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Rasender Reporter: Eine Frau für Kisch und Bett

In Prag wird Kisch bekannt, dann geht er nach Berlin – sucht die Liebe und schreibt darüber. Sogar ein Heiratsautomat kann ihm nicht helfen.

Verhöhnet mich nicht, wenn ich euch sage, dass ich vom ersten Tage meines Berliner Aufenthaltes eine Frau suchte. Solange ich möbliert wohnte, kränkte es mich, wenn ich jeden geheizten Ofen, der mich während des Monats kalt gelassen hatte, am Ersten auf der Rechnung fand, wenn mir jede Streichhölzchenschachtel, jedes Bad und jede Büchse mit Schuhcreme böse angerechnet wurde. Als ich in die Pension zog, ärgerte es mich, dass immer die einzigen Speisen aufgetischt wurden, die ich nicht esse, dass das Beste schon von anderen verspeist war, wenn ich einmal zu spät zu Tische kam, und dass Gespräche geführt wurden, denen meine bescheidene Bildung keineswegs gewachsen war. Zu diesen Miseren rein wirtschaftlicher Natur kam noch, dass ich’s nur gestehe, die Sehnsucht nach der Liebe, von der ich schon allerhand Lobendes in Romanen und Zeitungsnachrichten gelesen hatte. So reifte in mir der Entschluss, mir mein eigenes Heim zu gründen, mich – oh, verhöhnet mich nicht! – zu verehelichen.

Der Entschluss, mir eine Frau zu suchen, war mir wahrlich nicht leichtgefallen. Unvergleichlich schwerer wurde mir aber die Ausführung.

Nach manchen üblen Erfahrungen musste ich wie Kolumbus beim Anblick des Landes empfinden, als ich in der Zeitung von der Errichtung des Heiratsautomaten las. Schöne Damen, von der gleichen Sehnsucht bewegt wie ich, blickten aus dem Schaufenster, Liebe heischend und Liebe verheißend, auf den Bewerber. Natürlich nicht in natura, aber in getreuen Photographien. Und jedes Konterfei wurde dadurch zum portrait parlé, dass darunter die Höhe der Mitgift und die übrigen Gemütseigenschaften der feilgebotenen Schaufensterdame verkündet wurden. So stand es schwarz auf weiß in der Zeitung. Man brauche nur zu wählen und dem Automatenbesitzer die Nummer der Dame zu nennen, und er führe sie dann bis hart an den Traualtar. Ich zog meinen allerelegantesten Anzug an, suchte von meinen Krawatten die schönste aus, ich träumte von einer Liebe auf den ersten Blick ins Schaufenster, und mein Herz klopfte eine Furlana, als ich aus der Leipziger Straße in die Gefilde der Seligen einzog. Aber wehe, wehe! Der Laden stand leer, und aus dem Schaufenster, aus dem noch vor kurzem manch ermunternd photographierter Frauenmund dem Beschauer ein „Bediene dich selbst“ zuzurufen schien, gähnte der Rachen einer öden Leere. Ich hoffte zwar noch, dass Frau Hymen mit ihrer Verkaufsstelle bloß übersiedelt sei, aber ich musste erfahren, dass die Polizei den Heiratsladen geschlossen habe. Ob sie die Vermittlung von Ehefrauen als unsittlich empfunden oder ob vielleicht eine der heiratslustigen Damen gegen die Schaustellung ihres Konterfeis Verwahrung eingelegt hat – ich vermochte es nicht zu erfahren. Gebrochen eilte ich von dannen…

Als ich aber in die Friedrichstraße kam, erwachte ich zu neuem Leben. Einer von jenen Berliner Camelots, die auf der Antarktis des Rückens eine Tafel mit der Aufschrift „Hier ist die … Zeitung erhältlich“ tragen, schrie mir eine andere Anpreisung ins Ohr: „Das Blatt der Heiratslustigen“. Wie Harfentöne der Erfüllung erklangen mir diese Worte. Zitternd opferte ich zwanzig Pfennig für „Das Blatt der Heiratslustigen“, zitternd eilte ich mit der Zeitung nach Hause, die ja ein Inserat meiner Zukünftigen barg, und zitternd entfaltete ich sie (natürlich die Zeitung).

An der Spitze des Blattes fand ich eine fettgedruckte Bemerkung: „Da durch die Auswechslung der Chiffrebriefe in den Großstädten viel Ulk und Schwindel getrieben wird, öffne ich sämtliche Chiffrebriefe.“ Nachdem ich mich gleichermaßen über die Roheit der Großstädte und die Vorsicht des Herausgebers gefreut hatte, begann ich, den Leitartikel zu lesen, der „Arturs Bekehrung“ hieß. Was mir besonders darin auffiel, war die stilistische Meisterschaft, mit der der Autor (ein Dr. H.) alles Schleppende vermieden hat. Er wendet immer die direkte Rede an, und die handelnden Personen sprechen die knappen Sätze des gewöhnlichen Lebens so, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist.

