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Kultur: Randlage Seeblick

Es muss nicht immer Philharmonie sein. In Berlin spielt die Musik an vielen Orten. Acht Tipps

SCHLOSS GLIENICKE

Vielleicht wird die Italiensehnsucht der Hohenzollern nirgendwo greifbarer als hier, in der äußersten Südwestecke Berlins. Mit südlich-hellen Farben verputzte, in Schönheit verfallene Wirtschaftsgebäude säumen schon den Zufahrtsweg, jeder Schritt ist ein Schritt zurück in die Vergangenheit. Das Schloss war ursprünglich ein Gutshof, den Prinz Carl, Sohn von König Friedrich Wilhelm III., ab 1824 von Schinkel und Lenné im Stil einer klassizistischen Villa umbauen ließ. Seit 1997 werden hier jedes Wochenende Kammerkonzerte veranstaltet, organisiert von einem eigenen Förderverein, der Komponist Arvo Pärt sitzt im künstlerischen Beirat. Im Sommer, das heißt bis Ende September, treten die Musiker in der 1838 erbauten, später abgerissenen und wieder neu errichteten Orangerie auf, im Winter spielen sie im Gartensaal des Schlosses. Es sind in der Regel Solisten oder Mitglieder der großen Berliner Orchester, der Philharmoniker, des Deutschen Symphonie-Orchesters oder der Staatskapelle.

Mit dem Lautenkonzert von Ferdinand Ignaz Hinterleithner sind am heutigen Sonntag um 16 Uhr Lutz und Martina Kirchhof zu hören, eine Woche später interpretiert Alexander Malter Klavierwerke der beiden großen Jubilare dieses Jahres, Schumann und Chopin. Nach dem Konzert bleibt Zeit genug, um durch den Park zu streifen, hinüber zum Casino. Der Blick schweift über Terrassen und eine wasserumschlungene Landschaft bis ans Potsdamer Ufer. Das Glienicker Schloss, womöglich einer der schönsten Orte der Stadt.

www. konzerte-schloss-glienicke.de

SCHWARTZSCHE VILLA

Heute ist kaum noch nachvollziehbar, dass die Schwartzsche Villa in Steglitz 40 Jahre lang vernagelt und dem Abriss geweiht war. Erbaut wurde sie 1895 als Sommersitz des Bankiers Carl Schwartz. Noch 1945 lebte dessen Tochter hier, sie kam bei einem Bombenangriff in den letzten Kriegswochen ums Leben. Danach wurde das Haus als Lager für Butter Beck genutzt, stand aber größtenteils leer und verfiel. Die Villa galt als Schandfleck, gleichzeitig entstand jedoch unmittelbar nebenan der Steglitzer Kreisel, der, ungenutzt und asbestverseucht, heute ein größerer Schandfleck ist, als es die Schwartzsche Villa je war.

Nach einem Umbau wurde sie 1995 als Kulturhaus in Trägerschaft des Bezirks eröffnet. Es waren die goldenen Zeiten nach dem Mauerfall: Kostspielige Materialien und italienische Designerlampen prägen das Interieur. Im Dachgeschoss gibt es ein Atelier, im Obergeschoss eine Galerie und ein Theater. Die Musik spielt im Erdgeschoss, im Großen und Kleinen Salon, die sich bei größerem Raumbedarf vereinen lassen. Um die Akustik zu verbessern, wurde bei der Sanierung die Decke niedriger gehängt. In der Regel treten hier freischaffende Musiker auf, die als ihr eigener Veranstalter fungieren. Gelegentlich kommen auch profilierte und bekannte Künstler, am 27. August singt Roman Trekel Lieder von Schumann und Brahms. Und wer will, kann sich danach im hauseigenen Café mit Theaterbesuchern austauschen: Seit vor einem Jahr gleich um die Ecke das Schlossparktheater wiedereröffnet hat, kommen auch die gerne hierher.

