das verschollene Gemälde ersetzt. Sie spricht Bände, jedenfalls mehr als manche der laut schreienden Leinwände, die - durchaus zu Recht - ebenfalls reichlich in diesem merkwürdigen Reigen der Moderne aufgenommen worden sind.

Der "Turm der Blauen Pferde" war lange eine deutsche Ikone und ist es bei älteren Generationen vielleicht heute noch. Warum dies so ist, lässt sich nur schwer beschreiben. Kein Bild der Moderne hat die Deutschen tiefer berührt. Die "Blauen Reiter", das waren Marcs Kunstgenossen, damals die Revolutionäre, die trotzdem Patrioten blieben. Franz Marc fiel als deutscher Leutnant 1916 vor Verdun. Und als die Nazis einige Jahrzehnte später das seltsam sagenhafte Bild als "Entartete Kunst" in ihre Schandausstellung hängten, erboste sich ein hohes Haupt der NSDAP, der Leutnant im gleichen Regiment gewesen war. Konnte jemand, der für das Vaterland gefallen war, entartet sein, selbst wenn er Pferde in einer Farbe malte, die es bei diesen Tieren nicht gab?

Auf verschlungenen Wegen gelangte das Bild in die Sammlung Hermann Görings. Jedenfalls wurde es dort von einem glaubwürdigen Augenzeugen zuletzt gesehen, von Edwin Redslob. In der Weimarer Republik war Redslob Reichskunstwart gewesen, unter Hitler wurde er verfemt. Die siegreichen Russen baten ihn im Jahr 1945, Görings Kunstschätze zu begutachten, die in einer Zehlendorfer Villa lagerten. Edwin Redslob, der später vieles in Berlin mit gründete, darunter die Freie Universität und auch den Tagesspiegel, war nie ganz klar, ob es sich bei der Villa um das heutige Haus am Waldsee handelte oder ein ähnliches Gebäude in der Nähe. Aber Marcs Bild, das Sage und Moderne ineinander übergehen lässt, kannte er genau. Er betrachtete es lange und fand es unbeschädigt.

Trotzdem ist es nie wieder aufgetaucht. Nicht einmal nach 50 Jahren, wenn angeblich aller Kriegsraub verjährt ist. Noch 1995 erwarteten viele Enthusiasten Aufschluss über den Verbleib dieses Bildes der Bilder, das immer noch eine seltsame Anziehungskraft zu besitzen schien. Es kamen auch einige Nachrichten aus den USA oder der Schweiz, die jedoch nur für die Rubrik "Vermischtes" taugten: Geschichten über Verwechslungen oder Fälschungen.

Von den alten, neuen "Räumen" der Nationalgalerie heißt es, sie führe leichtfüßig durch die Moderne. Wo sie nicht so oberflächlich bleibt, ist sie eindrucksvoller.

Heinz Ohff

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