Zum Beispiel sagt Artur vor seiner Bekehrung unter anderem in einem reinen, einfachen Satz: „… weil ich von der Ehe eine so hohe, edle Vorstellung habe, dass ich sie kaum irgendwie mit einem Geschäft in Verbindung zu bringen vermag und wenn es das solideste ist, obwohl ich auf Grund meiner ärztlichen Tätigkeit, die mich mit so vielem Niedrigen, Schmutzigen in Berührung bringt, deinen Ausführungen sympathisch gegenüberstehen muss, die schließlich danach angetan sind, mir meine Ideale zu erhalten.“

Nach dem Leitartikel kamen gleich die Inserate der heiratslustigen Damen und hernach die mich nicht mehr interessierenden Annoncen der Herren, meiner Leidensgenossen. Das erste Dameninserat, das mir gefiel, trug die Nummer 15704. Sehr gerne hätte ich mich um jenes „Fräulein: 23 J.; 1,60 m groß; Vater Beamter, eig. Verm., Eltern auch wohlh.“ beworben, wenn sich das Fräulein nicht seltsamerweise auf eine passende Lebensgefährtin kaprizieren würde. Vielleicht ist dies bloß ein Druckfehler – aber die Auswahl anderer Damen in meinem Blatte ist ja groß genug.

„Haushälterin, 1,75 Meter groß, 42 Jahre alt, 3.000 Mark bar und Aussteuer.“ Herrgott, das wäre etwas für mich! Wie trefflich würden wir uns ergänzen! Ich bin weder Haushälter, kaum 1,50 groß, noch lange nicht 42 Jahre, und weder von 3.000 Mark noch von Aussteuer ist bei mir etwas zu finden. Aber die große Haushälterin mag mich nicht. Sie versteift sich auf einen Unterbeamten von der Post oder von der Bahn.

Eine andere Inserentin, Hausdame bei einem Major, verschweigt ihr Alter und ihre Größe und betont dafür, dass sie aus guter Familie sei. Aber sie legt Wert darauf, dass ihr künftiger Ehegemahl ein gebildeter Mensch sei. Da bin ich noch eher ein Haushälter.

An dem dreißig Jahre alten Fräulein, 1,55 groß, 30.000 Mark bar und Ausstattung, später mehr, störte mich bloß die Angabe, dass sie eine ausgezeichnete Klavierspielerin sei.

Zu der „schuldlos geschiedenen Frau, 38 J. a.“, lockte mich besonders die Angabe hin, dass sie eine Wohnungseinrichtung mit Renaissancemöbeln besitze. Aber sie will mich gewiss nicht, denn sie reflektiert auf ein sympathisches Äußeres, und ich weiß weder, ob mein Äußeres sympathisch ist, noch, ob es zu Renaissancemöbeln passt.

Auch die „junge häusl. Dame, 22 Jahre alt“, würde ich auf der Stelle heiraten, wenn ich wüsste, wie ich die Abkürzung verstehen soll: „1/2 Mill. Mitgift; 1 Mll. später“. Ein halbes Mille wäre etwas zu wenig, eine halbe Million und noch eine Million etwas zu viel für mich bezahlt.

So sollte sich meiner Wahl immer ein Hindernis entgegensetzen. Die eine will partout einen Kellner, die jung geschiedene Frau in seltsamer Logik „einen älteren Herrn, der viel gelitten“, eine dritte gefällt mir nicht, weil sie sich als außerordentlich sportliebend preist, bei einer vierten deckt sich ihr Beruf – sie ist Fleischbeschauerin – nicht mit meiner idealen Veranlagung, und bei einer fünften scheint es mir auffallend, dass sie trotz Jugend, hübscher Erscheinung, großer Mitgift und schöner Aussteuer von ihrem Zukünftigen nichts weiter verlangt, als dass er sehr vorurteilsfrei sei. So fand ich unter den vielen Annoncen nicht eine einzige, die mir gepasst hätte. Das Blatt entsank meiner Hand, Glaube, Liebe und Hoffnung meinem Herzen.

Die letzte Möglichkeit, die ich ergriff, war ein Besuch bei einer Heiratsvermittlerin in der Gipsstraße. Die alte Dame gefiel mir zwar anfangs gar nicht, aber später leistete ich ihr Abbitte: Trotzdem sie schon unzählige Partien in Millionärs- und Aristokratenkreisen zusammengebracht hat (was sie mir selbst anvertraut hat), ist sie doch nicht hochmütig geworden und hat weiter im dritten Stockwerk eines Hauses in der Gipsstraße eine einfache Wohnung inne, die bloß aus einer Küche und einem Zimmer besteht und in der weder auf Luxus noch auf Reinlichkeit übertriebener Wert gelegt wird. Die gütige Frau notierte meine Personalien und versprach felsenfest, mir eine junge, schöne, reiche und nette Gattin zu finden. Freudig und dankerfüllt gab ich ihr die zehn Mark, die sie für Überprüfung meiner Angaben und Vorspesen verlangte, aber mir nach Erhalt der Mitgiftprovision wieder zurückstellen wird. Die brave Frau gibt sich gewiss mit der Auswahl meiner Zukünftigen die denkbar größte Mühe, denn trotzdem seit jenem Besuche schon ein Monat verstrichen ist, habe ich noch nichts von ihr gehört. Gut Ding will Weile haben!

Egon Erwin Kisch (1885-1948) wurde berühmt als „rasender Reporter“. Eine Auswahl seiner Berliner Reportagen erscheint am Dienstag bei Wagenbach: „Aus dem Café Größenwahn“ (144 Seiten, 15,90 Euro). Der Text auf dieser Seite ist dem Buch entnommen. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags.

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