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Kultur: Ran an die Töpfe

Wird zu viel für Berlin getan? Kulturpolitiker Norbert Lammert (CDU) und Theaterchef Matthias Lilienthal (HAU) im Gespräch

Herr Lilienthal, Sie arbeiten seit Jahren an Theatern in Berlin, in internationalen Zusammenhängen. Was bedeutet der Hauptstadtkulturfonds, über den Herr Lammert sich kritisch geäußert hat, für die Berliner Kultur?

LILIENTHAL: In den letzten fünf, sechs Jahren ist in Berlin eine relativ große Kulturszene entstanden, die international vernetzt ist und weltweit kooperiert – von der Staatsoper und der Komischen Oper bis zum HAU und dem Puppentheater. Der Hauptstadtkulturfonds, rund zehn Millionen Euro pro Jahr, ist ein sehr flexibles Förderorgan, das diese internationale Szene in Berlin ungeheuer vitalisiert hat. Mittlerweile sind OffSzene und etablierte Kultur in der Stadt fast gleichwertig geworden. Ohne den Hauptstadtkulturfonds wäre das nicht möglich gewesen.

Herr Lammert, wollen Sie den Hauptstadtkulturfonds, der die Stärken und die Eigenheiten der Berliner Kulturszene exemplarisch fokussiert, abschaffen und die Unterstützung der Berliner Kultur durch den Bund abschmelzen?

LAMMERT: Berlin kann sich ganz gewiss nicht über mangelhafte Förderung durch den Bund beklagen, schon gar nicht mit Blick auf die Kulturszene. Ich habe immer eine möglichst starke kulturpolitische Präsenz des Bundes in der Hauptstadt befürwortet. Ich bin davon überzeugt und habe mit Erfolg dafür geworben, dass der Kulturstaat Deutschland in seiner Hauptstadt erkennbar sein muss. Aber die Kulturförderung des Bundes darf sich weder auf die Hauptstadt reduzieren noch dürfen für die Förderung außerhalb Berlins ganz offenkundig andere Maßstäbe gelten. Nicht mehr und nicht weniger war mit dem Hinweis auf Unwuchten gemeint, die man sorgfältig prüfen muss. Nicht jeder findet es plausibel, dass von den verfügbaren Mitteln des Bundes für die Förderung von Kunst und Kultur in Deutschland die Hälfte nach Berlin geht und sich die anderen 15 Bundesländer den Rest teilen müssen. Im Übrigen habe ich mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass der gleiche Berliner Kultursenator, der jetzt den Hauptstadtkulturfonds als das zentrale Förderinstrument entdeckt, vor wenigen Wochen diesen Hauptstadtkulturfonds für eine weitere mögliche Beteiligung des Bundes an der Finanzierung der Berliner Opern zur Disposition gestellt hat.

LILIENTHAL: Die Vorstellung, dass der Hauptstadtkulturfonds in Senatshand übergeht, ist ein Albtraum. Das Geld würde sofort zum Stopfen von Haushaltslöchern benutzt. Die Einstellung des Hauptstadtkulturfonds wäre schlimmer als seinerzeit die Schließung des Schiller-Theaters.

LAMMERT: Natürlich halte ich es für erforderlich, dass Berlin, wie übrigens viele andere Metropolen in Deutschland auch, dringend ein flexibles Instrument zur Förderung von Projekten und kleineren Institutionen braucht, die jenseits der großen Kulturtanker für die Vitalität einer Kulturszene völlig unverzichtbar sind. Gerade weil leider nicht zu erwarten ist, dass wir in unmittelbarer Zukunft große neue Verteilungsspielräume bekommen, sind Instrumente, die nicht nur Institutionen, sondern vor allem Projekte fördern, so wichtig. Das ist aber weder ein exklusives Berliner Erfordernis noch ein Anspruch auf exklusive Bundesförderung.

