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Kultur: Ralph Hoppes Buch über die Friedrichstraße

Keine andere Berliner Straße trägt so sehr am Gewicht der historisch überlieferten Metaphern und der auf die Zukunft gerichteten Hoffnungen wie die Friedrichstraße. Wenn es mit der Hauptstadt etwas werden soll, so hieß es doch vor einigen Jahren, dann wird es sich hier erweisen.

Keine andere Berliner Straße trägt so sehr am Gewicht der historisch überlieferten Metaphern und der auf die Zukunft gerichteten Hoffnungen wie die Friedrichstraße. Wenn es mit der Hauptstadt etwas werden soll, so hieß es doch vor einigen Jahren, dann wird es sich hier erweisen. Und wie düster waren die Prophezeiungen, wie beklagenswert die Meldungen: Fehlplanungen, Bausünden und Missgriffe als systemübergreifendes Phänomen. Hieß es. Und nun strahlt sie wieder, als hätte sie es nie verlernt, die einstige "Querstraße", die nichts mehr war als ein kleiner Übergriff nördlich (zunächst) und südlich des Pracht verkündenden Boulevards.

Ralph Hoppe hat die Geschichte der Entstehung und schließlichen Verlängerung der Straße erzählt wie die von einem ungeplanten Kinde, das, nun einmal vorhanden, doch gefälligst etwas Ordentliches werden soll. So gezielt wurde kaum eine andere Straße besiedelt. Vor allem war es Friedrich Wilhelm I., der selbst Gebäude ausführen ließ oder Bürger und Gewerke zur Besiedlung der immer länger werdenden Straße aufforderte. Wie einen "Straßenteppich" haben die Planer das Band nach Süden ausgerollt und am Ende beim Zusammentreffen mit der Lindenstraße in einem Rondell gebündelt. Schuhmacher, Schlosser, Bäcker, Maurer, Schneider, aber auch Tabakspinner, Wein- und Bierschänker, Butterhändler und ebenso die "Kaufleute der Judenschaft", die Posamentierer und Schönfärber sollten sich hier ansiedeln, produzieren und wohnen: in der Berliner Mischung.

Das ist auf der einen Seite ordentlich und preußisch korrekt. Schulen kommen dazu, Kasernen natürlich und weitere Fabriken. Andererseits erzählt die Straße wie keine andere die Geschichte der Berliner Glücksritter, des "Kolonialistengeschlechts" (Karl Scheffler), der freiwillig und vergnügt Traditionslosen. Ausgerechnet dieses Balg macht sich, kaum erwachsen, auf, Berlins Sündenmeile zu werden. Und wird es, wie aus eigener - ungeplanter - Kraft. Wird um die letzte Jahrhundertwende mit der Kaisergalerie und dem Panorama und dem Café Kranzler, dem Café Bauer, mit dem "Wintergarten" und vielen anderen Varietés und Tingeltangeln zum Inbegriff der Großstadtstraße.

Eine Straße wurde zum Mythos. Mit dem arbeitet Ralph Hoppe, den zwingt er (gelernter Stadtführer) zurück auf die Fakten. Das Buch ist chronologisch aufgebaut und hat zwei Fluchtpunkte: einmal die Jahrhundertwende, als der Bahnhof zum Ankunftsort der Provinz in Berlin wurde, als luxuriöse Hotels und das "Friedrichstraßen-Amüsemang" Besucher anlockten und Schlepper vor den Lokalen, wie Egon Jameson berichtet, flüstern: "Dunkles Berlin gefällig?" Für viele Gruppierungen, die ihren Platz im neuen Berlin suchten, war die Friedrichstraße Anlaufort; auch der vergessene Autor Sammy Gronemann berichtet davon, dass sich die zionistischen Clubs dort in einem der Säle trafen.

Der Mythos wird gar nicht dekonstruiert, vielmehr mit Adressen versehen. Weil Hoppe eben Stadtführer ist und die Straße aus der eigenen Bewegung kennt, liest sich diese Zurechtweisung einer Straße auf ihre Geschichte sehr vergnüglich - es schadet ja wirklich nicht, wenn wir unsere Straßen, Berufswege, Einkaufsgelegenheiten, Bummelziele kenntnisreicher betreten und wissen, dass am Ende der Claire-Waldoff-Straße der älteste Maulbeerbaum Deutschlands von der Ankunft der Hugenotten in Berlin erzählt.

Den zweiten Fluchtpunkt bildet die Gegenwart. Da möchte es dem Leser erscheinen, dass der Verlag seinen Autor etwas gedrängelt hat, nunmehr doch ähnliche Jubelgesänge anzustimmen wie über die alte Zeit. Bild und Ton stimmen hier nicht ganz überein. Hoppe, der ja aus der DDR stammt, betont zu Recht, dass schon in den achtziger Jahren Versuche zur Neubelebung der Straße unternommen wurden, aber das geht im Glanz der Fotos von Lafayette und Donna Karan unter. Eben hören wir, dass der unterirdische Durchgang im Quartier 206 abends gesperrt wird, weil das wirkliche Leben sich allzu sehr breitmacht - deshalb sei den Betreibern der neuen Zeit ins Stammbuch geschrieben, dass diese Straße immer davon gelebt hat, dass sie Gegensätze integrierte und offen war für die Verrückten, die Heimatlosen, die sperrigen Bewohner dieser wunderbaren Stadt, ihrer Tage und ihrer Nächte. Eine Mall ist noch lange keine Straße. Die Schönfärber residieren hier noch immer.

Der beschäftigt aussehende Bewohner wird vielleicht nur noch am Hackeschen Markt öfter nach dem offensichtlich vor der Nase Liegenden befragt als hier. "Entschuldigung, wo ist denn die Friedrichstraße?" Gar nicht so falsch, die Frage. Wo ist sie denn in unseren Erinnerungen? Literatur geworden? Zeichen der Teilung? So hat Ralph Hoppe sie kennengelernt, zu DDR-Zeiten: als Straße, unter der eine systemfremde U-Bahn vibrierte, die in den Stadtplänen nicht vorgesehen war. So beschreibt er sie, als Ort der Konfrontationen bis zu dem Moment, als sich die Panzer der Mächte gegenüberstanden. Einkaufstraße? Spielort deutscher Widerstandsmühen, 1848 und 1953? Grenze, für die einen schon am Checkpoint Charlie, für die meisten erst im Bahnhof.

Eine deutsche Straße. Sie hat unsere Mühe verdient: Sie abzugehen, aufmerksam, neugierig, ist mühsam - und schenkt dazu Vergnügen. Einen besseren Begleiter als Ralph Hoppe könnten wir uns dabei nicht wünschen.Ralph Hoppe: Die Friedrichstraße. Pflaster der Extreme. be.bra berlin.Brandenburg verlag 1999. 136 Seiten, 49,90 Mark

Joachim Schlör

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