www.schwartzsche-villa.de

ERNST-REUTER-SAAL

„Wegen der Randlage des Bezirks hat der kulturelle Wellenschlag noch nicht in genügendem Maße nach Reinickendorf dringen können.“ Das sagte Bezirksbürgermeister Adolf Dünnebacke 1957 und fing gleich an, das zu ändern: Er eröffnete den Ernst-Reuter-Saal, einen Anbau des Rathauses, der mit 725 Plätzen nicht nur für die Reinickendorfer gedacht war, sondern – damals noch – auch für die Bewohner von Pankow, Weißensee und des nördlichen Umlands. In dem mit hellem Holz vertäfelten Saal spielten die Berliner Philharmoniker unter Ferenc Fricsay das Eröffnungskonzert. Heute steht er komplett unter Denkmalschutz. Lampen, Kassen, Treppenhaus, alles lupenreine 50er Jahre. Über 100 Veranstaltungen gibt es hier im Jahr, Musik gehörte von Anfang an dazu. Im Ernst-Reuter-Saal treten häufig kleinere Orchester aus Berlin und der Region auf. Die aktuelle Konzertreihe heißt Reinickendorfer Classics und wird am 11. September eröffnet – mit einem Konzert von Jocelyn B. Smith.

www.reinickendorf-classics.de

HAUS AM WALDSEE

Trotz des poetischen und etwas verwunschen klingenden Namens spielt das Haus seit 60 Jahren in der Westberliner Kunstszene eine bedeutende Rolle. Erbaut hat es der Regenschirmfabrikant Hermann Knobloch 1922 als Wohnhaus, nach dem Zweiten Weltkrieg zog das Kunstamt Zehlendorf ein, seither ist es ein Ort für Gegenwartskunst. „Zehlendorf war schon immer offener, gemischter, liberaler als etwa Dahlem“, sagt Katja Blomberg, seit 2005 künstlerische Leiterin. Musik ist hier seit Jahrzehnten beheimatet, 1945 gaben die Berliner Philharmoniker unter Sergiu Celibidache im Haus am Waldsee ihr erstes Konzert nach dem Krieg. Seither hat jeder Leiter dem Haus ein anderes musikalisches Profil verliehen. Seit drei Jahren organisiert die Pianistin Ruth Bersch-Gómez die Reihe Konzerte in der Kunst ,dieses Jahr steht die Bratsche im Mittelpunkt. Die Musiker sind freischaffende Profis oder Mitglieder großer Berliner Orchester. Im nächstes Konzert am 19. September spielen Philipp Bohnen (Violine) und Barbara Buntrock (Bratsche) Werke von Mozart und Martinu. Wie es klingt, hängt übrigens auch davon ab, was gerade an den Wänden hängt.

www. hausamwaldsee.de

VILLA ELISABETH

Man kennt die St.-Elisabeth-Kirche, denn das markante Säulenportal ist von der Invalidenstraße aus gut zu sehen. Die Villa Elisabeth gleich daneben ist aber immer noch recht unbekannt, obwohl sie nicht weniger spektakulär und viel besser erhalten ist. 1907 errichtet, diente sie ursprünglich als Gemeindehaus. Herzstück ist der Galeriesaal im ersten Stock, dessen Empore von stuckverzierten Säulen und Bögen getragen wird. Alles atmet Alter und Verfall, der Putz blättert von den Wänden, und doch gehört die Villa Elisabeth zu den Häusern, die mit einer Sanierung ihren Charme verlieren würden. Im Erdgeschoss kann man das bereits sehen, denn hier haben gedankenlos-pragmatische Beamte eine gläserne Brandschutzwand eingezogen, an der die Treppen jetzt stumpf enden – die Raumwirkung ist ruiniert. Der Galeriesaal ist dagegen noch in seiner ganzen Ursprünglichkeit erhalten.

Immer wieder geben kleinere Gruppen wie das Ensemble Adapter hier Konzerte, aber auch Maerzmusik, Biennale für Alte Musik und Tanz im August sind gerne zu Gast. Am 23. September wird „Speakers – Stimmen und Lautsprecher“ uraufgeführt, am 2. und 3. Oktober findet der 10. Berliner Jazztreff statt. Organisiert wird alles vom Kulturbüro Sophien, das 1999 entstand, als fünf Kirchen und sechs Gemeindebezirke zur neuen Kirchengemeinde Sophien fusionierten. „Wir versuchen, Menschen durch Kultur an die Gemeinde zu binden“, sagt Leiterin Thekla Wolff. Die Bedingungen sind gut: Die Sophiengemeinde wächst wegen der vielen kinderreichen Zuzügler, das Durchschnittsalter liegt bei 34 Jahren. Auch Firmen wie Bosch oder Java Script nutzen die Villa für Tagungen und Empfänge und lassen es sich einiges kosten, um hier der standardisierten Atmosphäre globalisierter Hotelketten zu entkommen.