LILIENTHAL: Berlin hat eine Ausstrahlungskraft, die doch ein wenig über die anderer west- und ostdeutscher Metropolen hinausgeht. Hervorragende internationale Künstler zieht es aufgrund der billigen Mieten, der billigen Lebensverhältnisse, der guten Kunst-Infrastruktur nach Berlin. Das ist eine riesige Chance. Wenn Sie sich die Bildende Kunst ansehen, dann arbeiten hier im Moment mit Jonathan Meese, mit John Bock, mit Daniel Richter Künstler, die in Paris, London und Moskau die großen Ausstellungen bestreiten. Der Hauptstadtkulturfonds ist ein Katalysator, der diese Szene zum Explodieren gebracht hat.

LAMMERT: Wenn diese Szene so vital ist, frage ich mich, weshalb sie ausschließlich von Zuwendungen des Bundes abhängen soll.

LILIENTHAL: Diese Stadt hat keine Industrie, sie hat keine wirtschaftliche Potenz. Sie hat aber Universitäten und eine Kulturszene. Wissenschaft und Kultur müssen sich in einer völlig neuen Weise verzahnen und eine ganz andere Wichtigkeit in der Stadt bekommen. Diese Prozesse muss man befördern. Es geht mir um einen anderen, popkulturell aufgeladenen Kulturbegriff.

LAMMERT: Aber es kann nicht Sache des Bundes sein, das in Berlin exklusiv zu fördern.

Das klingt so, als würden Sie sich in der Berliner Kulturszene unbehaglich fühlen.

LAMMERT: Im Gegenteil. Ich fühle mich in dieser Stadt außerordentlich wohl, und dazu trägt die Berliner Kulturszene wesentlich bei. Nur darf man sich in der Kulturpolitik, wie in anderen Politikbereichen, von der eigenen Begeisterung nicht über die Realitäten hinwegheben lassen.

Sie haben bedauert, dass unter der rot-grünen Bundesregierung die Zuwendungen für die Kulturaktivitäten der Vertriebenen-Verbände abgeschmolzen wurden. Gleichzeitig stellen Sie den Hauptstadtkulturfonds zur Disposition, der viele innovative Kunstprojekte ermöglicht hat. Ist Ihnen klar, dass Sie damit in der Kulturszene für Irritationen sorgen?

LAMMERT: Sie rücken mit Ihrer Frage unter den großen Fördertöpfen kunstvoll zwei in eine Alternativ-Position. Bei genauem Hinsehen verbinden sich mit jeder dieser Förderinstrumente höchst unterschiedliche Aktivitäten. Der Hauptstadtkulturfonds widmet sich keineswegs nur der Off-Kultur. Und die Kulturarbeit nach dem Vertriebenengesetz, die eine gesetzliche Verpflichtung des Bundes darstellt, erfüllt eine große Bandbreite von Aufgaben. Ich habe noch lebhaft in Erinnerung, dass ein beachtlicher Teil der Protestschreiben, die sich gegen überproportionale Einsparungen bei der Kulturarbeit nach dem Vertriebenengesetz gerichtet haben, nicht von den deutschen Vertriebenen-Organisationen, sondern von den Partnerorganisationen in den ost- und mitteleuropäischen Ländern gekommen sind.

Sind die Spielräume eines Kulturstaatsministers jetzt ausgereizt? Lassen die engen Grenzen des föderalen Systems noch relevante Handlungsoptionen?

LAMMERT: Mit diesem Amt ist manche richtige und zukunftsweisende Initiative angeschoben worden. Mir fällt allerdings auf, dass alle bisherigen Amtsinhaber den Zuschnitt dieses Nicht-Ressorts als unbefriedigend empfunden haben. Ganz offenkundig besteht eine Diskrepanz zwischen der ihnen öffentlich zugeschriebenen Kompetenz und ihren tatsächlichen Möglichkeiten. Der Kulturstaatsminister ist in Wirklichkeit nur für einen Ausschnitt der Bundeskulturpolitik zuständig. Der originär zum Bund gehörende Teil der Kulturpolitik, die auswärtige Kulturpolitik, ist nicht beim Kulturstaatsminister, sondern beim Auswärtigen Amt angesiedelt. Es lohnt, darüber nachzudenken, ob sich hier nicht eine überzeugendere Bündelung von Aufgaben finden lässt.

