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Rafi Pitts, Regisseur: "Die Jugend kann man nicht stoppen"

Regisseur Rafi Pitts über die Zukunft Irans, die Zensur – und seinen Film "Zeit des Zorns".

Mr. Pitts, „Zeit des Zorns“, das klingt schon im Titel deutlich anders als Ihr letzter Film, „It’s Winter“. Was ist seit „It’s Winter“ geschehen?



Die Filme gehören zusammen. „It’s Winter“ habe ich gedreht, weil ich von den iranischen Intellektuellen so frustriert war. Sie haben den Kontakt zu den Leuten verloren, also habe ich einen Roman verfilmt, so dass die Schriftsteller ihre eigenen Worte hören, aber aus dem Mund von normalen Leuten, die sich selber spielen. In „It’s Winter“ wird der Held geschlagen, in „Zeit des Zorns“ schlägt er zurück. Dort wird er unterdrückt, hier rebelliert er. Es ist meine Rebellion, mein Zorn.

Wegen der Wahlfälschung im letzten Sommer?


Ich hatte das Buch vorher geschrieben und war total überrascht, als die Opposition auf die Straße ging. Ich merkte, ich bin nicht allein. Es war aufregend, aber auch schmerzvoll, frustrierend. Weil wir angeblich die Wahl hatten, es aber nur eine Show war. Weil sie die Wahlen auf so dumme, offensichtliche Weise gefälscht haben. Und vor allem, weil es Tote gab. Es ist absurd, dass im 21. Jahrhundert Menschen sterben, bloß weil sie sagen, was sie denken. Keine Wahl der Welt ist es wert, dass auch nur ein Mensch deshalb stirbt. Niemand hat das Recht, einem anderen das Leben zu nehmen, weil er anderer Meinung ist. Das gilt für beide Seiten.

Das Gefühl, nicht allein zu sein: Hat es den Film verändert?

Es war eine außerordentliche Erfahrung. Ich weiß beim Drehen oft nicht, ob der Film mir gelingt, also bin ich offen für das, was während des Drehs geschieht. Das Drehbuch ist die Roadmap, der Film ist dann das, was auf der Fahrt am Straßenrand geschieht. Was den Film noch verändert hat: Ich habe selbst die Hauptrolle übernommen, weil sich mein Hauptdarsteller in letzter Sekunde als unzuverlässig erwies. So ist „Zeit des Zorns“ sehr viel persönlicher geworden. Man sieht mich einmal in Handschellen: Das bin ich, der Filmemacher, dem manchmal die Hände gebunden sind. Oder man sieht mich mit einem Gewehr. Auch das bin ich, der Filmemacher, der Bilder schießt und dabei etwas riskiert.

„Zeit des Zorns“ ist ein sehr stilisierter Film. Sie haben während der Wahlen in Teheran gedreht, aber die Straßen sind bei Ihnen meistens menschenleer.

Ich wollte die Isolation der Menschen in Teheran porträtieren. Teheran ist ein Betondschungel, wegen der vielen Highways sieht die Stadt Los Angeles immer ähnlicher. Da hassen sich zwei Staaten, aber was den Wahnsinn der Städte betrifft, nehmen sie sich nichts. Die Straßen, die Hausflure, die Korridore, es ist ein Labyrinth, und auch der Wald in der zweiten Filmhälfte ist ein Dschungel, ohne Grün, ohne Blätter, ohne Ausweg.

Viele in der Opposition hatten große Hoffnungen auf den 11. Februar gesetzt, auf die Protestkundgebungen zum Jahrestag der Revolution. Aber auch dieser Tag brachte nicht die Wende in Iran. Was lässt Sie trotz der vielen Rückschläge weiter hoffen?


70 Prozent der Iraner sind jünger als 30. Bei der Revolution 1979 waren sie noch nicht auf der Welt. Die Regierung kann die Augen nicht davor schließen, dass diese Jugend eine Zukunft braucht. Die Jugend kann man nicht stoppen, das ist ihre Schönheit. Der Wechsel wird kommen.

In China, vor 20 Jahren auf dem Platz des Himmlischen Friedens, hat das Regime die Jugend brutal gestoppt.


Trotzdem hat China sich sehr verändert. Es ist bis heute keine Demokratie, aber die Regierung hat die Herausforderung von damals angenommen und das Land in großem Tempo modernisiert. Ali Khamenei, der oberste Mullah, sagte kürzlich, dass alle, die die Regierung kritisieren, Handlanger des Westens sind. Das ist respektlos: Die Regierung muss begreifen, dass Millionen Iraner keine Ausländer sind. Iran ist ein kompliziertes Land. Ich möchte, dass das Land sich öffnet. Aber es gibt nicht Schwarz und Weiß in Iran.

Sind die Polizisten im Film deshalb nicht nur unsympathisch?