www.kulturbuero.sophien.de

STILWERK-FORUM

Wer Musik ohne Stuckverzierungen und Kronleuchter liebt, dürfte hier richtig sein. Gläserne Wände rahmen den Saal, der fünf Stockwerke hoch über der Kantstraße thront, frei schweifen Blick und Seele über die Dächer von Charlottenburg. Selbst die Gärten, die hier oben angelegt wurden, folgen einem fast asiatisch anmutenden Prinzip von Strenge und Einfachheit. Sechsmal im Jahr veranstaltet der Klavierhersteller Bechstein hier – natürlich Klavierabende. Seit 1998 hat die Firma im Stilwerk ihren Sitz, damals zog die Hauptverwaltung vom Kreuzberger Moritzplatz hierher, während die Produktion nach Sachsen ausgelagert wurde. Die weltweit operierende Firma will mit den C. Bechstein Klavierabenden auch auf Künstler aufmerksam machen, die in Deutschland noch wenig bekannt sind. Dieses Jahr führte kein Weg an Schumann und Chopin vorbei. Sie dominierten das Programm - und tun es immer noch. Der Italiener Maurizio Baglini spielt am 2. September sämtliche Etüden sowie das Prélude cis-Moll von Chopin. Danach bekommen auch andere Stile wieder eine Chance. Am 5. November interpretiert Konstantin Lifschitz „Die Kunst der Fuge“ von Bach. Auch Barockmusik funktioniert ohne Stuck.

www.stilwerk.de

KLASSIK IN SPANDAU

Spandau und Musik? Da fällt manchen vielleicht die Band Spandau Ballet ein, aber nicht Brahms, Chopin oder Pablo de Sarasate. Doch genau die kann man noch diesen Herbst in Berlins westlichstem Bezirk hören. Vor zwölf Jahren wollten sich einige engagierte Spandauer nicht damit abfinden, „nach Berlin“ fahren zu müssen, um Orchestermusik zu hören, sie gründeten den Verein „Klassik in Spandau“. Im Monatstakt werden verschiedene Orte im Bezirk bespielt, die Zitadelle, die Kirche St. Marien am Behnitz oder die CCC Filmstudios. Zum Saison-Eröffnungskonzert kommen traditionell rund 600 Besucher, dieses Jahr am 9. September um 19.30 Uhr in die Mercedes-Benz-Niederlassung in der Seeburger Straße. Das JugendKammerorchester Berlin spielt Beethovens erste Symphonie, der 18-jährige UdK-Student Uschik Choi das zweite Klavierkonzert von Chopin. Besucher haben seit 2010 die Möglichkeit, eine Saisonkarte für 120 Euro zu erwerben – und brauchen für ihren musikalischen Bedarf den Bezirk gar nicht mehr zu verlassen.

www.klassik-in-spandau.de

FRIEDENAUER KAMMERKONZERTE

Eine schöne Adresse für Musik: In der Isoldestraße 9 steht das großbürgerliche Wohnhaus von 1905, in dessen Jugendstil-Saal seit 1986 Kammerkonzerte auf historischen Instrumenten stattfinden. Ins Leben gerufen wurde die Reihe von den HdK-Professoren Bradford Tracey und Rolf Junghanns. Seit ihrem Tod trägt die 60 Mitglieder starke „Gesellschaft der Freunde der Friedenauer Kammerkonzerte“ die Reihe weiter. Aus ganz Berlin reisen Besucher an, um etwa Christine Schornsheim am Cembalo zu hören. Am 27. August spielt das Ensemble Carmen Veneris Werke spanischer Komponisten, am 4. September das Trio Margaux eine Komposition von E.T.A. Hoffmann. Doch die Reihe ist gefährdet. Die UdK, die den Saal seit Jahren ebenfalls nutzt und Miete zahlt, hat sich zurückgezogen. Jetzt ruft die Gesellschaft zu Spenden auf – damit es in Berlins Bezirken weiter viele musikalische Facetten gibt.

www.kammermusiksaal-friedenau.de

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