Herr Lilienthal, spüren Sie als linker Kulturmanager bei CDU-Kulturpolitikern Berührungsängste? Sind das einander fremde Welten und Milieus?

LILIENTHAL: In der Stadt Berlin sind die Sachzwänge so vorherrschend, dass politische Zuordnungen in den Hintergrund treten. Die Frage ist eher, ob man persönlich miteinander klarkommt. In einer Stadt wie Berlin gibt es kein Bürgertum, das ist in Westberlin verschwunden nach dem Mauerbau. Was das für die Kulturpolitik bedeutet, haben Herr Flierl oder Frau Goehler vielleicht besser begriffen als Herr Radunski. Die Stadt funktioniert extrem über Szenen. Darin liegt eine große Modernität. Immerhin ist hier Techno erfunden worden. Da sind in der Kulturpolitik viele Chancen verschenkt worden.

LAMMERT: Ich glaube, es ist zutreffend, wenn Sie sagen, dass die Kulturpolitik in Berlin so sehr von Sachzwängen gekennzeichnet ist, dass ein Kulturpolitiker nur minimale Möglichkeiten hat, persönliche Steckenpferde zu reiten. Das trifft tendenziell für die Kulturpolitik insgesamt zu.

Herr Lammert, was bedeutet ein Begriff wie „bürgerliche Kultur“ heute noch?

LAMMERT: Wie bei jeder anderen Typologisierung fällt es mir schwer, mich darauf als Modell von Kulturpolitik zu beziehen. Ich halte nicht nur die Kategorien rechts und links für eher untauglich in der Kulturpolitik, sondern auch die Zuordnung zu Avantgarde oder Tradition – als handelte es sich hier um zwei Optionen, zwischen denen die Kulturpolitik wählen dürfte. Ich bin mit Leidenschaft dafür, dass Künstler sich mit grandioser Einseitigkeit auf das konzentrieren können, was sie spannend finden – und dass sie den Rest für völlig belanglos halten dürfen. Und mit der gleichen Hartnäckigkeit bestehe ich darauf, dass die Kulturpolitik das nicht darf. Die Kulturpolitik muss die Tradition genauso ernst nehmen wie die Avantgarde – und umgekehrt. Deswegen wäre mir außerordentlich unbehaglich, wenn die großen politischen Lager in Deutschland sich in einer Mischung aus Übermut und unzureichender Aufklärung für eines dieser beiden großen Felder – Avantgarde und Tradition – als heimliche Schirmherren exklusiv verantwortlich fühlen würden. In der großen Zeit des Bildungsbürgertums war diese Verbindung vielleicht lebendiger als heute.

Als Claus Peymann in den achtziger Jahren Intendant in Bochum war – war das Tradition oder Avantgarde?

LAMMERT: Beides. Das ist ein sehr schönes Beispiel, weil Claus Peymann im Unterschied zu manchen anderen Regisseuren nicht von der Vorstellung besessen war, modernes Theater müsse ausschließlich zeitgenössisches Theater sein. Er hat den literarischen Kanon gepflegt, aber mit einer zeitnahen Handschrift präsentiert.

Sie haben gemeinsam mit sozialdemokratischen Kulturpolitikern seinerzeit Peymann nach Bochum geholt. Hat Sie Peymanns Theater geprägt in Ihrem Kulturverständnis?

LAMMERT: Es hat mich beeindruckt.

Was hat Sie geprägt?

LAMMERT: Sicher manches, was mir gar nicht bewusst ist. Ich hatte früh ein sehr intensives Verhältnis zur Musik, bis hin zu der zeitweiligen Überlegung, Musik zu studieren. Dann wäre möglicherweise was Anständiges aus mir geworden, wenn das Talent dafür gereicht hätte. Und es war sehr früh ein ausgeprägtes Interesse an Literatur vorhanden. Ich habe damals als Pennäler, warum auch immer, systematisch die deutschen und europäischen Klassiker gelesen und mich gleichzeitig mit zeitgenössischen Autoren auseinander gesetzt. Meine Begeisterung für Literatur ist sehr früh von einer fast atemlosen Begeisterung für Heinrich von Kleist geprägt worden, was bis heute ganz sicher meine Vorlieben für zeitgenössische Autoren, die ich mag, und andere, die ich weniger mag, beeinflusst.