Good guys, bad guys, das sind simple, falsche Muster. Mein Held tötet auch, er ist kein guter Mensch. Ich bin gegen Töten, gegen Rache, gegen die Todesstrafe. Wie ist es zur jetzigen Situation im Iran gekommen? Es gab 1979 eine Revolution, dann einen vom Westen unterstützten Krieg, er dauerte acht Jahre, eine Million Menschen starben. Die Mitglieder der heutigen Regierung haben damals für das Land gekämpft, nun greifen die Revolutionsgarden die eigene Bevölkerung an. Ich hoffe, dass sie aufwachen und begreifen, was sie tun. Aber wer bin ich, über sie zu urteilen? Ich möchte sie und ihre Paranoia verstehen, die daher rührt, dass der Iran damals so gnadenlos attackiert wurde.

Das offizielle Wahlergebnis wird oft damit erklärt, dass die Leute auf dem Land alle für Ahmadinedschad sind. Die Opposition, das sei ein städtisches Phänomen.

Das ist wieder so eine Schwarz-Weiß-Malerei. Natürlich wird Ahmadinedschad von vielen gewählt. Auch Teheran mit seinen 17 Millionen Einwohnern muss man differenziert sehen. Sollte die Opposition erfolgreich sein, werden wir uns mit den jetzigen Machthabern auseinandersetzen müssen. Mussawi ist der richtige Mann: Er war während des Kriegs Premierminister, und er ist der Kandidat der Leute auf der Straße. Er versteht beide Seiten, und er weiß, Aggression ist keine Lösung. Ein Bürgerkrieg wäre schrecklich. Also sollten wir uns hinsetzen und miteinander reden, statt aufeinander zu schießen. Ich wollte einen politischen Film in dem Sinne drehen, dass er die Leute anspricht, die anderer Meinung sind als ich.

Man kann sich kaum vorstellen, dass der Film die Zensur passiert und in iranischen Kinos läuft.


Im Iran muss zunächst das Drehbuch durch die Zensur. Das war kein Problem bei „Zeit des Zorns“. Es gibt eine wachsende Underground-Filmszene in Teheran, denn die Arthouse-Szene wird leider an der immer längeren Leine gehalten. Stellen Sie sich vor, ausgerechnet unser Kulturminister hat kürzlich gesagt, es sollten nur Filme gedreht werden, die mindestens acht Millionen Zuschauer bekommen! Filmemacher kann man nicht aufhalten. Abel Ferrara, über den ich 2003 einen Film gedreht habe, sagte: „Filmemachen ist wie Heroin. Once you start shooting, you never stop.“ Zum Glück konnte ich alle meine Filme bisher mit offizieller Erlaubnis der Zensurbehörde drehen. Ich konnte mit Frankreich koproduzieren, ich kann ein- und ausreisen, das Schicksal des Exils blieb mir bisher erspart.

Wie genau funktioniert die Zensur in Iran?


Die Zensurbehörde vergibt Noten. Wenn du ein A bekommst, wird der Film großzügig staatlich gefördert, bei einem B gibt es ein bisschen Geld. Ich bekam ein C, das heißt, ich konnte drehen, aber es gab keine Förderung. Dann sehen die Zensoren den fertigen Film und vergeben wieder Noten. A bedeutet, er startet überall im Land. B bedeutet, er läuft in ein paar wenigen Kinos, C heißt: Er läuft in einem einzigen Kino. Wenn „Zeit des Zorns“ auch nur in diesem einen Kino läuft, dann hat es sich gelohnt, ihn zu drehen.

Sie hoffen, dass er wenigstens ein C bekommt?


Er wird eins bekommen, ich bin ganz sicher (lacht).

Rafi Pitts, 1967 als Sohn eines britischen Malers und einer iranischen Szenenbildnerin geboren, wuchs in der Teheraner Filmszene auf, die Familie wohnte unter einem Postproduction-Studio. Seine erste Rolle spielte er mit acht. Zu Beginn des Iran-Irak-Kriegs ging die Mutter mit ihm nach

Paris, er absolvierte die Londoner Filmschule, arbeitete u. a. mit Jacques Doillon und Leos Carax. Heute lebt er in Paris und Teheran. Für seinen Debütfilm Die fünfte Jahreszeit kehrte er nach 15 Jahren in den Iran zurück. Sein dritter Film, It’s Winter, lief 2006 auf der Berlinale.

Zeit des Zorns feiert heute Weltpremiere, um 22.30 Uhr im BerlinalePalast. Ein Mann, dessen Frau und Tochter bei gewalttätigen Auseinandersetzungen auf den Straßen Teherans ums Leben kommen, beginnt sich zu rächen. Wiederholungen: 17.2., 15 Uhr (Friedrichstadtpalast), 20 Uhr (Urania). Kinostart ist am 8. April.

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