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Kultur: Rahmdeckeli

Rainer Moritz über das ultimative Buch für den Sammler Ein Hobby braucht der Mensch, weil es ihm nachweislich schwer fällt, den lieben langen Tag mit Maulaffenfeilhalten zu verbringen. Viele Zeitgenossen frönen deshalb der Leidenschaft des Sammelns – ein Steckenpferd, das den Vorteil hat, dass es sich auf jeden beliebigen Gegenstand richten kann.

Rainer Moritz über das

ultimative Buch für den Sammler

Ein Hobby braucht der Mensch, weil es ihm nachweislich schwer fällt, den lieben langen Tag mit Maulaffenfeilhalten zu verbringen. Viele Zeitgenossen frönen deshalb der Leidenschaft des Sammelns – ein Steckenpferd, das den Vorteil hat, dass es sich auf jeden beliebigen Gegenstand richten kann. Der wahre Sammler und die wahre Sammlerin handeln nicht aus plumper materieller Gier. Nein, ihr Tun dient dem Glück und der Erkenntnis, ja bisweilen gar der Selbsterkenntnis, und wie wir seit Montaigne wissen, lässt sich diese auch vermeintlich unwürdigen Objekten abringen.

Wer seinen Bekanntenkreis nach Sammelauffälligkeiten hin durchforstet, wird staunend feststellen, wie weit verbreitet das Anhäufen des Skurrilen ist. Ich persönlich kenne zum Beispiel Angela V., die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Holz, Stoff- oder was weiß ich für Kamele anzuhäufen. Oder Renate N., die in Entzückungsschreie ausbricht, wenn ihr Schafe – sei es auf Tellern, Tassen oder sonstwo – begegnen. Oder Ralf B., den eine Promotion nicht davon abhielt, seine Wohnung mit Kuckucksuhren verschiedenster Provenienz zu schmücken. Oder Claudia F., die Briefmarken mit Insektenmotiven hortet und Dienstreisen gerne dazu nutzt, muffige Philatelistenkontore aufzusuchen.

Apropos Briefmarken: Zu mehr habe ich es in meinem bisherigen, von Sammelanfällen freien Leben nicht gebracht. Als Grundschüler fing ich damit an, wenn auch leidenschaftslos. Man schenkte mir ein bordeauxrotes Album, und ich begann, die Verwandtschaft mit Markenwünschen zu traktieren. Meiner Bildung hat dies in gewisser Weise gedient, lernte ich doch so früh die Gesichtszüge der Bundespräsidenten Heuss und Lübke oder der Dichtergrößen Schiller, Goethe und Kleist unterscheiden. Überdies erhielt ich Kenntnis von der 1200-Jahrfeier der Benediktiner-Abtei Ottobeuren, vom Slogan „Handwerk, Tradition, Fortschritt“ und von der Funkausstellung 1969 in Stuttgart, die in zeitgemäßen Hippiefarben für sich warb.

Am besten gefielen mir die Serie „Helfer der Menschheit“, weil es mir gelang, meiner Klassenkameradin Sibylle N., Tochter eines Malermeisters, durch ein geschickt eingefädeltes Tauschmanöver die wertvolle Marke „Vinzenz von Paul – Helfer der Menschheit“ abzuluchsen. Der Ertrag dieser Aktion ließ sich im „Michel“, dem Katalog für Briefmarkensammler, nachschlagen. Meine merkantile Neigung war zufrieden gestellt; die Helfer-Marke und die Erinnerung an Sibylle N. halte ich bis heute in Ehren.

Seitdem sammle ich außer Erfahrungen nichts und fühle mich inmitten der vielen Sammler etwas einsam. Neulich freilich kam Rettung – in Form eines Buches. Ich stieß auf den knapp 600 Seiten starken „Schweizer Kaffeerahmdeckeli-Katalog 1994“, den Herausgeber Thomas Käppeli (sic!) nach einem „sehr lebhaften Deckeli-Jahr“ neu vorgelegt hat. Dieses Handbuch versammelt die Motivserien aller erdenklichen Schweizer Kaffeesahnen-Behältnisse, die gemeinhin in Cafés und Restaurants gereicht werden. Und es ist nicht leicht zu begreifen, welche Vielzahl von Ansichten sich auf jenen Plastikteilen findet: Comics, baseldeutsche Wörter, Pralinen, Solarmobile, Hühnerrassen, Filmpaare, Schreibmaschinen, Walliser Kurorte, Wirtshausschilder, Brotsorten...

Nichts, was sich nicht auf ein Kaffeerahmdeckeli drucken ließe, und selbstverständlich unterscheidet Herr Käppeli in seinem systematisch angeordneten Werk auch zwischen spitzen, runden, gerippten und glatten Laschen, weist auf Fehldrucke hin und lässt uns wissen, dass für einzelne seltene Deckeli vierstellige Frankenbeträge zu berappen sind. Selten habe ich in letzter Zeit ein angenehmeres Buch in Händen gehalten; die Beschäftigung mit Judith Hermann oder Siri Hustvedt muss ich hintanstellen. Obschon ich meinen Kaffee nie mit Milch trinke, werde ich mich vorbehaltlos diesem sammlerischen Feld zuwenden. Meine erstes Objekt ist beschafft: „Die Sparsamen. Kaffeesahne, wärmebehandelt, 10 % Fett“ – eine Schriftlösung auf weißem Fond, ein bescheidener Anfang gewiss, doch durch ihn gehöre ich endlich zur Volksgruppe der Sammler, genauer: der Kaffeerahmdeckeli-Sammler.

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