Lilienthal war lange Dramaturg an der Berliner Volksbühne, heute ist er Intendant des Hebbels am Ufer. Haben Sie Aufführungen an diesen Theatern gesehen?

LAMMERT: In der Volksbühne bin ich regelmäßig gewesen, selbstverständlich. Ich habe als Mitglied des Aufsichtsrates der Berufung von Frank Castorf zum Chef der Ruhrfestspiele zugestimmt und seiner Abberufung widersprochen. Ich halte Castorf für einen der interessantesten deutschen Regisseure. Allerdings war den Gesellschaftern (DGB und Stadt Recklinghausen) nicht hinreichend klar, dass Castorfs Berufung nur um den Preis eines weitgehenden Austauschs des Publikums zu haben sein würde. Übrigens hat das auch Castorf zunächst nicht wahrhaben wollen. Dafür hätte man längeren Atem gebraucht. Den haben alle Beteiligten leider nicht aufgebracht.

Hat die Kultur die Chance, die doch sehr unterschiedlichen Welten in diesem Land miteinander in Verbindung zu bringen?

LILIENTHAL: Castorf hat, als er die Volksbühne übernommen hat, gesagt, wir müssen nach der Wiedervereinigung einen Ort finden, an dem wir eine Auseinandersetzung zwischen Ost und West führen. Auch mit der polemischen Behauptung, die Wiedervereinigung sei ein Bürgerkrieg West gegen Ost. Der Satz ist totaler Blödsinn und trotzdem war er damals richtig wie kein anderer. Damit hat Castorf versucht, Ostberlin und Ostdeutschland ein Selbstbewusstsein zu vermitteln. Wenn es jemanden gibt, der die deutsche Wiedervereinigung mit den Mitteln des Theaters vorangetrieben hat, war es Castorf. Ich finde, dass man diese Reibung weiterentwickeln muss.

Herr Lammert, von Ihrem Parteifreund Schönbohm stammt das Wort von der „Proletarisierung“ des Ostens. Ist es Aufgabe der Kulturpolitik, über das nicht nur ökonomische Auseinanderdriften des Landes nachzudenken?

LAMMERT: Die Bereitschaft zum Nachdenken ist in der Politik nicht prinzipiell niedriger entwickelt als im Bereich von Kunst und Kultur. Ich bin entschieden der Auffassung, dass Kunst und Kultur eine Dimension beiträgt, die für die Gesellschaft völlig unverzichtbar ist. Die Kunst ist weniger als jeder anderer Bereich bereit, die Fixierung auf das, was ist, auf die Realitäten, die man vorfindet, zu akzeptieren. Genau deswegen entwickelt sie die Dynamik, die eine Gesellschaft dringend braucht, wenn sie nicht auf der Stelle treten will. Das ist Aufgabe der Kunst, nicht der Kulturpolitik.

Das Gespräch führten Peter Laudenbach und Rüdiger Schaper.

NORBERT LAMMERT ist Vizepräsident des Deutschen Bundestags und in Angela Merkels Kompetenzteam für Kultur zuständig. Der CDU-Politiker, geboren 1948 in Bochum, studierte Soziologie, Geschichte und Politikwissenschaft in Bochum und Oxford. Lammert gehört seit 1980 dem Bundestag an. Von 1989 bis 1994 war er Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft . Nach einem CDU-Wahlsieg könnte Lammert Kulturstaats-

minister werden.

MATTHIASLILIENTHAL,

geboren 1959 in Berlin, studierte Theaterwissenschaft. Anfang der Neunzigerjahre gehörte er als Chefdramaturg zum Leitungsteam der Volksbühne unter dem Intendanten Frank Castorf. Lilienthal hat mit Christoph Marthaler und Christoph Schlingensief gearbeitet. 2002 leitete er das Festival „Theater der Welt“ an Rhein und Ruhr. 2003 übernahm er das Hebbel am Ufer in Berlin. Schon nach der ersten Spielzeit wurde das HAU zum „Theater des Jahres“ gewählt.

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